CDU-Wahlkampf in Hessen: Blutwurst für die Mehrheit
Der integrationspolitische Sprecher der CDU Roger Lenhart zittert um sein Mandat. Da kommt das Ausländerthema recht: Er kutschiert durch das Problemviertel von Raunheim.
RAUNHEIM Der Flughafenausbau bekommt knapp dreißig Minuten an diesem Abend. Dann wendet sich Roland Koch seinem eigentlichen Thema zu. "Die Multikultihoffnung hat sich nicht verwirklichen lassen", ruft der hessische Ministerpräsident ins Publikum. "Wir müssen durchsetzen, dass alle hier im Land die Bedingungen akzeptieren und erfüllen!"
Im Saal des Raunheimer Viersternehotels Wings ist kein Stuhl mehr frei. Fast nur ältere Herrschaften sind der Einladung zum "Dämmerschoppen" gefolgt. Sie wollen Koch erleben, dessen Ausländerkampagne nun schon seit Wochen für Schlagzeilen sorgt. Ihren Landesvater, der sich als "akzeptierter Sprecher einer schweigenden Mehrheit von Deutschen" sieht und sich über die "ungewohnten Vorstellungen zur Müllentsorgung" vieler Migranten ebenso hemmungslos ausgelassen hat wie über "Schlachten in der Wohnküche". Kellnerinnen tragen kalte Platten mit dicken Blutwurstscheiben auf. Bembel gefüllt mit Apfelwein stehen auf den Tischen.
Joachim Kahns ist mit Gattin gekommen. Früher stritt er für die CDU im Rüsselsheimer Parlament, jetzt ist er Rentner. "Wir gehen abends ja gar nicht mehr in die Stadt", raunt Kahns. "Da sind nur junge Leute mit Migrationshintergrund." Dafür besucht er manchmal Strafverhandlungen im Gericht. Wie oft die jungen Leute mit Bewährung wegkämen! Seine Frau nickt. "Wenn die jemandem das Portemonnaie aus der Tasche ziehen, dann gilt das als Lappalie", schimpft Kahns. "Ich kann nur sagen, Roland Koch trifft schon einen Nerv."
Zwar steigt in Raunheim seit Jahren der Migrantenanteil, inzwischen sind 43 Prozent der Bürger in der 14.000-Einwohner-Stadt ausländischer Herkunft. Aber von ihnen scheint niemand zum Dämmerschoppen der CDU gekommen zu sein. "Der junge Türke in München sagt jetzt: Ihr könnt mich doch nicht abschieben", ruft Koch und lächelt süffisant. "Lieber Junge, das hättest du dir überlegen müssen, bevor du auf einen alten Mann eintrittst ..." Der Rest des Satzes geht im Applaus unter. Kellnerinnen schenken nach.
Vorne in der ersten Reihe sitzt der CDU-Landtagsabgeordnete Roger Lenhart und strahlt. Rosa Glanz liegt auf seinem Gesicht. Genau so hatte er sich diesen Abend erhofft. Schließlich muss Lenhart um sein Direktmandat in diesem Wahlkreis zittern. Gerade erst hat die Landesregierung mit ihrem Ja zum Ausbau des Frankfurter Flughafens den Zorn vieler Bürger auf sich gezogen. Kein Wunder - Raunheim, traditionelle SPD-Bastion, liegt direkt in der Einflugschneise. Aber nun gibt es noch ein anderes Thema, das die Leute aufwühlt. Und es ist sogar sein Thema. Schließlich ist Lenhart, 49 Jahre, Hobbyjäger, als CDU-Mann im hessischen Landtag nicht nur für Jagdpolitik zuständig, sondern trägt auch den Titel integrationspolitischer Sprecher. Ausländer, Muslime, Deutschkenntnisse, Kriminalität - darüber redet er gerne. Gerade jetzt und hier in seinem Wahlkreis. "Die Bürger sind dankbar, dass wir das alles jetzt mal offen ansprechen", sagt er. "Uns geht es auch um den Schutz der Mehrheit, die von einer Minderheit unter Druck gesetzt wird." Der Jurist aus Rüsselsheim muss nicht lange überlegen, wo er am besten vorführen könnte, wie richtig Roland Koch mit seinen Wahlkampfforderungen liegt.
Drei Stunden vor dem abendlichen Dämmerschoppen. Roger Lenhart lenkt sein bunt beklebtes Wahlkampfauto eine Siedlungsstraße entlang. "Wir sind jetzt im Ringstraßenviertel, das problematischste in Raunheim, überwiegend dominiert von Migranten." Durchs Seitenfenster zeigt er auf die Sechzigerjahre-Wohnblocks. "Das Problem in solchen Vierteln ist das tägliche Miteinander im Alltag", bemerkt er nüchtern. "Diese Leute haben einfach eine andere Kultur."
Draußen hängen kalte Januarwolken über den Dächern, Frauen mit Kopftüchern schieben ihre Kinderwagen den Gehweg entlang. Drinnen in Lenharts Opel ist es mollig warm. Sein Sakko hängt über der Rückbank am Haken. Wer rede schon von der Deutschenfeindlichkeit unter den Migranten, fragt der CDU-Politiker seufzend, während er wieder in Richtung Stadtmitte abbiegt. "Das Gefühl von Überfremdung ist in solchen Gegenden schon da."
In seinem Auto stapeln sich Werbebroschüren, CDs und Kugelschreiber mit seinem Wahlkampfslogan "Alles Roger!". Lenhart könnte jetzt auf dem Parkplatz vor dem Supermarkt an der Ringstraße stoppen und die Leute aus dem Viertel auf ihre Ängste ansprechen. Aber der CDU-Politiker präsentiert seine Sicht lieber vom Fahrersitz aus. Zwei Minuten dauert die Besichtigung der Problemsiedlung, dann gibt der CDU-Politiker wieder Gas. Es geht nach Rüsselsheim, ins nächste Migrantenviertel.
Vermutlich weiß Lenhart, dass die Sympathien draußen längst nicht so klar verteilt sind wie beim Wahlkampfabend im Hotel Wings. Man muss sich nur später ohne den CDU-Politiker noch einmal in der Ringstraßensiedlung umhören. "Warum hat Koch das in den letzten Jahren nicht einfach umgesetzt?", wundert sich ein grauhaariger Herr. "Das ist doch wieder alles nur Wahlkampfgeschwätz." Beim letzten Mal, da habe er noch für Koch gestimmt. Aber diesmal bekomme die Linke sein Kreuzchen. "So groß sind die Probleme hier bei uns doch gar nicht", sagt eine ältere Frau, die ihren Einkauf in Baumwollbeuteln nach Hause trägt. "Ich wohne schon seit 24 Jahren hier. Mir ist noch nie etwas passiert." In ihrem Wohnblock leben auch marokkanische Familien. "Die putzen die Treppe so wie alle anderen", bemerkt die Rentnerin zufrieden.
Kaum einer kennt das Raunheimer Ringstraßenviertel besser als Isack Majura. Seit Jahren arbeitet der 55-Jährige hier als städtischer Streetworker. " 'Diese Ausländer!' 'Diese Gewalttäter!' - So dürfen Politiker dieses Thema doch nicht in die Öffentlichkeit tragen." Er ist besorgt. Majura, Doktor der Erziehungswissenschaft, stammt aus Tansania und hat in Mainz studiert. Bisher hat sich der Integrationsexperte der CDU bei ihm noch nicht nach der Lage rechts und links der Ringstraße erkundigt. Majura kennt Lenhart nur von den Wahlplakaten. Er fragt sich: Warum erwähnt die CDU nicht auch mal, was sich alles verändert hat in Vierteln wie diesem?
Vor ein paar Jahren noch sei die Siedlung wirklich in einem schlimmen Zustand gewesen, erzählt der Streetworker. Deutsche Familien flohen vor dem Fluglärm, Migranten übernahmen die preiswerten Wohnungen. Oft konnte keiner Deutsch, nicht der Vater, nicht die Mutter, also auch nicht die Kinder. Die Häuser waren heruntergekommen, und rund um die Müllcontainer sah es katastrophal aus.
Heute gibt es eine Kletterwand auf dem Sportgelände und zwei Bolzplätze, ein neues Begegnungshaus an der Schrebergartenkolonie, und der Erlebnispfad in der Grünanlage zwischen den Wohnblocks soll auch bald fertig sein. Überall haben die Jugendlichen aus der Siedlung mitgeholfen. Majura versichert stolz: "Die können schon viel. Die brauchen nur Anleitung, Unterstützung und Lob."
Der Streetworker bleibt vor einer Bucht mit Mülltonnen stehen. "Sie sehen", sagt er mit einer ausladenden Geste, "alles ist ganz sauber." Selbst auf den Wegen und Rasenflächen sieht es aus, als befände sich die Ringstraße tief in der schwäbischen Provinz, wo noch die Tradition der Kehrwoche gepflegt wird. Unlängst hat jede Familie eine Chipkarte für die Container bekommen, so wird registriert, wer Abfall einwirft. Obendrein kontrollieren 1-Euro-Jobber aus dem Viertel systematisch, ob doch jemand seinen Unrat anderswo beseitigt. "Unsere Müllsherrifs", so nennt sie der Streetworker. Für Majura zeigen die Müllcontainer exemplarisch, wie sich das Zusammenleben in einem Viertel mit Dutzenden Nationalitäten verbessern kann - wenn es nicht bei gegenseitigen Schuldzuweisungen bleibt.
Roger Lenhart stoppt sein Wahlkampfauto vor einer Schule im benachbarten Rüsselsheim. Es sind noch Ferien, die Anlage liegt verlassen da. "Wer dieses Thema tabuisiert, der treibt die Wähler in die rechte Ecke", sagt er. Am Kant-Gymnasium zum Beispiel hätten die Eltern eine Vereinbarung unterschreiben sollen, dass ihren Kindern zum Mittagessen kein Schweinefleisch mehr aufgetischt werde. Unmöglich, findet der CDU-Politiker, aber die Eltern hätten sich nicht getraut zu protestieren. Also habe er sich eingeschaltet. "Ich kann doch nicht von Integration reden, aber nur weil das Küchenpersonal überwiegend muslimisch ist, bekommen die deutschen Kinder kein Schweinefleisch mehr." Und gerade vor einer Woche, erzählt Lenhart, seien Sternsinger in Raunheim überfallen worden. Jugendliche mit Migrationshintergrund hätten versucht, den Kindern die Sammeldose abzunehmen. Solche Vorfälle ließen die Bürger natürlich aufhorchen.
Auch im Raunheimer Rathaus horchen einige Angestellte auf, wenn sie hören, mit welchen Storys die CDU im Wahlkampf nun punkten will. Die Stadtteilmanagerin Kerstin Mohr teilt sich das Büro mit dem Streetworker Majura. Der Raum liegt im Erdgeschoss gleich hinter dem Eingang, niemand soll die beiden verfehlen. An der Tür kleben Werbezettel für Alphabetisierungs- und Deutschkurse. Seit 2001 arbeitet Kerstin Mohr gegen den Abwärtstrend in der Ringstraße an. Das Viertel wurde in ein Bund-Länder-Programm für "Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf" aufgenommen. Viele der Wohnblocks sind inzwischen saniert, die Grundschule hat neuerdings ganztags geöffnet.
Kerstin Mohr, 36, malt kein idyllisches Bild des Viertels. Sie erzählt von Bräuten, die aus der Fremde in die Siedlung gebracht würden. "Diese Frauen sind oft sehr unglücklich. Sprachkurse sind da ganz wichtig." Denn könnten die Frauen Deutsch, seien sie nicht mehr ganz so der Willkür ihrer Familien ausgesetzt. Die Sozialarbeiterin findet es richtig, dass die Wohnungen in der Siedlung heute nur noch an Familien vermietet werden, in denen wenigstens einer Deutsch kann. Sie schweigt auch nicht zur Jugendkriminalität.
Der CDU-Wahlkampf aber macht sie wütend. "Wieso orientiert sich die CDU nicht mal an den Fakten?", schnaubt sie. Warum erwähne keiner, dass in Raunheim die Zahl der Straftaten rückläufig sei? Dass die Verfahren gegen junge Straftäter oft viel zu lange dauerten? "Stattdessen werden Ängste geschürt", kritisiert Kerstin Mohr, "Ängste vor den Ausländern an sich. Dabei haben die jungen Migranten ohnehin schon viel schlechtere Startchancen." Jetzt schlachte die CDU auch noch den Überfall auf die Raunheimer Sternsinger für ihre Kampagne aus. Obwohl doch nicht bewiesen sei, dass die Kinder von Migranten angegriffen wurden.
Wirklich? Ja, sagt ein Sprecher des Darmstädter Polizeipräsidiums. Zu den Verdächtigen könne er bisher wenig sagen. "Ob der Überfall einen Migrationshintergrund hat, ist nicht klar." Zwar solle einer der Täter eine dunkle Gesichtsfarbe haben. "Die kann man aber auch im Sonnenstudio bekommen", sagt der Beamte, "oder im Skiurlaub."
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