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CDU-Politiker Wolfgang Böhmer ist totEin knorrig-sympathischer Landes­vater

Wolfgang Böhmer war Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt. Meistens stand er drüber. Nur einmal musste er sich bei den ostdeutschen Frauen entschuldigen.

Wolfgang Böhmer (CDU), der ehemalige Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt ist im Alter von 89 Jahren gestorben Foto: Jens Wolf/dpa

Dresden taz | „Die Sache mit dem Grabstein ist geregelt“, erklärte Wolfgang Böhmer zu seinem 80. Geburtstag 2016 gegenüber dem MDR. Wie stets knurrte seine Stimme ein wenig dabei. „Er hat sich Mühe gegeben“, solle darauf stehen. Was heute in Beurteilungen als Chiffre für mäßige Leistungen gilt, traf für den ernsthaft-humorvollen früheren Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt wahrhaftig zu. Bemühungen gegen den Tod aber bleiben letztlich vergeblich. Am vergangenen Wochenende verstarb Wolfgang Böhmer im Alter von 89 Jahren.

Sein Leben war bereits ein erfülltes, bevor er 1991 überraschend als Finanzminister im ersten Magdeburger Nachwendekabinett die politische Bühne betrat. Erst ein Jahr zuvor war er in die Ost-CDU eingetreten. Der gebürtige Oberlausitzer hatte 1959 in Leipzig zum Dr. med. promoviert, arbeitete in Görlitz. Von 1974 bis zu seiner Ministerberufung leitete er die Gynäkologie am Paul-Gerhardt-Stiftskrankenhaus Wittenberg. Mit seiner zumindest indirekten Hilfe sollen etwa 30.000 Kinder zur Welt gekommen sein.

Wenn jetzt in weit über Pflichtrespekt hinausgehenden Nachrufen seiner gedacht wird, hat das auch mit Böhmers Auftreten als Landesvater von 2002 bis 2011 zu tun. „CDU-Landeschef Wolfgang Böhmer scheint immer noch nicht ganz sicher zu sein, dass er es wirklich werden will“, schrieb die taz 2002 über seine Aufstellung zum Spitzenkandidaten bei der Landtagswahl. „Wo ein Höppner sich nach vorn beugt, sieht man Böhmer meist zurückgelehnt, distanziert, die großen, klugen Augen schweifen lassend“, las man damals im Doppelporträt mit Amtsinhaber Reinhard Höppner von der SPD.

Selbstinszenierungen passten nicht zu ihm, und emphatische Volksreden waren Böhmers Sache nicht. Er war kein Parteisoldat, war keine Ochsentour hinaufgekraxelt, gerierte sich auch nicht als Besserossi. Nüchtern, pragmatisch, manchmal bärbeißig, aber mit trockenem Witz erlebte man ihn gleichermaßen persönlich, von Rednerpulten und vor Kameras. Dieses unaufgeregte Auftreten hat Wolfgang Böhmer in seinen neun Jahren als Ministerpräsident eine gewisse Popularität verschafft. Sie stand im Gegensatz zu den zahlreichen Skandalen bis in seine Umgebung hinein, von den im irrsinnigen Flughafenprojekt Cochstedt versenkten Millionen bis hin zu zahlreichen Korruptionsaffären. Böhmer stand drüber.

Selbstbewusstsein fürs Bindestrich-Land

Nur einmal bekamen „Haltung und Format“, die die CDU würdigt, einen Kratzer. 2008 brachte Böhmer in einem Focus-Interview Kindstötungen in Ostdeutschland mit der liberalen Abtreibungspraxis der DDR seit 1973 in Verbindung und unterstellte Frauen hier eine „leichtfertigere Einstellung zu werdendem Leben“. Dafür entschuldigte er sich öffentlich im Landtag.

Heute dankt ihm die Union in ihrem Nachruf vor allem für den Wahlerfolg 2006 mit 36,2 Stimmenprozenten, der „untrennbar mit seinem Namen verbunden ist“. Er habe stets für eine klare Linie, Stabilität und Verlässlichkeit gestanden. Von Stabilität sprechen auch die Grünen, die in Böhmer einen „aufrechten Demokraten und würdigen Landesvater anerkennen. Schon 2013 hatte ihn die Lutherstadt Wittenberg zum Ehrenbürger ernannt.

Böhmer hat auch dem Selbstbewusstsein eines nicht nur von Affären geplagten, sondern auch mit dem Dauerimage der Roten Laterne behafteten Bindestrich-Landes aufgeholfen, ließe sich hinzufügen.

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