piwik no script img

Butler und die neue jüdische EthikAntizionismus als Pflicht

Können Israelis und Palästinenser gleichberechtigt zusammenleben? Nur nach der Demontage des politischen Zionismus, meint die Philosophin Judith Butler.

Judith Butler spricht sich gegen eine Zwei-Staaten-Lösung aus. Bild: imago / Uwe Steinert

Kritiker des Staates Israel und seiner Siedlungspolitik geraten schnell unter den Verdacht des Antisemitismus – so auch die prominente jüdische Philosophin Judith Butler.“ Mit diesem Satz kündigt der Verlag das neue Buch Butlers an.

Die 1956 in Cleveland geborene Professorin für Vergleichende Literaturwissenschaften und Rhetorik an der University of California in Berkely zählt zu den einflussreichsten Queer-Theoretikerinnen.

Tatsächlich hatte die Verleihung des Theodor-W.-Adorno-Preises der Stadt Frankfurt an die Israelkritikerin im Jahr 2012 für heftige Kontroversen gesorgt. Butler wurde als Antisemitin bezeichnet. Mit Verweis auf ihre eigene jüdische Biografie wies sie die Anwürfe als „absurd und schmerzlich“ zurück.

taz am wochenende

Mal ein, zwei Gläschen Wein? Wir verharmlosen unseren Alkoholkonsum, warnen Drogenbeauftragte. Warum auch Sie Ihr Trinkverhalten vielleicht überdenken sollten, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 5./6. Oktober 2013 . Darin außerdem: Es ist nicht rassistisch, Differenzen zu benennen – sie zu verschweigen ist das Problem. Und: Der Kulturtheoretiker Klaus Theweleit über Männer, Mythen und Gewalt. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Nun ist ein Buch auf Deutsch erschienen, das als Entgegnung verstanden werden kann. In „Am Scheideweg. Judentum und die Kritik am Zionismus“ versucht Butler sich an einer neuen jüdischen Ethik. Zunächst habe sie die Behauptung widerlegen wollen, „jegliche Kritik am Staat Israel sei faktisch antisemitisch“, schreibt Butler – dann landete sie bei der Frage, ob eine jüdische Kritik an Israel ethisch geboten sei und das Zusammenleben von Juden und Nicht-Juden als „Kernbestand“ des Diaspora-Judentums gelten könne.

Ethik der Kohabitation

Denn die Diaspora habe zwar den Zionismus hervorgebracht. Im Zusammenleben mit den Nicht-Juden aber auch eine „Ethik der Kohabitation“. Israel bot den verfolgten Juden Zuflucht, produziert jedoch seit 1948 selbst Flüchtlinge – ein Widerspruch, dem man sich stellen müsse.

Um jene jüdische Ethik zu entwickeln, sichtet Butler etwa die Schriften von Primo Levi und Edward Said. Sie greift auf Gedanken des palästinensischen Kulturtheoretikers Said zurück, um aus der jüdischen Exil-Erfahrung ein Bündnis mit den Palästinensern abzuleiten. Sie argumentiert mit Emmanuel Levinas’ Gebot der Verantwortung für den Anderen und mit Walter Benjamins Kritik der staatlichen Gewalt gegen den israelischen Nationalstaat. Ihre Forderung nach Kohabitation übernimmt Butler von Hannah Arendt.

Die Pflicht zum gleichberechtigten Zusammenleben sah Arendt in der Tatsache begründet, dass wir uns – eine Umkehrung des Urteils, das sie in „Eichmann in Jerusalem“ über den Massenmörder sprach – nicht aussuchen können, mit wem wir auf der Erde leben. Diesen Ansatz greift Butler in der Auseinandersetzung mit jedem der Theoretiker wieder auf.

Schuld am Scheitern hat der Zionismus

So differenziert sie die widersprüchlichen Gedanken anderer zur Gründung Israels wiedergibt, so engstirnig wird Butler, wenn es um das heutige Israel geht. Schuld am Scheitern eines Zusammenlebens ist für sie ein – nicht weiter definierter – politischer Zionismus, der „Unterdrückung, Zerstörung oder Vertreibung der Einheimischen“ verlange. Sie konstruiert ein Gegensatzpaar: Entweder man ist Zionist oder für ein gleichberechtigtes Zusammenleben.

Butler wendet sich gegen die Gleichsetzung von Jüdischsein und Zionismus, um sogleich den antizionistischen Widerstand zur jüdischen Pflicht zu erklären: „Ebenso, wie man sich gegen die hegemoniale Kontrolle des Judentums durch den Zionismus wehren muss, muss man sich auch gegen die koloniale Unterdrückung wehren, die der Zionismus dem palästinensischen Volk gebracht hat.“

Die „Demontage des politischen Zionismus“ wird so die Voraussetzung für Koexistenz. Eine neue postzionistische Ethik könnte die Grundlage für eine Zeit nach der Besetzung bilden – als besetzt gelten Butler nicht Gaza und das Westjordanland, sondern ganz Israel, da sie bereits die Staatsgründung für unrechtmäßig hält.

Hannah Arendt als Kronzeugin

Das Buch

Judith Butler: „Am Scheideweg. Judentum und Kritik am Zionismus“. A. d. Eng. v. Reiner Ansén. Campus Verlag, Frankfurt/Main 2013, 277 S., 28,90 Euro

Schließlich lässt Butler ausgerechnet Hannah Arendt für sich sprechen. Schon in der Einleitung wird diese als vehemente Kritikerin des Zionismus eingeführt. Tatsächlich war Arendt in den 30ern überzeugte Zionistin. Mit einem israelischen Nationalstaat, der die Palästinenser zu Menschen zweiter Klasse erklärt, wollte sie sich dennoch nicht abfinden, kritisierte die fehlende Trennung von Staat und Religion oder die Abhängigkeit von den USA. Aber Arendt als Kronzeugin für Butlers jüdischen Antizionismus? Absurd. Butler ist zu dogmatisch für Arendts Denken, sie kann lediglich populistische Gegensätze konstruieren.

Einmal schließlich kommt Butler auf die andere Seite des Konflikts zu sprechen: „Und wenn erwidert wird, dass ich die Fehler der Palästinenser in diesem Szenario außer Acht lasse, antworte ich, dass es gewiss bessere und schlechtere Wege für eine Widerstandsbewegung gegen koloniale Besatzung gibt.“

Schon 2006 hatte die Philosophin die Hisbollah und die Hamas als progressiv und Teil der globalen Linken bezeichnet – rein deskriptiv, wie sie später sagte. Von deren Terror distanziert sie sich, zu einer Distanzierung von den politischen Zielen – beide akzeptieren Israels Existenz nicht – hat sie sich nie durchringen können.

Moralisierende Staatskritik

Diese Blindheit ist Butlers moralisierender Staatskritik geschuldet, aus der sich per se die Solidarität mit den Marginalisierten als Opfer staatlicher Gewalt ergibt. Entsprechend blind bleibt sie auch beim Antisemitismus, den sie nur als Instrument ansieht, mit dem Israel seine Kritiker mundtot macht. Und da Kritiker in Butlers Sinne jene sind, die Israels Existenzrecht in Frage stellen, muss die Philosophin ein ums andere Mal betonen, dass es einen Unterschied zwischen der Verneinung der legalen und der faktischen Existenz Israels gebe.

Doch nicht alles bleibt so abstrakt. Butler spricht sich gegen eine Zweistaatenlösung aus. Stattdessen plädiert sie für eine Wiederansiedlung der Palästinenser. Als Grundlage für das Zusammenleben soll ein diasporisches Bündnis, die gemeinsame Erfahrung von Vertreibung und Exil dienen. Das klingt gut. Aber wer kann sich vorstellen, dass die Hamas dies akzeptiert?

„Ich bin nicht Pessimist genug, um zu glauben, dass Israel immer so sein wird“, wird im letzten Kapitel Primo Levi zitiert. Doch Butler ist genau das. Zugleich immunisiert sie sich gegen Kritik, indem sie die Position ihrer Kritiker von vornherein als unmoralisch erklärt, während sie sich an der Seite der Opfer wähnt. So tut sie letztlich das, was sie ihren Gegnern vorwirft.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

22 Kommentare

 / 
  • F
    Frank

    Butlers Argumentation krankt vom Fuss an: Man kann Zionist sein, ohne Jude zu sein. Als Jude kann man ebenso Zionist und Antizionist sein. Diese orthodoxen Mea Shearim-Juden sind doch eh alle Antizionisten.

  • C
    Crusti

    Schaut man sich mal die anderen Adornopreisträger (bspw. Godard) so an, dann ist die Preisvergabe an Butler nur konsequent.

     

    www.youtube.com/watch?v=GQsvOwq7QFU&feature=player_embedded

     

    Zur Info: Gegenveranstaltung zu Butler: www.youtube.com/watch?v=ialhit9ineI&feature=youtu.be&t=25m40s

  • Vielleicht zurück zu dem hier rezensierten Buch von Judith Butler und jenseits hypothetischer, grundsätzlicher Erwägungen zum Nahostkonflikt.

     

    Hin zu einer Rezension vielleicht, und ganz anders als die hier vorliegende, aus irgendwie "deutscher" Sicht. Eine Rezension, welche die jüdische und dennoch cosmopolitische Sicht beinhaltet, so wie sie Carlo Strenger auf Basis des englischen Originaltextes aus 2012 in der israelischen Tageszeitung Haaretz anbietet: http://notina.net/ju

     

    Ok, Paycontent! Qualität eben...; aber man kann sich für zehn frei lesbare Beiträge im Monat dort registrieren.

     

    Und somit war genau diese Rezension von Strenger der Anstoß, mir diese Buch umgehend zu beschaffen.

    • @ebertus:

      ob da beim übersetzen was schief gelaufen ist? kann ich mir beim campus-verlag garnicht vorstellen.

      andererseits: wieso schreibt frau Vogel eine rezension über Butler statts übers buch?

  • V
    Victor

    Geim Streit um Israel und Palästina wird immer vergessen, dass es einen palästinensischen Staat bereits gibt. Das ist nämlich Jordanien, das mehrheitlich von Palästinensern bewohnt wird. Außerdem nimmt der Staat Jordanien einen erheblichen von Palästine ein. Eine langfristige, stabile Lösung müsste die arabisch-palästinensischen Gebiete Jordanien und Westbank vereinigen. Gaza sollte nach dem Sturz der Hamas wieder an Ägypten angegliedert werden. So wäre der Konflikt endgültig gelöst. Man darf auch nicht ausser Acht lassen, dass in Israel etwa eine Million geflohene Juden aus arabischen Staaten angesiedelt wurden, also mehr als araber aus den heute israelischen Territorien geflohen sind. Rechnet man die daraus folgenden Forderungen beider seiten gegeneinander auf, könnte man zum Schluss kommen, dass sie quitt sein sollten. Mit anderen Worten,der Konflikt wird von arabischer Seite absichtlich aufgebauscht.

  • Eine Einstaatenloesung ist die einzig moegliche Loesung, wenn man das Jerusalemproblem loesen will. Solange dieses Problem nicht geloest ist, wird es immer Krieg geben.

  • S
    Schade

    Peinliche Schlussfolgerungen der Frau Vogel zu Butlers Gedankengängen. Soviel hätte sie wissen müssen:

    "Arendt erkannte schnell den exklusiven, auf Ethnie aufgebauten Charakter des Zionismus und sein Gewaltpotenzial, die ihrer Idee eines zivilen Staats widersprach. Gerade den militaristischen Charakter Israels und seine Abhängigkeit von äußeren Großmächten lehnte sie ab, denn darin erkannte sie schon früh eine Quelle zunehmender Isolierung und wachsenden Hasses in der Region. Ein militärisches Projekt, wie der Zionismus nun einmal ist, und ein messianisches Projekt, das "Land der Väter", eine mythische Urheimat zu besiedeln, konnte Arendt nicht akzeptieren. Ihre Ablehnung des Nationalstaats und dessen Exklusivansprüchen und Ausgrenzungsmechanismen gegenüber ethnischen Minderheiten führte unausweichlich zu einem Konflikt mit dem zionistischen Establishment, das ja den jüdischen Charakter Israels immer betonte"

    Quelle: http://www.taz.de/1/archiv/archiv/?dig=2006/10/14/a0145

  • "Hatten die jüdischen Sieder 48 eine Wahl oder wurde das friedliche Zusammenleben überhaupt von den Zionisten beendet?"

     

    Sie haben vielleicht in jenen arabischen Doerfern alle Bewohner ermordet. Die Araber sollen daraus aber ein Maerchen gemacht haben, in dem vorher auch noch die Grossmuetter vergewaltigt wurden. Das wollte sich keine arabische Grossmutter bieten lassen und ging. Mehr Schuld der Araber ist nicht zu erkennen. Dass das Opfer eine Massakers dieses verursacht haben koennte, ist absurd. Es war genau der gleiche aggressive Eroberungsdrang, der noch heute herrscht. "Und sie nahmen das Land, das der Herr ihnen gegeben hatte."

  • Ebertus ist im Wesentlichen zuzustimmen. Die taz sollte kompetentere Rezensent(inn)en beauftragen. Oder gilt in der Dutschke-Straße dieselbe Pro-Israel-Doktrin wie nebenan bei Springer?

    • @Heiner Zok:

      Danke für die Zustimmung. Dennoch wollte ich in dem Kontext eine Lanze für die taz brechen, gerade weil hier in einem anderen Kommentar BDS als sehr negativ konnotiert erwähnt wird.

       

      Vor einigen Monaten fand im taz-cafe eine sehr informative Veranstaltung zum Thema BDS statt, bei der Omar Barghouti durchaus überzeugte in seiner Argumentation, Micha Brumlik sich dagegen sichtlich schwer tat. Hier der Link auf meine Website, meinen vor Ort gewonnenen Eindruck:

       

      http://notina.net/nu

    • J
      Johnny
      @Heiner Zok:

      Muss denn in der Dutschke-Straße unbedingt ein "Vernichtet alles jüdische Leben!"-Ruf zu vernehmen sein, wie man ihn unterschwellig anstimmt, wenn man eine Einstaaten-Endlösung fordert?

      • @Johnny:

        Eine Einstaatenloesung soll alles juedische Leben vernichten? Es gibt ganz sicher ausserhalb von Israel mehr juedisches Leben als darin.

      • @Johnny:

        Nein, ein "Deutscher" darf das natürlich nicht fordern, nicht einmal darüber nachdenken.

         

        Ist aber auch nicht relevant. Die wesentlichen Diskussionen finden jenseits der von Moshe Zuckermann hierzulande erkannten und immer noch leidlich wirksamen Antisemitismuskeule statt;

         

        via Mondoweiss beispielsweise nachzulesen: http://notina.net/wp

        • @ebertus:

          Deutsche duerfen darueber sehr wohl nachdenken. Wie sie darueber reden, ist eine andere Frage. Es gibt auch Gespraechspartner ausserhalb von Deutschland, wo einer mit einer Knarre herumlaeuft, weil er sie angeblich braucht. Irgendwer hat die deutsche Haltung mal treffend wie folgt beschrieben: "Du willst Dich wohl fuer den Holocaust entschuldigen." Juden und Deutsche, wenn man das ueberhaupt so sagen kann, sind nicht besser und schlechter als andere Menschen.

  • Für eine lebenswerte Zukunft von jüdischen Israelis und Palästinensern wäre mehr pragmatische Politik im Gegensatz zu mehr moralischen Höhentönen nötig. Es gibt diesen Dialog zwischen pragmatischen Israelis und pragmatischen Palästinensern. Aber genau diesen Dialog bekämpft BDS wie die Pest. Stattdessen noch mehr Ideologie von Butler. Ihre Standpunkte sind falsch. Sie spricht nicht für die LGBT Bewegung und nicht für die Linke.

  • DD
    D. Darko

    Vielleicht gehört das Schlagwort "Zionismus" mal auf den Prüfstand. Nach meinem Dafürhalten hat der moderne Staat Israel mit dem altehrwürdigen Zionismus eines Theodor Herzl kam noch was zu tun. Die Begriffsnutzung geschieht längst nur noch im Sinne einer verklärenden Mythologie, ist daher ohne An- und Abführungsstriche an und für sich schon ein Fundamentalismus.

     

    Bereits die Staatsraison des frisch gegründeten Staates Israel hatte das Denkmodell des Zionismus überwunden, man kann also seit 1949 wissen, dass es um etwas Weiterführendes geht.

     

    Der Missing Link zum Antisemitismus ist hierbei genau diese bevormundende Auslegung der Theorie im Bezug auf eine zwar behauptete, aber faktisch inexistente Praxis, die Butler bereits betreibt, wenn sie weiter unreflektiert von Zionismus daherredet, als einen Begriff, den schon jeder verstehen wird, weil er ja so sonnenklar erscheint.

     

    Ebenso sprach man übrigens früher vom Kommunismus, ebenso wird heute vom Islamismus gesprochen.

    • @D. Darko:

      der altehrwürdige zionismus eines Theodor Herzl las sich so:

      "Bei der Landnahme bringen wir dem Aufnahmestaate gleich Wohlfahrt zu. Den Privatbesitz der angewiesenen Ländereien müssen wir sachte expropriieren.

      Die arme Bevölkerung trachten wir unbemerkt über die Grenze zu schaffen, indem wir ihr in den Durchzugsländern Arbeit verschaffen, aber in unserem eigenen Land jederlei Arbeit verweigern.

      Die besitzende Bevölkerung wird zu uns übergehen. Das Expropriationswerk muß, ebenso wie die Fortschaffung der Armen, mit Zartheit und Behutsamkeit erfolgen. (...)

      Heute steigt mir der Gedanke auf, ob ich nicht viel mehr als die Judenfrage löse.

      Nämlich tout bonnement die sociale Frage!"

       

      (Theodor Herzl, Briefe und Tagebücher, hrsg. von Alex Bei, Hermann Greive, Moshe Schaerf, Julius H. Schoeps, Frankfurt/M. 1983, Bd. 2, 117ff)

      zu Herzls entlastung ist dazu zu sagen, dass er sich kein konkretes "Aufnahmeland" vorstellte. das kam erst später.

      nachzulesen in den protokollen der zionistischen kongresse.

      und noch etwas später kam Jabotinsky mit http://www.marxists.de/middleast/ironwall/ironwall.htm

      heutzutage spricht zionismus sich als "the one and only jewish state" aus (Netanyahu) und befolgt immer noch die grundsätze von "eroberung des bodens" und "eroberung der arbeit".

      wie also soll man das, worauf man sich heute bezieht, anders nennen als zionismus?

  • "Schuld am Scheitern eines Zusammenlebens ist für sie ein – nicht weiter definierter – politischer Zionismus, der „Unterdrückung, Zerstörung oder Vertreibung der Einheimischen“ verlange."

     

    schreibt hier die Autorin; und zählt dabei recht blauäugig auf, was Butler wohl nicht weiter definieren muss. Wenn man hier als Rezensentin israelische oder nordamerikanische (Online)Medien wie Haaretz, +972mag oder Mondoweiss lesen wollte, dann wird dort mehr als nur "definiert"; wird Besatzung und Apartheid in erschreckender Nähe deutlich.

     

    Vielleicht wäre auch ein Schwenk auf das aktuelle, nun ebenfalls in deutscher Sprache vorliegende Buch von Peter Beinart, einem nicht in die (Schmuddel?)Ecke von Butler zu stellenden nordamerikanischen liberalen Zionisten angezeigt gewesen. Aber da ist die Rezensentin hier wohl nicht über die von interessierter Seite in den Mittelpunkt gestellte SZ-Karikatur hinaus gekommen; fühlte sich, was ihren Antisemitismusbegriff angeht sogar noch bestätigt, brauche Beinarts Thesen nicht lesen und verstehen.

     

    Und Hannah Arendt, natürlich in den 1930ern eine Zionistin; noch früher gar eine "Heidegger-Liebschaft" wenn man (im Tenor von subtiler Diskreditierung) so will... Aber auch hier wäre der Rezensentin neben "Eichmann in Jerusalem" und die darauf folgende Kontroverse um Arendt auch die Lektüre beispielsweise des Briefes von Hannah Arendt, Albert Einstein und anderen jüdischen Intellektuellen in 1948 an die NYT zu empfehlen. Es sind lediglich die Namen der Protagonisten und die Örtlichkeiten etwas anzupassen, dann wird die aktuelle Situation sichtbar. Was braucht es mehr zur "Definition" dieses politischen Zionismus in Richtung Groß-Israel und wäre dabei über die aktuell bereits besetzten Gebiete hinaus zu denken.

  • NN
    noch nicht meschugge genug

    "Aber Arendt als Kronzeugin für Butlers jüdischen Antizionismus? Absurd. Butler ist zu dogmatisch für Arendts Denken, sie kann lediglich populistische Gegensätze konstruieren."

     

    Unverschämte Behauptung. Arendt hatte sich angewidert vom den von ihr miterlebten Umgang mit den Palästinensern von Israel abgewendet, den Zionismus hielt sie aufgrund ihrer Erfahrungen und Beobachtungen vor Ort für eine gescheiterte Utopie. Sie darf an keiner israelischen Uni gelehrt werden. Nun raten Sie mal, Frau Vogel, warum nicht?

    Ihr laxer Verweis auf die Hamas blendet den historischen Hintergrund für ihre Entstehung komplett aus und das kann wohl nur daran liegen, dass sie darüber nichts wissen. Auch über die Staatsgründung Israels vermutlich nichts (Lektüreempfehlung: Ilan Pape, israelischer Historiker, der wegen seiner dezidierten Aufarbeitung der Staatsgründung und Vertreibung der Palästinenser nicht mehr in Israel lehren darf); auch über die Bildungspolitik in Israel nichts.

    Dann muss man ihre eigenen Dogmen auch nicht ernst nehmen.

  • AU
    Andreas Urstadt

    Haette klueger gemacht werden koennen. Die Normativitaet der Zionisten liegt hoeher als die anderer Juden, damit liegt die Ambiguitaetstoleranz niedriger und das ist essentiell fuer die Frage der Palaestinenser. Damit kann es keine gleiche Ethik geben, es sei denn die Ambiguitaetstoleranz der Zionisten wuerde sich lockern, was aber nur moeglich ist, wenn der Zionismus seine Normativitaet senkt, naemlich bis dahin, dass er fast kein Zionismus mehr ist. Der Zionismus hat einen bestimmten Territorialanspruch, den Arendt nicht geltend gemacht hat, die orthodoxen Juden eben auch nicht. Der juedische Fundamentalismus beansprucht kein besonderes Territorium und verlangt keine Vertreibung anderer. Das Gemeinsame einer Vertreibungserfahrung ist dort irrelevant. Das orthodoxe Judentum antizipiert Zukunft, der Zionismus Vergangenheit.

     

    Hier haette man viel klueger Hannah Arendt einbringen koennen, between past and future. Das wird schnell zu einer dritten Aussage. Und Ethik daraus.

  • T
    thomas

    leider sehr polemisch. hilft nur eins: butler lesen

  • G
    Gast

    Ich denke das ist der interessanteste Artikel den ich bis jetzt auf dieser Seite gelesen habe und auf jeden Fall einer der besseren. Vielleicht hätte ich mir noch eine Stellungnahme zur Vertreibung der Palästinenser 48 gewünscht. Hatten die jüdischen Sieder 48 eine Wahl oder wurde das friedliche Zusammenleben überhaupt von den Zionisten beendet? Nur das "die Palästinenser", wenn man überhaupt davon sprechen kann, eher einstecken mussten bedeutet nicht, dass sie nicht auch an ihrer Situation mit schuldig sind.

    Außerdem verstehe ich nicht ganz was sie als Philosophin auszeichnet. Eine Professur scheint sie ja für Rhetorik und Literaturwissenschaften zu haben. Und ihre Statements zur "Ethik" scheinen wenig bis nichts mit dem zu tun zu haben was man in Fachkreisen darunter versteht.