CDU-Wirtschaftexperte Röttgen zur Finanzkrise: "Der Kapitalismus versagt"
Der CDU-Wirtschaftsexperte Norbert Röttgen verteidigt die Krisenpolitik der Regierung, fordert die Abkehr von der Marktgläubigkeit, und Konsequenzen von den Banken.
taz: Herr Röttgen, das kapitalistische Wirtschaftssystem ist den staatlichen und sozialen Lebensinteressen des deutschen Volkes nicht gerecht geworden. Kommt Ihnen dieser Satz bekannt vor?
Norbert Röttgen: Das könnten viele gesagt haben.
Das ist aus dem Ahlener Programm der CDU von 1947.
Sieh mal an!
NORBERT RÖTTGEN, 43, ist parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag. 2005 wäre er fast Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) geworden, blieb dann aber doch im Bundestag, dem der CDUler seit 1994 angehört. Röttgen ist ein enger Vertrauter der Kanzlerin und gilt als möglicher Kandidat für den Posten des Wirtschaftsministers nach der Bundestagswahl 2009.
Kehren Sie angesichts der Finanzkrise dorthin zurück?
Der Satz stimmt. Trotzdem kehren wir nicht zum christlichen Sozialismus zurück. Das Programm der CDU ist die soziale Marktwirtschaft.
Das kapitalistische Wirtschaftssystem hat also versagt?
Ja.
Was ist denn Kapitalismus?
Kapitalismus steht für liberale Marktgläubigkeit. Für die Auffassung, dass der Markt sich selbst genügt und keiner sittlichen Ordnung bedarf.
Es ist erst ein paar Jahre her, dass Sie eine neue soziale Marktwirtschaft propagierten. Das hieß doch, die alte soziale Marktwirtschaft ist passé?
Das haben diejenigen behauptet, die unseren Diskussionsansatz diskreditieren wollten. Wir wollten die soziale Marktwirtschaft, die Ludwig Erhard für den Nationalstaat konzipiert hatte, auf die internationale Ebene übertragen. Dahinter steckte genau das, was wir heute diskutieren.
Konkret wurde damals über Kopfpauschale und Bierdeckelsteuer diskutiert. War das alles richtig?
Ich spreche von der grundsätzlichen Ebene, nicht von Bierdeckeln.
Das Grundsätzliche beweist sich immer im Konkreten.
Ich will nicht ausweichen. Die Kernaussage des Wahlkampfs 2005 lautete: Wir brauchen eine wirtschaftliche Erneuerung unseres Landes. Das war und ist in der Sache richtig. Was wir versäumt haben, war die Einbettung dieser Instrumente. Wir haben nicht darauf hingewiesen, dass wir uns im Rahmen dieser Erneuerung besonders um die neuen Schwachen in der Gesellschaft kümmern müssen. Das Thema Bildung hätte zum Beispiel in diesen Wahlkampf gehört.
Wer oder was war schuld daran, dass Sie diesen Teil vergessen haben?
Damals ging es um die zentrale Auseinandersetzung mit der rot-grünen Regierung, die das Land in Stagnation, Rezession und Überschuldung geführt hat.
Die Leute haben Sie damals in den Ländern gewählt, weil sie weniger Reformen wollten als unter Rot-Grün. Statt dessen haben Sie mehr Reformen propagiert - und damit die Bundestagswahl verloren.
Mag sein. Ein Defizit von Gerhard Schröder war, dass er nie ehrlich mit der Bevölkerung darüber gesprochen hat, was das Land braucht. Er hat nie den Mut aufgebracht, sich vor einer Wahl ein Mandat für die Politik zu besorgen, die er dann gemacht hat.
Und Sie haben sich geopfert?
Darüber mögen Sie jetzt lachen. Dann dürfen Sie sich aber nicht beklagen, dass es zu wenig offenen Diskurs in Wahlkämpfen gibt. Wenn die Lehre lautet, man muss das Volk vor Wahlen belügen, dann wäre das ein großer Fehler.
Sie tun so, als gäbe es gar keinen Kurswechsel. Aber die Verstaatlichung von Banken haben Sie auf dem Leipziger Parteitag 2003 nicht geplant, oder?
Was in der Krise als befristete Maßnahme geschieht, hat mit einem Parteitag von vor fünf Jahren nichts zu tun. Auch jetzt ist an eine Teilverstaatlichung von Banken nicht gedacht. Das Wort ist schlicht falsch.
Wie nennen Sie es dann, wenn der Staat Aktienpakete übernimmt?
Die Postbank ist doch keine verstaatlichte Bank, nur weil der Bund Aktien hält. Und selbst ein solches Halten von Aktienpaketen sieht das aktuelle Rettungspaket nicht für längere Zeiträume vor. Wir wollen nur verhindern, dass eine Bank das Geld des Steuerzahlers nimmt und den entstandenen Gewinn anschließend an die privaten Aktionäre ausschüttet.
Sie knüpfen die Geldvergabe aber an Bedingungen.
Aber nur um den Wirtschaftskreislauf am Leben zu erhalten, nicht um Einfluss auf das eigentliche Bankgeschäft zu nehmen.
Wenn der Finanzminister unter großem Beifall suggeriert, er übernehme bei den Banken die Kontrolle, täuscht er das Publikum?
Wir übernehmen nicht die Kontrolle. In dem Gesetz werden konkrete Gegenleistungen benannt, das ist alles.
Lieschen Müller finanziert also mit ihrem Steuergeld die Bankenrettung, und die Investoren profitieren anschließend von steigenden Aktienkursen?
Wir geben nicht einen einzigen Euro aus, um einem privaten Interesse zu dienen. Funktionierende Finanzmärkte sind ein öffentliches Gut. Dieser Satz kommt übrigens nicht von mir, sondern von Friedhelm Hengsbach.
Dem Vertreter der katholischen Soziallehre.
Richtig. Es geht um die Durchsetzung des Allgemeinwohls.
Es gibt immer einen Unterschied zwischen dem Ziel des Gesetzgebers und dem Effekt des Gesetzes.
Wenn es funktioniert, dann ist das auch der Effekt. Wenn es scheitert und der Finanzmarkt zusammenbricht, dann hat eben auch Lieschen Müller ein Problem.
Deshalb muss sie dafür zahlen, dass die Kurse steigen?
Weder Lieschen Müller noch Norbert Röttgen hat bisher auch nur einen Euro bezahlt. Wir verteilen keine Geschenke, wir wollen unser Geld zurück. Das ist das Wesen einer Bürgschaft.
Es sei denn, die Bank geht pleite.
Dann sage ich: Mit jedem gezahlten Euro ist zumindest die Verpflichtung verbunden, das Geld zurückzuzahlen.
Warum braucht man für die Banken ein Gesetz, während sich Lieschen Müller für ihr Sparbuch mit einem Fernsehauftritt der Kanzlerin begnügen muss?
Wir haben in Deutschland bereits das ausgeprägteste System der Sicherung von Spareinlagen, hier gibt es die Regelungen also schon. Aber nicht jeder Bürger blättert täglich die Paragrafen nach. Deshalb war die Garantieerklärung richtig.
Das Rettungspaket für die Banken sieht vor, dass die Regierung nur eine Handvoll Parlamentarier hinter verschlossenen Türen über die Verwendung der Gelder informiert. Warum dürfen die Steuerzahler nicht erfahren, was mit ihrem Geld geschieht?
Weil sich das Eingeständnis von Hilfsbedürftigkeit nicht zum Nachteil des Unternehmens auswirken soll.
Was sind die langfristigen Lehren aus der Krise?
Wir brauchen zunächst mehr Transparenz, eine bessere Sichtbarkeit von Risiken. Der Produzent muss darüber berichten, wo die Gefahren seines Produkts liegen. Und zwar so, dass der Konsument es verstehen kann.
Und weiter?
Je nach Risikolage muss es Vorschriften über höheres Eigenkapital geben, höher jedenfalls als jetzt. Wenn sich ein Risiko realisiert, dann muss es auch den treffen, der es verursacht hat.
Was müssen die Banken tun?
Ich rate den Banken und Unternehmen, die Kurzfristorientierung in der Vergütung von sich aus abzuschaffen. Ich verstehe nicht, warum die Banken nicht schon in dieser Woche die Initiative ergriffen haben. Wenn das nicht geschieht, wird es der Gesetzgeber tun.
Es heißt, in der Krise habe sich die große Koalition bewährt. Werden Sie für immer mit der SPD regieren?
Sicherlich wird in dieser Situation die Kooperation der beiden großen Volksparteien von der Bevölkerung besonders geschätzt. Aber die Krise ist hoffentlich kein Dauerzustand, und dasselbe gilt für die große Koalition.
INTERVIEW: RALPH BOLLMANN UND CHRISTIAN FÜLLER
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