Bundesregierung geht auf Distanz: Ein Pseudo-Konzept des Väterrechts

Der Vorwurf der „Eltern-Kind-Entfremdung“ soll vor Gericht nicht mehr genutzt werden, so eine Mitteilung des Justizministeriums.

Ein Erwachsener und ein Kind toben an einem Strand.

Nicht immer so unbeschwert: Vater und Kind toben am Ostseestrand Foto: imago

taz | BERLIN Es ist ein Kampfbegriff der Väterrechtsbewegung geworden: Parental Alienation Syndrom (PAS), zu deutsch: Eltern-Kind-Entfremdung. Der auf den US-amerikanischen Psychiater Richard A. Gardner zurückgehende Begriff wurde und wird in gerichtlichen Verfahren immer wieder als Argument eingeführt. Es geht um den angeblichen Vorwurf, ein Elternteil würde das Kind manipulieren mit der Folge der Entfremdung des Kindes vom anderen Elternteil. Jetzt aber geht die Bundesregierung erstmals klar auf Distanz.

In einer der taz vorliegenden Antwort des Justizministeriums auf eine Anfrage der Linken-Bundestagsabgeordneten Gökay Akbulut heißt es, das Bundesverfassungsgericht habe in der Begründung eines Beschlusses vom November 2023 ausgeführt, dass der Rückgriff „auf das fachwissenschaftlich als widerlegt geltende Konzept“ des PAS „keine hinreichend tragfähige Grundlage für eine am Kindeswohl orientierte Entscheidung“ biete. „Die Bundesregierung geht davon aus, dass sich die Familiengerichte an dieser Entscheidung des BVerfG orientieren werden“, schreibt der Parlamentarische Staatssekretär Benjamin Strasser (FDP).

Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) hatte noch Anfang Juni bei der Vorstellung des Bundeslagebilds „Häusliche Gewalt“ auf die Frage nach Kritik an der Verwendung des Vorwurfs „Eltern-Kind-Entfremdung“ in Gerichtsverfahren erklärt, sie wolle sich zur Debatte um Begriffe nicht äußern. Einen notwendigen Korrekturbedarf beim Umgang mit dem Thema aber gab sie zu.

Ein „Pseudo-Konzept“

Verbände wie der Väteraufbruch für Kinder (VafK) behaupten, „Eltern-Kind-Entfremdung“ sei „emotionale und seelische Kindesmisshandlung“, von „Manipulation“ der Kinder durch ein Elternteil ist die Rede. Die UN-Sonderberichterstatterin für Gewalt gegen Frauen und Mädchen, Reem Alsalem, nennt den Begriff dagegen in einem UN-Bericht ein „Pseudo-Konzept“, das von psychologischen, medizinischen und psychiatrischen Fachverbänden abgelehnt werde.

Trotzdem werde die „Eltern-Kind-Entfremdung“ weltweit als Taktik vor allem gegen Mütter genutzt, um Vorwürfe von Missbrauch und häuslicher Gewalt in Familiengerichten zu negieren.

Wie sich die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und die Einschätzung der Bundesregierung konkret auf die Praxis vor Familiengerichten auswirkt, ist offen. Einen Bedarf, im Bürgerlichen Gesetzbuch klarzustellen, dass das Konzept des PAS in familiengerichtlichen Entscheidungen nicht zugrunde gelegt werden soll, sieht die Bundesregierung nicht.

Die Frage von Akbulut nach Qualifizierungsmaßnahmen für Mitwirkende an Familiengerichten ließ die Regierung in ihrer Antwort unbeantwortet. Die Linken-Politikerin bleibt daher skeptisch, was eine Änderung der aus ihrer Sicht „höchst problematischen Praxis“ an Familiengerichten und Jugendämtern betrifft. Sie sagte der taz, bis in die jüngste Vergangenheit würden immer wieder Kinder „selbst dann aus der Obhut ihrer Mütter herausgerissen, wenn Väter mutmaßlich gewalttätig waren“. Akbulut sagte: „Damit wird das Kindeswohl gefährdet, weil Familiengerichte oder Jugendämter im Sinne einer Pseudowissenschaft handeln.“

Eine ungute Rolle in dieser Diskussion spielten „antifeministische Väterrechtler“, die auch immer wieder Druck auf das FDP-geführte Bundesjustizministerium machten.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.

Ihren Kommentar hier eingeben