Bunte Demonstration in Dresden: Nazifrei, aber reich an Protesten
Bei schönstem Demo-Wetter protestieren in Dresden bis zu 10.000 Menschen friedlich gegen nicht anwesende Nazis – aber auch gegen sächsische Repressionen.
DRESDEN taz | Dresden erlebte an diesem Sonnabend tatsächliche einen nazifreien Tag. Auch von einer angeblich für 15 Uhr am Hauptbahnhof angekündigten braunen Aktion war nichts zu sehen. Dort hing um diese Zeit nur noch eine symbolisch versteckte Pappkamera in einem Baum.
Nur eines von zahllosen Objekten, die neben Transparenten und Fahnen den Auftakt eines Marsches von Nazigegnern durch die ganze Stadt begleitet hatten. Auch ohne direkte Herausforderung durch den inzwischen abgesagten zweiten Nazi-"Trauermarsch" nach dem 13.Februar fanden sich 11 Uhr mindestens 6.000 Antifaschisten aus der ganzen Bundesrepublik am Bahnhofsvorplatz ein.
Das Bündnis "Dresden Nazifrei" spricht sogar von 10.000 Teilnehmern am anschließenden Demonstrationszug. "Sächsische Verhältnisse kippen", lautete der häufigste Slogan. Er entspricht den Intentionen der Veranstalter vom Nazifrei-Bündnis.
Sie hatten ungeachtet der voraussichtlich ausbleibenden Nazis zum Protesttag gegen die Kriminalisierung friedlicher Demonstranten und Blockierer der vergangenen beiden Jahre aufgerufen. Mandatsträger der Oppositionsparteien, aber auch einfache Bürger werden immer noch wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz verfolgt. Am 19.Februar 2011 erfasste die Polizei außerdem mehr als ein Million Handy-Verbindungsdaten.
Christen- und Kapuzenblock
Dagegen empörten sich auch ältere Dresdner, die man auf einer solchen Demonstration nicht erwartet hätte. Auch ein überregionaler christlicher Aufruf "Nächstenliebe verlangt Klarheit" hatte zuvor für Dresden mobilisiert. Deren Marschblock führte die Präsidenten der EKD-Synode Katrin Göring-Eckhardt von den Grünen an. Sehr leise mahnte ein Plakat mit dem christlichen Fisch-Symbol zur Versöhnung.
Daneben liefen starke Blöcke aus Berlin und Brandenburg, Mecklenburg oder Jena. Vermummt zeigten sich mehrere "Kapuzenblöcke" von Autonomen. In der an Buntheit kaum noch zu überbietenden Demonstration standen oder liefen Linke und MLPD, Gewerkschaften und Occupy-Bewergung, Ausländerbeiräte oder sogar Veganer solidarisch nebeneinander. Die Vielzahl sich gegenseitig übertönender Lautsprecherwagen oder Straßenbands beim Auftakt am Hauptbahnhof erinnerte an die Londoner Speaker's Corner. Junge Welt, Rote Fahne und ungezählte Flugblätter wurden verteilt.
Der bekannte Jenaer Jugendpfarrer Lothar König erschien diesmal nicht im schwarzen Talar wie am Montag, sondern in sehr schlichtem Obdachlosenzivil. Einige Demonstranten trugen Faschingskostüme und warfen Konfetti. Auf der Demonstrationsroute erschollen unter der Brücke am Neustädter Bahnhof nicht nur die Rufe "Alerta Antifascista!" wegen des Echos besonders laut. Dort zündeten auch einige Böller.
Erfolgreiches Deeskalationskonzept
Die Polizei beeindruckte das nicht. Sie blieb ihrem am Montag bereits mit Erfolg praktizierten Deeskalationskonzept treu und begleitete den Zug unauffällig. Vereinzelt winkten Demonstranten den Polizei beamten sogar zu. Auch die heiklen und bewusst gewählten Stationen am Innen- und danach am Justizministerium verließ der Zug friedlich.
Enttäuschend blieb dagegen die Resonanz auf den erstmals im Konsens der "Arbeitsgruppe 13. Februar" verfassten Aufruf zu einer städtischen Kundgebung auf dem Schlossplatz. Sie sollte sich ursprünglich in Hör- und Sichtweite eines möglichen Nazi-Aufmarsches bewegen. Nur etwa 2.000 Bürger hielten es für wichtig, dennoch ein Zeichen gegen Rechts zu setzen. Dass es solcher Zeichen bedarf, räumte der amtierende Oberbürgermeister Dirk Hilber (FDP) nochmals ein. "Stillles Gedenken reicht nicht", bekräftigte er den Erkenntnis- und Findungsprozess in der Stadt.
Die Ansprachen wurden von musikalischen Beiträgen und einem Schülerprojekt aus Pirna umrahmt. Neben Nora Lang, Überlebende des Bombenangriffs auf Dresden 1945, sprach ihr Leidensgenosse Eugeniusz Kolodziejczyk aus dem polnischen Wielun. In dieser Stadt starben am ersten Tag des Überfalls auf Polen 1.200 Menschen durch deutsche Bomben.
Als Hauptredner war der ehemalige Bundesminister, SPD-Kanzlerkandidat und frühere Oberbürgermeister von München und Berlin Hans-Jochen Vogel eingeladen worden. Argumenten, die Bombardierung Dresdens ein Vierteljahr vor Kriegsende sei ein sinnloser Terrorakt gewesen, begegnete er mit dem Hinweis, nach dem Stauffenberg-Attentat 1944 seien noch mehr als zweieinhalb Millionen deutsche Soldaten gestorben. "Das Regime setzte den Krieg noch fort, als er längst entschieden war!"
Als Warnung müsse heute die Tatsache dienen, dass 1933 nicht genug Deutsche für die Demokratie engagiert waren, um Hitler zu verhindern. Aus dem rechten NSU-Terror müsse der Staat heute "ernste und konkrete Konsequenzen" ziehen und zum Beispiel engagierte gesellschaftliche Gruppen fördern. Vogel verlangte entschieden ein NPD-Verbot. Auch diese Kundgebung formierte sich zu einem Zug durch die Innenstadt, der an der Synagoge endete.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste