Bundesweiter Schul-Toiletten-Gipfel: Entwicklungshilfe im eigenen Land
Nicht nur an Berliner Schulen sind die Sanitäranlagen in einem desaströsen Zustand. Schuld ist auch die Sparpolitik der letzten Jahrzehnte.
W arum klingt es so kurios, wenn die German Toilet Organization auf dem Schultoiletten-Gipfel, der am Dienstag in Mitte stattfand, zusammen mit Vertreter:innen aus Politik und Wissenschaft versucht, die „Probleme rund um den Brennpunkt Klo“ endlich in den Griff zu kriegen? Vermutlich, weil funktionierende Toiletten an Schulen eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein sollten, ähnlich wie fließendes Wasser oder elektrischer Strom.
Sollten. Denn alle, die schon mal in den Genuss der Sanitäranlagen in Berliner Grundschulen kommen durften, wissen, dass der Klo-Gipfel bitterer Ernst ist. Eltern aus der Kreuzberger Galilei-Grundschule haben sogar eine Petition gestartet, um die Toilettensituation an der Schule zu verbessern. „Unsere Kinder stehen wiederholt vor verschlossenen Toilettentüren und machen sich oft erfolglos auf die Suche nach funktionierenden Toiletten“, heißt es darin. Und weiter: „Mehrere Kinder aus den ersten Klassen haben sich in die Hose gemacht.“
Die Galilei-Schule ist kein Einzelfall. Verdreckte und kaputte Schultoiletten sind mittlerweile von einem Ärgernis zu einer Frage der öffentlichen Gesundheit geworden. Weil sie nicht auf Toilette gehen können oder wollen, trinken Kinder weniger Wasser und halten Stuhl zurück, was wiederum zu Verstopfungen und Bauchschmerzen führt. Für Mädchen, die zum ersten Mal ihre Periode in der Schule bekommen, können nicht verschließbare Türen oder fehlende Mülleimer eine verstörende Erfahrung sein.
Vandalismus und verfehlte Sparpolitik
Als Gründe für die Klo-Misere identifiziert die German Toilet Organization vor allem Vandalismus durch Schüler:innen und, wenig überraschend, zu lange Reinigungszyklen. Überraschender hingegen ist, dass beide zusammenhängen: Wird mehr geputzt, wird weniger kaputt gemacht.
Dumm nur, dass auch in Berlin der Senat seit Jahrzehnten an der Schulreinigung spart, indem er die Instandhaltung der Toiletten an externe Dienstleister auslagert. Diese liefern sich einen Unterbietungswettbewerb; es leiden die Qualität und die Arbeitsbedingungen. Die Rekommunalisierung scheint angesichts der Sparvorgaben der Bezirke in weite Ferne gerückt.
Das Ergebnis ist, dass die German Toilet Organization, die eigentlich gegründet wurde, um die Versorgung mit Sanitäranlagen in Südostasien nach dem Tsunami von 2004 sicherzustellen, sich nun auch mit der Situation an deutschen Grundschulen beschäftigen muss – Entwicklungshilfe im eigenen Land quasi. Der erste Toiletten-Gipfel wird somit sicher nicht der letzte sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen