CDU-Anfrage zu Scheibenputzern: Armut kann man nicht wegwischen
Die CDU will vom Senat wissen, was er gegen Scheibenputzer unternimmt, die „gegen“ Autofahrer betteln. Diese Formulierung ist vielsagend.
Ja, es nervt bisweilen. Kaum schaltet die Ampel auf Rot, laufen die Frauen und Männer herbei. Trotz lautem „Nein“ und abwehrenden Handbewegungen sprühen sie Putzmittel auf die Autoscheibe, wischen nach. Und werden sauer, wenn man für die unerwünschte Aktion kein Geld geben will.
Das ist unangenehm. Aber muss man deswegen gleich gegen diese offensichtlich armen Leute vorgehen? Der CDU-Abgeordnete Hans-Christian Hausmann fände das richtig: In einer am Dienstag veröffentlichten Anfrage wollte er wissen, was der Senat gegen die Scheibenputzer unternimmt. Die Stoßrichtung wird schon im Titel der Anfrage deutlich: „Aggressives Betteln gegen Autofahrer an Ampeln“.
Wie geht das, „gegen“ jemanden zu betteln? Was wie eine sprachliche Ungenauigkeit daherkommt, sagt viel über Hausmanns Sicht auf die Dinge. Opfer sind für ihn die Autofahrer und eben nicht die Bettler. Mal ehrlich: Wenn Menschen es nötig haben, die Sommermonate nach Berlin zu kommen, um hier beim Scheibenputzen ein paar Euro zu erbetteln, was sind sie dann, wenn nicht Opfer?
Die SPD geführte Innenverwaltung hält sich in ihrer Antwort mit einer politischen Wertung zurück. Im schönstem Amtsdeutsch arbeitet sich Staatssekretär Christian Gaebler durch die Vorschriften und zeigt auf, gegen welche die Wischer verstoßen haben könnten. Fazit: „Das Scheibenputzen selbst erfüllt keinen Straftatbestand.“ Es könne aber eine Verkehrsordnungswidrigkeit sein. An Brennpunkten würden „Verstöße gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung“ konsequent geahndet, so Gaebler. In welchem Umfang, konnte er nicht sagen.
Seit die EU-Freizügigkeit gilt, wird die Armut in Südosteuropa auch in Berlin sichtbar. Platzverweise kann man punktuell aussprechen, aber sie ändern nichts an dem grundsätzlichen Problem. Deshalb: Nicht aufregen, wenn die Leute mit den Wischern kommen! Lasst sie machen! Diese Begegnungen muss man aushalten können.
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