CDU fordert Vorschulen für Bremen: Wer lernt wann und wo?

Die CDU-Forderung nach Vorschulen für Bremen finden auch in der Regierungskoalition einige interessant. Doch viele halten das Modell für veraltet.

Gummistiefel und Regenhosen von Kindern hängen an einem Regal in einem Kindergarten.

Kindergarten oder Vorschule? Man sieht's dem Regal nicht von außen an Foto: dpa / Christian Charisius

BREMEN taz | Feinmotorische Fähigkeiten, soziales Miteinander und Sprachförderung – das lernt etwa jedes zweite Kind in Hamburgs Vorschulklassen. Auch in Bremen gab es bis in die 2000er Vorschulen. Ob sie wieder eingeführt werden sollten, wird derzeit diskutiert: CDU und Grüne haben das Thema in die Bürgerschaft eingebracht.

Bremens Bildungsmisere ist kein Geheimnis. „Seit Jahren werden die Ergebnisse bei den Sprachförderungsuntersuchungen und Schuleingangstests in Bremen immer schlechter“, sagt Yvonne Averwerser, Sprecherin für Bildung der CDU-Bürgerschaftsfraktion. Der Lösungsansatz der CDU: verpflichtende Vorschulklassen ab dem Schuljahr 22/23 für Kinder mit hohem Sprachförderungsbedarf – das waren im vergangenen Jahr fast 47 Prozent. „Das A und O ist es, dass die Kinder verstehen, worum es geht“, meint Averweser. Durch Vorschulklassen sei eine gezielte individuelle Förderung möglich, damit alle Kinder mit gleichen Grundvoraussetzungen in die Grundschule kommen.

Mindestens fünf Stunden täglich sollen die Kinder in Sprache, Mathematik, Sozialverhalten und dem Erlernen schulischer Kulturtechniken gefördert werden, heißt es im Antrag der CDU. Es gehe vor allem um sozioökonomisch benachteiligte Stadtteile.

Die Regierungskoalition lehnte den Antrag ab. „Zu schnell und völlig unzureichend“, kritisiert Solveig Eschen, Sprecherin für Kinderpolitik bei der Grünen-Fraktion Bremen. Der Antrag vermittele ein Bild von Vorschulklassen als „reine Stätte, die die Defizite von Kindern aufarbeiten sollen“, ärgert sich Eschen.

Prinzipiell ist sie der Idee aber nicht abgeneigt. Eschen stellt sich Vorschulklassen als eine gleichberechtigte Alternative zum letzten Kitajahr vor, in der auf die Fünf- bis Sechsjährigen altersspezifisch eingegangen werden könne. Dies ermögliche einen sanften Übergang zwischen Kita und Schule. Besonders geeignet sei es für Karenzkinder, die zwischen August und Dezember geboren und damit zu jung für die Schule und zu alt für die Kita sind.

Robert Baar, Professor für Grundschulpädagogik

„Inklusion in Bremen funktioniert gut“

Ob Vorschulen für Bremen passend sind, lässt ihre Fraktion nun mit einer Großen Anfrage an den Senat klären. „Vielleicht sind sie ein neuer Impuls, um mehr Kindern bessere Bildung zu ermöglichen“, meint Eschen.

Der Bremer Grundschulverband lehnt das Konzept ab: „Kinder werden aufgrund ihrer Bedürfnisse selektiert. Das widerspricht dem Recht auf inklusive Beschulung“, kritisiert Vorstandsmitglied Maresi Lassek. Wenn nur Kinder mit Lernschwierigkeiten zusammen seien, fehle der Anregungsreichtum. Aber sie fürchtet auch das Gegenteil: Wenn überwiegend bildungsnahe Eltern ihre Kinder in die Vorschule schicken, könne das die Bildungsschere weiter öffnen.

Unterstützung bekommt der Verband aus der Wissenschaft. Für Robert Baar, Professor für Grundschulpädagogik an der Universität Bremen, wären Vorschulklassen ein Rückschritt: „Das Konzept kommt aus den 70er-Jahren.“ Heute arbeiteten Bremer Grundschulen mit der Heterogenität in den Klassen und gingen individuell auf Bedürfnisse der Kinder ein. „Inklusion in Bremen funktioniert gut. Da ist es kontraproduktiv, zu separieren und eine förderbedürftige Gruppe herauszulösen“, sagt Baar.

Außerdem gebe es schon gute Konzepte, um den Kindern den Übergang zu erleichtern, indem Kitas und Grundschulen eng zusammenarbeiten. „Man darf nicht so tun, als würde in den Kitas nichts passieren“, meint Baar. Dort lernen die Kinder bereits grundlegende Kompetenzen.

Auch vom Koalitionspartner gibt es Kritik.. „Es ist nicht altersangemessen, wenn Fünfjährige lernen wie in einer Grundschule“, meint Gönül Bredehorst, SPD-Sprecherin für Bildung. „Das Schlimmste ist, dass die Kinder nach einem Jahr wieder auseinandergerissen werden.“

Neues Bezugsumfeld

Eine Kritik, die viele Geg­ne­r:in­nen der Vorschule äußern. Dass Kinder für ein Jahr ein ganz neues Bezugsumfeld haben, komme in der Praxis in Hamburg allerdings kaum vor, berichtet Stefan Kauder vom Grundschulverband Hamburg. Kinder können entweder die Vorschulklasse in ihrer Kita besuchen oder ein Jahr früher ihre Grundschule kennenlernen. Das werde individuell von den Eltern entschieden.

Nachteile dieser freien Entscheidung: Planungsunsicherheit und Konkurrenz zwischen Kitas und Grundschulen. „Hamburg hat nicht ‚das Erfolgsmodell‘, was dringende gesellschaftliche Fragen löst“, meint Kauder.

„Vorschulklassen sind ein großes Projekt, das langfristig geplant werden muss“, schließt Eschen. „Das einzig Sinnvolle ist es, Fragen zu stellen und zu schauen, ob es eine Option sein könnte.“ Am Ende steht auch die Frage der Machbarkeit: In Bremen fehlen schon für den regulären Unterricht Pädagog:innen.

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