CDU-Abgeordnete stimmen für den Klimavertrag und polemisieren gegen den Klimaplan. Warum?: Reden ist Kohle, Schweigen ist Gold
Wir retten die Welt
von Bernhard
Pötter
Meine Tochter, 10.Klasse, lernt in der Schule, wie wir regiert werden. Also, in der Theorie.
„Wer macht die Gesetze?“, fragt sie. „Merkel?“
„Nein“, sage ich, obwohl ich es besser weiß, „der Bundestag. Das Parlament.“
„Aha. Und das sind die Abgeordneten, die wir wählen.“
„Genau“, sage ich. „Also, du nicht, sondern wir. Pro Wahlkreis ein Abgeordneter. Und dann noch die Zweitstimme.“
Zweitstimme? Es dauert ein bisschen, aber dann hat sie das auch noch begriffen, besser als viele Wahlberechtigte. Sie fasst zusammen: „Das Volk schickt seine Abgeordneten ins Parlament, die die Gesetze machen. Die müssen uns erklären, was sie machen.“
Wie gesagt, das war jetzt die Theorie.
In der Praxis liegt ein Brief vor mir, den vier Abgeordnete der Unionsfraktion im September ans Kanzleramt geschrieben haben. Sie beschweren sich über den „Klimaschutzplan 2050“, mit dem das Umweltministerium die Verpflichtungen aus dem Pariser Abkommen umsetzen will. Die vier Parlamentarier fahren großes Geschütz auf: „Grundsätzliche Kritik“, „einseitig staatliche Vorgaben statt Markt“, „keine wissenschaftliche Fundierung“, „große Gefahr für Wirtschaft, Wohlstand und sozialen Zusammenhalt.“
So gefährlich war mir das Konzept aus dem Hause Hendricks nicht vorgekommen. Immerhin hatten die anderen Ministerien ihm schon die meisten Zähne gezogen. Umso interessanter, denke ich. Wenn den vier Abgeordneten nicht gefällt, wie die Umweltministerin von der SPD ihrer Koalition das Problem lösen will, haben sie sicher bessere Ideen. Das ist schließlich die Aufgabe einer Opposition.
Also: mal nachfragen. Die Viererbande ist ja durchaus prominent: Alle sind stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion: Georg Nüßlein, CSU, Gitta Connemann, Michael Fuchs und Arnold Vaatz, alle CDU. Sie waren am 22. September beim einstimmigen Beschluss des Bundestags dabei, der das Pariser Abkommen ratifizierte. Gleich danach haben sie in diesem Brief den Klimaschutzplan als Teufelswerk der Ökodiktatur gebrandmarkt. Ich würde gern ein Interview führen: Was war jetzt ernst gemeint, Ihr Votum oder Ihr Brief? Welche besseren Ideen haben Sie, um die Klimaziele zu erreichen?
Es werden viele Telefonate und Mails. Und es gibt kaum Ergebnisse. Zu sprechen ist keiner der Parlamentarier. Arnold Vaatz, selbst mal Umweltminister in Sachsen, lässt ausrichten: keine Zeit. Auch wenn ich wochenlang warte und 24/7 verfügbar bin. Michael Fuchs: „Nicht zu erreichen“, sagen seine Mitarbeiter. Der Fraktionsvize der Regierungsfraktion ist offenbar tagelang verschollen. „Herr Nüßlein meldet sich.“ Tut er aber nicht, auch nicht bei mehrfachem Nachfragen. Immerhin: Frau Connemann antwortet, wenn auch nur schriftlich, auf eingereichte Fragen. Und nur zu ihrem Thema, der Landwirtschaft. Man dürfe die Bauern nicht zu Sündenböcken machen, schreibt sie, Hendricks mache heimlich Agrarpolitik und zudem sei die Landwirtschaft total effizient und ernähre „mit 8 Prozent der Emissionen 100 Prozent der Bevölkerung.“ Darüber kann man streiten. Aber über die wichtigsten Themen Energie, Industrie, Verkehr kommt von den vier Klimakritikern keine einzige Idee.
Fazit: Die Granden der Unionsfraktion heben im Parlament brav die Hand für den Klimaschutz, sind aber dagegen, wenn er konkret umgesetzt wird. Ihre Oppositionsrolle zu erklären oder gar eigene Vorschläge zu machen, dafür ist keine Zeit oder Gelegenheit. Direkte Nachfragen sind schwierig. Und werden nach diesem Text wohl auch nicht einfacher.
Meine Tochter kam übrigens mit einer eins in der Klassenarbeit nach Hause. Sie hat unser Regierungssystem begriffen. Bei den Vizechefs der Unionsfraktion im Deutschen Bundestag bin ich da nicht so sicher.
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