Burg Wulffenstein: Die Gaube des Grauens
Krüppelwalmdach, Sprossenfenster und Harzer Pfanne: Für dieses Haus lieh sich Bundespräsident Wulff eine halbe Million Euro. Doch was sagt es uns über ihn?
Dach
Das im niedersächsischen Stil aufgesetzte Krüppelwalmdach ist belastbar. So wie der Politikprofi Christian Wulff. Gedeckt ist das Haus mit der roten Harzer Pfanne. Dass sie perfekt zu den Wulffs passt, zeigt der Lobpreis des Herstellers: "Der Dachstein setzt mit seiner Wellenform eine harmonisch ruhige und von den Kunden gewünschte Gleichmäßigkeit […] um. Die Optik vermittelt ein sehr angenehmes Wohngefühl."
Gaube
Die Gaube signalisiert, dass die Wulffs ihren Platz effektiv nutzen: Das Dachgeschoss ist ausgebaut, wird als Wohn-, Arbeits- oder Spielzimmer, kurz als "Dachjuchhee", genutzt. Die Proportionen wirken wie bei der Kreditaffäre verrutscht. Das Mansardenfenster ist nicht schmal und optisch ans Dach angepasst, stattdessen wirkt es aufgebläht und mit seiner Laibung und graublauen Rahmung so fett wie Knautschke.
Standort: Burgwedel liegt 20 Kilometer vor Hannover. Das Städtchen mit 22.000 Einwohnern besteht aus sieben Ortschaften
Eigentümer: Bundespräsident Christian Wulff. Beziehungsweise die BW-Bank, die zur Landesbank Baden-Württemberg gehört. Auf diese hatte Wulff den umstrittenen Privatkredit umgeschuldet
Typ: Frei stehendes Einfamilienhaus in Massivbauweise. Baujahr nach 2000
Modell: Niedersächsischer Country Style
Fläche: Das Grundstück ist 659 Quadratmeter groß. Nutzfläche des Hauses 250 Quadratmeter
Kosten: 415.000 Euro - und vielleicht ein Job
Ebenso überdimensioniert wirkt das mediale Gebrüll angesichts der Wulffschen Fehler. Sollen Gauben normalerweise Licht und Luft ins Dachgeschoss lassen, will Wulffs Modell einfach mehr: anders sein. Die Gaube des Grauens ist die Bettina Wulff in der Gaubentristesse von Burgwedel.
Fenster
Es gibt schöne Fenster. Rundbogenfenster, Eckfenster oder Erkerfenster. Das Haus Wulff hat keine Fenster, es hat Luken. Denn die einfach gekreuzten Sprossenfenster mit zirka 8 Millimeter dickem Panzerglas sind kaum zum Rein- und Rausgucken gedacht, was auch der Sichtschutz zeigt. Sie tun putzig und historisch, dienen aber der Abwehr. Von Blicken oder Handgranaten. "Sprossenfenster sind das optische i-Tüpfelchen eines Fensters. Sie verleihen einem Haus eine individuelle Note", schreibt ein Hersteller über die Fenster des Präsidenten, der seiner Präsidentschaft ebenfalls eine sehr individuelle Note verleiht.
Fassade
Das Haus Wulff erinnert nur auf den ersten Blick an einen latte-macchiato-farbenen Klinkeralbtraum. In Wirklichkeit aber ist es eine raffinierte Chiffre niedersächsischer Neogotik. Hinter dem Zaun mit zinnenartigen Postamenten erhebt sich ein eingeschossiger Gebäuderiegel mit bunkerhafter Anmutung und vier kleinen, auf retro getrimmten Fenstern. Eine Garage und eine Pergola rahmen das Ensemble ein. Mir kann so leicht keiner was, sagt uns dieses Kastell. Gleichzeitig setzen die orangefarbene Tür, die taubengrauen Fensterrahmen und die Kletterpflanze neckische bis wilde, geradezu tattoohafte Akzente.
Klingel
So x-beliebig wie das Herr-Mustermann-Haus im Burgwedeler Eigenheimbrei daherkommt - an der Klingelanlage erkennt man wirklich, dass hier ein ganz Großer wohnt: "Familie Wulff" steht noch unauffällig am riesigen Briefkasten. Daneben sitzt der Türspion - wohl mit Fisheye-Weitwinkelobjektiv inklusive Kamera. Dahinter kommt die halbrund gemauerte Freitreppe "Hannover" für den kleinen Auftritt der First Lady zu Hause. Die Treppe hat vier Stufen - ein architektonischer Anfängerfehler. Wer sie hochsteigt, betritt sie mit dem rechten Fuß, kommt aber oben mit dem linken Fuß an. Prädikat: nicht stolperfrei.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Preiserhöhung bei der Deutschen Bahn
Kein Sparpreis, dafür schlechter Service
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Künftige US-Regierung
Donald Trumps Gruselkabinett
Housing First-Bilanz in Bremen
Auch wer spuckt, darf wohnen
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren