Bundeswehrkasernen mit Nazi-Namen: Zu lange unumstritten
Einige Kasernen heißen nach NS-Helden und Wehrmachtsoffizieren. Von der Leyen muss entscheiden, ob sie die Umbenennung erzwingt.
Diese Geschichtsstunde fand am letzten Freitag im April statt. Anschließend stimmten die Vertrauensleute über den Wehrmachtspiloten ab – und kamen zu einer eindeutigen Entscheidung: Die Soldaten halten am Namensgeber ihres Militärstützpunktes fest. Das Areal in der Kleinstadt bei Bremen soll auch in Zukunft Lent-Kaserne heißen.
Für Ursula von der Leyen ist dieses Votum ein Problem. Denn nach dem Skandal um den terrorverdächtigen Oberleutnant Franco A. will die Verteidigungsministerium möglichst Bezüge auf die Wehrmacht aus der Bundeswehr tilgen – auch bei der Namensgebung.
Laut einer Liste des Ministeriums sind heute noch 26 Bundeswehrkasernen nach Wehrmachtsangehörigen benannt. Bei der Hälfte davon waren die Namensgeber im Widerstand, diese Fälle stehen nicht zur Debatte. Die andere Hälfte bezieht sich auf spätere Bundeswehrgeneräle und Verteidigungsminister – aber auch auf Helden der NS-Propaganda: Dazu gehören Hans-Joachim Marseille (Jagdflieger im Afrikafeldzug), Diedrich Lilienthal (Geschützführer an der Ostfront) oder eben Helmut Lent. An solche Namen möchte von der Leyen jetzt ran.
Lange Zeit war der Name unumstritten
„Wir verbannen zu Recht Wehrmachtshelme aus der Stube, doch am Tor der Kaserne stehen nach wie vor Namen wie Hans-Joachim Marseille oder Helmut Lent“, sagte sie in der vergangenen Woche während einer Feier des Reservistenverbands. „Beide Namensgeber sind nicht mehr sinnstiftend für die heutige Bundeswehr.“
Allerdings verrät von der Leyen nicht, wie sie ihr Vorhaben umsetzen möchte. Bislang, so das Verteidigungsministerium, habe man Umbenennungen nie von oben angeordnet. Stattdessen habe das Ministerium die Betroffenen vor Ort mit einbezogen. Lokalpolitiker durften beraten, Bürgerinitiativen mitreden, die Soldaten ihr Votum abgeben. „Da gibt es immer wieder örtliche Prozesse, die dann zu Umbenennungen führen oder in einigen Fällen auch nicht“, sagt ein Sprecher der Ministerin. Diese Fälle wolle man „noch einmal anstoßen“.
Was aber, wenn es die Soldaten dann noch immer für richtig halten, an Vorbildern aus der Wehrmacht festzuhalten – wie jetzt in Rotenburg?
1964 wurde die Kaserne nach Helmut Lent benannt. Initiator der Namensgebung war ein ehemaliger Vorgesetzter des Piloten, der wie viele andere Wehrmachtsgeneräle nach dem Krieg auch in der Bundeswehr Karriere machte. Lange Zeit war der Name relativ unumstritten. Seit einigen Jahren läuft in der Region aber eine Debatte, im Herbst 2016 beschäftigte sich sogar der örtliche Gemeinderat mit der Frage.
Es gebe keine Beweise
Grundlage der Diskussion des vergangenen Jahres war ein Gutachten des bundeswehreigenen Zentrums für Militärgeschichte. Darin heißt es, bei Lent gebe es zwar „einige Hinweise auf eine innere Distanz gegenüber dem Nationalsozialismus“. So habe in seiner Todesanzeige die Floskel „Gefallen für Führer, Volk und Vaterland“ gefehlt, womöglich auf seine eigene Anweisung hin. Andererseits habe sich Lent „weitgehend angepasst und systemkonform“ verhalten. Es sei nicht bekannt, „dass er sich seiner Instrumentalisierung durch die NS-Propaganda“ widersetzt hätte. Für die Mehrheit der Stadträte reichte diese Einschätzung aber nicht aus, um für eine Namensänderung zu votieren.
„Die Stadt Rotenburg bittet die militärischen Dienststellen am Standort Rotenburg darum, es beim Namen ‚Lent-Kaserne‘ zu belassen“, heißt es in ihrem Beschluss. Es gebe schließlich keine Beweise dafür, dass der Pilot ein Nationalsozialist gewesen sei. Diesem Beschluss folgten die Soldaten der Kaserne nun mit ihrer eigenen Abstimmung.
Und was macht von der Leyen jetzt? Noch vor einem Jahr hatte die Ministerin in der Sache an den örtlichen SPD-Bundestagsabgeordneten Lars Klingbeil geschrieben: Die Diskussion vor Ort führen zu lassenentspreche dem „Prinzip der Inneren Führung und dem Leitbild des Staatsbürgers in Uniform“. Sie sehe keinen Anlass, in den Prozess einzugreifen.
Als von der Leyen am vergangenen Mittwoch im Verteidigungsausschuss des Bundestags auftrat, fragten die Abgeordneten hinter verschlossener Tür, was nun Sache ist: Bleibt sie bei der Haltung aus ihrem Brief – womit die Kasernen ihre Wehrmachtsnamen fürs Erste behalten würden? Oder ordnet sie die Umbenennungen einfach an – womit sie vom traditionellen Verfahren abrücken würde?
Eine klare Antwort erhielten offenbar auch die Abgeordneten nicht. Zumindest sagte hinterher die Grünen-Abgeordnete Agnieszka Brugger: Fragen nach dem Verfahren habe die Ministerin „einfach weggelächelt“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Streit in der SPD über Kanzlerkandidatur
Die Verunsicherung
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Biden genehmigt Lieferung von Antipersonenminen
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit