Ein bisschen Kritik und ein bisschen Spaß

Beim Juso-Bundeskongress wettert die SPD-Jugend gegen „die gelbe Null im Finanzministerium“. Bald-Kanzler Olaf Scholz lässt die Angriffe abperlen

Von Stefan Reinecke

So erfolgreich wie derzeit waren die Jusos noch nie. Sie haben de facto die letzte Parteispitze ins Amt befördert. Ein Viertel der SPD-Bundestagsfraktion zählt zu den Jusos. Kevin Kühnert ist vom Juso-Chef direkt zum Vize-Parteichef aufgestiegen. Und die Juso-Vorsitzende Jessica Rosenthal (29) hat auch den Koalitionsvertrag beim SPD-Kernthema Arbeit mitverhandelt. Dass der viel beschäftigte Olaf Scholz am Samstag für drei Stunden zum Juso-Bundeskongress nach Frankfurt kommt, ist eine Geste der Anerkennung. Und auch ein Versuch vorsorglicher Konfliktbegrenzung.

Am Freitagabend ist die Stimmung in Frankfurt gedämpft. Wegen Corona. Der Kongress findet hybrid statt, der Saal ist halb voll. Viele werden per Zoom zugeschaltet. Jessica Rosenthal fordert in einer zornigen Eröffnungsrede wirksamere Coronamaßnahmen: 2G plus überall, Werbespots im TV, die alle 10 Minuten für das Impfen werben, und, weil das alles nicht reiche, eine allgemeine Impfpflicht. „Die gibt uns die Freiheit zurück.“

Auch die designierte neue SPD-Spitze, Saskia Esken und Lars Kingbeil, ist in Frankfurt. Das zeigt den gewachsenen machtpolitischen Einfluss der Jusos. Die Reden von Esken (formell linker Flügel) und Klingbeil (rechter Flügel) klingen ähnlich, sie sind inhaltlich fast austauschbar. Esken lobt die Ampel und glaubt, dass der geplante Neubau von 400.000 Wohnungen in der Republik dafür sorgt, dass „wir die explodierenden Mieten in den Griff“ bekommen – eine kühne Prognose. Klingbeil kündigt an, er werde als SPD-Chef dafür sorgen, dass die Partei noch „jünger bunter, weiblicher“ werde. Erfolgreich werde der SPD nur bleiben, wenn sie sich weiter um Mieten, Rente, Löhne kümmert. Und auch die Verteilungsfrage bleibe auf der Tagesordnung der SPD.

Mehr Diversity und höhere Steuern – das ist eigentlich der Text der SPD-Linken. Zwischen Esken und Klingbeil scheint kein Löschblatt zu passen. Erfolg stiftet oft Harmonie. Der taktisch versierte Klingbeil hat mit diesem Juso-­affinen Auftritt auch ein gutes Ergebnis bei seiner Wahl zum Parteichef in zwei Wochen vor Augen.

„Ich werde die Jusos als SPD-Vorsitzender nicht in allem glücklich machen“ sagt Klingbeil dann noch. Rosenthal bedankt sich mit der Ankündigung, weiter „genervte SMSe“ ins Willy-Brandt-Haus zu schicken, wenn man dort nicht schleunigst Juso-Ideen in die Tat umsetze. Aber diese Drohungen sind alle augenzwinkernd entgiftet. Es ist gar kein Streit, es ist die Inszenierung eines Spiels, in dem alle Beteiligten ihre Rollen mit ironischer Distanz auf der Bühne präsentieren.

Rosenthal wird mit 73,2 Prozent wieder zur Juso-Vorsitzenden gewählt. Fünf Prozentpunkte weniger als vor knapp einem Jahr. Angesichts des strahlenden Erfolges von SPD und Jusos hat dieses Ergebnis etwas Irritierendes.

Samstagmittag kommt Olaf Scholz, schwarzes Jackett, weißes Hemd, offener Kragen. Er lächelt viel und bringt eine frohe Botschaft mit. „Es gibt eine Perspektive für sozialdemokratische fortschrittliche Politik im 21. Jahrhundert“, sagt er. Er nennt den klimaneutralen Umbau der Wirtschaft das vorrangige Ziel „der ganzen Regierung“, also nicht nur der Grünen. Auch was die Rolle der Jusos angeht, hat Scholz klare Ideen: „Ich stelle mir vor, dass ihr oft begeistert seid über das Regierungshandeln.“ So klingt es, wenn Scholz ironisch wird. Dann dürfen Juso-RednerInnen dem kommenden Kanzler eine Dreiviertelstunde lang die Meinung sagen. Das klingt eher ironiefrei. Es ist eine Generalabrechnung.

Die rhetorische Figur dieser Kritik ist: Schön, dass die Ampel dieses und jenes erreicht hat, aber das Wichtige fehlt wegen der FDP. Das neue Bürgergeld sei „ein Etikettenschwindel“. Ohne höhere Regelsätze und ein Ende des Sanktionsregimes dürfe die SPD nicht von der Überwindung von Hartz IV reden. Bei der Verteilungsgerechtigkeit gehe mit der Ampel gar nichts. Und trotz Verbesserungen für Geflüchtete, so ein Juso, sei die Politik der Ampel, „mehr Leute abzuschieben als die Union, einfach Scheiße“.

Simon Witsch, Juso-Chef in Frankfurt, wettert gegen „die gelbe Null im Finanzministerium“. Christian Lindner ist hier ein Lieblingsgegner. Witsch sagt dann noch einen hübschen Satz. „Die Jusos müssen sich innerparteilich und öffentlich als sozialistische Fundamentalopposition zur rechtssozialdemokratischen Politik des offen prokapitalistischen Krisenmanagements profilieren.“ Das ist ein Zitat aus den 80er Jahren. Es stammt von dem damaligen stellvertretenden Juso-Vorsitzenden Olaf Scholz.

Scholz nimmt sich lässig das Mikrofon und sagt, es wäre besser, nicht „die zu kritisieren, mit denen wir auf der Regierungsbank sitzen“, sondern die CDU. „Kleiner Tipp von mir.“ Das klingt leicht und nebenbei, ist aber die ironiefreie Aufforderung, das Feuer auf die FDP einzustellen.

Er habe „gerne zugehört“, sagt Scholz versöhnlich, mit einem Oberton von Herablassung. Wenn er längst in Rente sei, dann seien die (rebel­lischen) Jusos in der Verantwortung. Das ist ein Wink, was diese Begegnung war – ein Kapitel im generationellen Rollenspiel der Sozialdemokratie.

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