Bundestag debattiert AfD-Verbot: Neuer Schwung für Verbotsantrag
Der Bundestag debattiert nächste Woche über das AfD-Verbot. Weil die Partei zuletzt hemmungslos radikal auftrat, bekommt der Antrag mehr Zustimmung.
Mittlerweile unterstützen 124 Abgeordnete den Antrag. Carmen Wegge aus der SPD appellierte an alle Abgeordneten, sich die Gefahren der AfD für die Demokratie bewusst zu machen und das parlamentarische Verfahren zu starten: „Ob die AfD verfassungswidrig ist oder nicht, entscheidet nicht der Bundestag, sondern das Bundesverfassungsgericht. Der Bundestag muss den Weg nach Karlsruhe freimachen!“
Zuletzt hatte die AfD-Vorsitzende Alice Weidel die rassistischen Stichworte der Identitären Bewegung von der Parteitagsbühne gerufen und hatte unter anderem angekündigt, im Falle ihrer Regierung die Wissenschaftsfreiheit anzugreifen. Notorisch weist die Partei zudem Verbindungen zu zahlreichen Rechtsterrorkomplexen auf – zuletzt bei den sogenannten „Sächsischen Separatisten“. Geschichtsrevisionismus bis zum Rande der Holocaust-Leugnung waren beim Parteitag von Riesa allgegenwärtig.
Der bisherige Wahlkampf lief nicht weniger radikal: In Karlsruhe verteilte die AfD menschenverachtende „Abschiebetickets“ und in den sozialen Medien hetzt die Partei pauschal und rassistisch gegen Minderheiten. Und obwohl von ihrem Programm vor allem die Reichen profitieren würden, hat die AfD mit ihrem Radikalkurs Rekordzustimmungswerte um die 20 Prozent. Mäßigung ist entsprechend nicht in Sicht.
„Letzte Chance nutzen“
Der federführende CDU-Abgeordnete und ehemalige Ost-Beauftragte der Bundesregierung Wanderwitz sagte am Montag: „Bei ihrer ständigen weiteren Radikalisierung äußert die AfD immer unverhohlener auch geschichtsrevisionistische Positionen, wie jüngst Frau Weidel, dass Hitler Kommunist gewesen sei.“ Er sehe den Antrag als „inzwischen tatsächlich alternativlos“ an, so Wanderwitz. Ebenso nannte Till Steffen von den Grünen den Antrag als dringender denn je.
Auch Martina Renner von der Linken forderte, dass der aktuelle Bundestag seine letzte Chance nutzen sollte, um eine Überprüfung der AfD in die Wege zu leiten: „Nicht zuletzt in Riesa hat die AfD bewiesen, dass sie weder einen gemäßigten noch bürgerlichen Flügel hat – sie ist in ihrer Gänze eine rechtsextreme, antidemokratische und verfassungsfeindliche Partei“, so Renner.
Zuletzt hatten sich mehr als 200 Jurist*innen in einem offenen Brief an Bundestagsabgeordnete und die Bundesregierung gewendet: Nach ihrer Einschätzung seien sämtlich Voraussetzungen für einen Verbotsantrag gegeben. Weitere Untersuchungen, wie sie zuletzt eine Gruppe um die Grünen-Politikerin Renate Künast gefordert hatten, seien nicht nötig. Im Dezember hatten bereits 50 zivilgesellschaftliche Organisationen den Antrag gefordert.
Davor hatten im November 17 renommierte Verfassungsrechtler*innen einem Verbotsantrag gute Erfolgsaussichten bescheinigt. Die Partei offenbare ihre „verfassungsfeindlichen Absichten“ immer offensichtlicher, verfolge ein „völkisch-nationalistisches Programm“ sowie einen kulturell-homogenen Volksbegriff, der breit geteilt werde. Der Bundesvorstand grenze sich davon nicht ab.
Tatsächlich ist häufig gar das Gegenteil zu beobachten: Nachdem Spitzenkandidatin und AfD-Chefin Alice Weidel sich selbst nicht zu schade war, den NS-Diktator Adolf Hitler geschichtsrevisionistisch in einen Kommunisten umzudeuten, verurteilten auch Nachkommen ehemaliger kommunistischer KZ-Häftlinge das Zögern beim Verbotsantrag: „Ich verstehe wirklich nicht, warum wir bei dem AfD-Verbot nicht weiterkommen“, sagte etwa Andrea Halbritter, Mitglied der Lagergemeinde des KZ Dachau, der Süddeutschen Zeitung. Man müsse endlich die Reißleine ziehen.
Tut sich was in der SPD-Fraktion?
Eine Bundestagsmehrheit galt trotz lautstarker Forderungen aus der Zivilgesellschaft zuletzt als eher unwahrscheinlich. Auch die Bundesregierung wäre ebenso wie der Bundesrat antragsberechtigt. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte sich allerdings mehrfach skeptisch gegen einen Verbotsantrag ausgesprochen. Auch Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) sprach sich gegen den Antrag aus – ähnlich sieht das auch eine sehr große Mehrheit der Unionsfraktion. Einige halten den Antrag für verfrüht oder angesichts der Zustimmungswerte der AfD für politisch unklug, andere wollen die AfD in ihrer Opferrolle nicht weiter bestärken.
Wanderwitz sagte der taz, es sei nun wichtig, in der nächsten Woche zunächst die Debatte zu führen, die voraussichtlich am Donnerstagnachmittag stattfinden werde. Er sprach davon, dass die „diversen Rechtsradikalitäten der letzten Wochen mehr Zuspruch gebracht hätten“.
Die bisher skeptische SPD-Abgeordnete Angelika Glöckner aus Pirmasens etwa signalisierte mittlerweile ihre Zustimmung. „Die Partei wird mit jedem Prozentpunkt, den sie in den Umfragen dazugewinnt, extremistischer“, sagte sie der Rheinpfalz. Sie habe den Eindruck, dass sich in der SPD-Fraktion etwas tue – und sei optimistisch, dass der Verbotsantrag gar eine Mehrheit finden könne.
Realistisch ist nach der Debatte tatsächlich eine Überweisung des Antrags in die Ausschüsse. Aber auch das müsste noch nicht das Ende sein: Am 10. und 11. Februar hätte der Bundestag noch vor der Wahl eine letzte Gelegenheit, über den Antrag abzustimmen.
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