CCS-Technologie gegen den Klimawandel: Begraben in der Tiefe des Gesteins
In der Klimakrise will Island massenhaft CO2 einsammeln und als festes Material im Vulkanboden einlagern. Kann das gelingen? Ein Besuch.
Eisiger Wind bläst über die Gerölllandschaft, die sich bis ins Endlose auszudehnen scheint. Nebelschwaden ziehen an drei kleinen stählernen Kuppeln vorbei, die an Raumkapseln erinnern.
In einer von ihnen steht Edda Sif Aradóttir und deutet auf ein Rohr, das in die Kuppel hineinragt, dort in einem 90-Grad-Winkel abknickt und im Erdboden verschwindet. Was dort in Schwefelwasserstoff gelöst bis zu 800 Meter tief hinabrauscht, ist ein Molekül, das sich zum Hauptproblem der Menschheit entwickelt hat: Kohlendioxid. „Wir müssen einen Weg finden, einen Großteil des CO2 zu eliminieren, das wir derzeit ausstoßen“, sagt die Chefin von Carbfix, einem isländischen Unternehmen, das genau das in großem Stil vorhat. „Und zwar jetzt und nicht erst in ferner Zukunft.“
Wenn ab dem 31. Oktober Diplomaten aus aller Welt den Weltklimagipfel in Glasgow einläuten, geht es auch um eine Kurskorrektur: Die Länder der Welt wollen sich ehrgeizigere Klimaschutzpläne geben, um die Ziele des Pariser Klimaabkommens noch zu erreichen, also die Erderhitzung auf möglichst 1,5 Grad Celsius zu begrenzen.
Das aber, so geht es aus dem ersten Teil des neuen Weltklimaberichts hervor, sei eigentlich gar nicht mehr zu schaffen; schließlich stünden wir schon bei 1,2 Grad und noch über Jahrzehnte wird die Welt massenhaft Emissionen ausstoßen. Nur eine Möglichkeit gebe es noch, das Ziel zu erreichen und bis Mitte des Jahrhunderts klimaneutral zu werden: Ein beträchtlicher Anteil der Treibhausgase muss wieder raus aus der Atmosphäre.
Beutel in der Lavalandschaft
Ein paar Hundert Meter von der Stahlkuppel entfernt prangt in der Lavalandschaft im Südwesten Islands ein weiteres futuristisches Bauwerk, das wie ein übergroßer leerer Würfel aussieht. An dessen Seitenwänden hängen Dutzende riesige Beutel. In regelmäßigen Abständen stellen sie sich horizontal auf, um dann wieder zu erschlaffen.
Wie bei umgedrehten Ventilatoren saugt ein Gebläse die Umgebungsluft an und presst sie durch Filter aus Zellulose. Diese sind beschichtet mit einer Flüssigkeit, die CO2 in Form von Salzen bindet. Durch Erwärmung auf 100 Grad löst sich dieses vom Filter, wird abgesaugt und in Pipelines abtransportiert. Das angrenzende Geothermiekraftwerk Hellisheiði liefert dafür Strom und Wärme.
Ein junger Mann, mit Warnweste und Schutzhelm bekleidet, schreitet in die Mitte der Anlage und ruft gegen das Dröhnen der Maschinen an. „Hier atmen wir Luft wie zu vorindustriellen Zeiten“, sagt Kári Helgason, Leiter der Forschungsabteilung von Carbfix.
Im September ging die CO2-Filteranlage der Schweizer Firma Climeworks in Betrieb, es ist die weltweit größte ihrer Art. 4.000 Tonnen Kohlendioxid soll sie pro Jahr der Luft entziehen, was im Vergleich zum weltweiten Ausstoß nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein ist. Ab dem Jahr 2030 sollen es, wenn alles nach Plan läuft, schon mehrere Millionen Tonnen CO2 sein, die Module lassen sich beliebig aufstocken. Schon heute zahlen Audi und Microsoft dafür, ihre Emissionen auszugleichen, aber auch die britische Band Coldplay – für eine klimaneutrale Tournee. „Wir müssen die Emissionen herausfiltern, um für unsere Sünden zu bezahlen“, sagt Helgason.
Umstrittene Technologie
Auch anderswo auf der Welt laufen Pläne, CO2 unter die Erde zu pressen. In den meisten Fällen allerdings kilometertief unter den Meeresboden, um sie in ehemaligen Öl- und Gasreservoirs zu speichern. In Deutschland ist diese Variante der Carbon Capture and Storage-Technologie (CCS) hochumstritten – nicht zuletzt aufgrund des Restrisikos, dass das Klimagas irgendwann wieder an die Oberfläche entweichen könnte.
In Island stellt sich diese Frage nicht. Schon seit 2014 wird dort CO2 in den Basaltboden eingelagert – am Anfang stammte es aus dem benachbarten Geothermiekraftwerk, wo es als Nebenprodukt anfällt. Das nunmehr direkt aus der Luft gefilterte und in Wasser gelöste Treibhausgas fließt durch eine Pipeline ins Stahliglu von Edda Aradóttir und weiter in den Untergrund. Was dort passiert, klingt fast zu gut, um wahr zu sein: In gerade mal zwei Jahren mineralisiert sich das CO2, wie eine Science-Studie im Jahr 2016 ergab.
Aradóttir greift sich aus einer Kiste einen durchlöcherten Gesteinsbrocken. Kommt Kohlensäure in Kontakt mit Basaltgestein, das viel Magnesium, Calcium und Eisen enthält, entstehen Karbonate. Die Ingenieurin mit den blonden Haaren unter dem Schutzhelm greift nach einem weiteren Stein in der Kiste, diesmal ist er ausgefüllt mit weißen Einsprengseln. „Die Basaltsteine sind wie ein Schwamm“, erklärt sie. „100.000 Tonnen CO2 haben wir auf diese Weise schon materialisiert.“
Bis 2030 sollen es mehrere Millionen Tonnen werden, aber selbst dann sei das Potenzial noch lange nicht ausgeschöpft: Allein im Boden Islands, der zu 90 Prozent aus Basaltgestein besteht, ließe sich 80- bis 200-mal so viel CO2 einlagern, wie die Welt pro Jahr ausstößt, erklärt Helgason. Das Potenzial sei auch in anderen Weltgegenden groß – darunter im Norden Deutschlands, in Indien oder den USA. Im Südosten des Bundesstaats Washington gibt es bereits ein ähnliches Projekt. Weil sich durch die Versteinerung nach einer gewissen Zeit die Bohrlöcher wieder selbst versiegeln, bräuchte es allerdings sehr viele davon.
Machbarkeit belegt
Dem Geowissenschaftler Hao Wu von der Technischen Universität in Virginia zufolge haben die beiden Pilotprojekte die Machbarkeit des Verfahrens erfolgreich demonstriert. Bevor das Verfahren anderswo im industriellen Maßstab angewendet werden kann, müsste allerdings der Zusammenhang zwischen Mineralisierung und Strömungsverhalten der Flüssigkeiten besser untersucht werden, schrieb er im Juli im Fachblatt International Journal of Greenhouse Gas Control.
Anders als im Fall der umstrittenen Fracking-Technik zur Erdgasgewinnung müsse das CO2 aber nicht mit Hochdruck kilometertief in die Erde gepresst werden, was zumindest Risiken wie etwaige Erdbeben klein hält. Nichtsdestotrotz bleiben es massive Eingriffe in die Landschaft. Island ist aber gewillt, diesen Weg zu gehen, um nicht nur die eigenen Emissionen auszugleichen, sondern auch die seiner Nachbarländer.
Am Industriehafen von Straumsvík im Südwesten des Landes könnte schon bald emsiger Betrieb herrschen, wenn Bagger Land aufschütten und neue Docks entstehen, für das geplante sogenannte Coda-Terminal. Im Jahr 2025 erwartet Helgason das erste Schiff aus dem Ausland, beladen mit Stahltanks. Darin: gekühltes und flüssiges CO2.
Bis 2030 soll die gesamte Infrastruktur stehen: Pipelines, Tanks, Schiffe – sowie das 200-Millionen-Dollar-Terminal. Investoren würden schon Schlange stehen, das sei nicht das Problem, sagt Helgason. Die eigentliche Herausforderung sei: Das CO2 in anderen Ländern abzuscheiden und auf wirtschaftliche Weise bis nach Island zu befördern. 20 bis 50 Dollar pro Tonne erwartet Helgason für den Transport.
Weniger als 20 Euro pro Tonne
Die Kosten für die Einlagerung selbst dürften hingegen in naher Zukunft unter 20 Euro pro Tonne Kohlendioxid liegen – weniger als der aktuelle Preis im EU-Zertifikatehandel. Ob die Rechnung aufgeht und die Vision von Helgason, einen Beitrag zu einer neuen grünen Wirtschaft zu leisten, wird also maßgeblich davon abhängen, wie schnell der CO2-Preis steigt.
Für Island könnte sich damit ein neues Geschäftsmodell eröffnen. Das Land, dessen Wirtschaft praktisch nur auf Tourismus und Fischerei beruht, könnte eine dritte Säule dringend gebrauchen.
Kritiker des Projekts argumentieren von zwei Seiten her: Den einen geht es zu langsam, den anderen zu schnell. Die einen monieren, dass die Mengen an CO2, die bislang egalisiert werden, noch verschwindend gering sind. Die anderen fürchten, dass sich schon bald viele Firmen lieber freikaufen oder ihren CO2-Abfall verschiffen, statt sich mit viel Geld klimaneutral aufzustellen. Helgason will deshalb solche Kunden „bevorzugen“, die anders nicht ihre Emissionen senken können. Stahl- oder Zementwerke zum Beispiel.
Edda Aradóttir drückt es in der Stahlkuppel inmitten der Vulkanlandschaft so aus: „Island kann die Klimakrise nicht im Alleingang lösen.“
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