Bundeskongress der IG Metall: Der Brückenstrompreis macht Freunde
Die IG Metall wird erstmals eine Frau an die Spitze wählen. Beim Bundeskongress in Frankfurt hatte erst mal Wirtschaftsminister Habeck ein Heimspiel.
Frankfurt am Main taz | Dass ein Bundeswirtschaftsminister großen Applaus auf einem Gewerkschaftstag erhält, ist keine Selbstverständlichkeit, schon gar nicht für einen Grünen. Aber so schnell, wie Robert Habeck den Weg von der Friedenspreisverleihung in der Paulskirche zur Eröffnung des Kongresses der IG Metall in der Frankfurter Messe zurücklegte, schlug er einen Bogen von Salman Rushdies Dankesrede über Demokratie und Meinungsfreiheit zum Lob des gewerkschaftlichen Engagements.
„Ich sehe es allüberall: Wo es eine betriebliche Organisation gibt, da wo Gewerkschaften stark sind, da hat der rechte Populismus einen schwereren Stand“, rief Habeck in den Tagungssaal. „Starke Gewerkschaften bedeuten starke Demokratien.“ Das kam gut an. Ebenso wie sein flammendes Plädoyer für den von der IG Metall vehement geforderten Brückenstrompreis für energieintensive Industrien in Deutschland.
Metallgewerkschaft hat Rückenwind
„Zeit für Zukunft“ – unter dieses Motto hat die IG Metall ihren Bundeskongress gestellt, den sie selbst „Gewerkschaftstag“ nennt. Seit diesem Sonntag und noch bis Donnerstag diskutieren 421 Delegierte über mehr als 530 Anträge, legen die gewerkschaftlichen Schwerpunkte für die nächsten vier Jahre fest und wählen eine neue Führungsspitze.
„Gewerkschaftstage müssen Antworten für das Hier und Heute finden“, sagte der scheidende Erste Vorsitzende Jörg Hofmann zum Auftakt. „Es geht darum, den Pfad einer sozialen, ökologischen und demokratischen Transformation weiter zu festigen.“
Dafür sieht sich die IG Metall gut gerüstet. Nach Mitgliederrückgängen in den Corona-Jahren 2020 und 2021 scheint sie sich inzwischen wieder im Aufwind zu befinden. So standen im vergangenen Jahr knapp 113.000 Abgängen durch Austritt oder Tod mehr als 117.000 Eintritte gegenüber. Insgesamt gehören der IG Metall rund 2,15 Millionen Mitglieder an, wovon etwa 391.000 weiblich sind. Damit liegt der Frauenanteil bei 18,2 Prozent.
Kaum Vielfalt im Bundesvorstand
Der Anteil von Menschen ohne deutschen Pass beträgt 8,7 Prozent, wobei fast jedes vierte Mitglied eine Migrationsgeschichte hat. Auch wenn sich auf der Betriebsratsebene in den vergangenen Jahren viel bewegt hat, spiegelt sich das in der Führungsetage allerdings nicht wider. Der Ende September im Alter von 85 Jahren verstorbene Yılmaz Karahasan, der Mitte der 1990er Jahre als erster Migrant dem geschäftsführenden Bundesvorstand angehörte, wird wohl auch nach der Wahl am Montag der Einzige bleiben, der es je in das Spitzengremium geschafft hat.
In anderer Hinsicht dürften diese Vorstandswahlen gleichwohl ein historisches Ereignis werden. Denn nominiert für das Amt der Ersten Vorsitzenden ist die 55-jährige gebürtige Aachenerin Christiane Benner. Mit ihr würde zum ersten Mal in der mehr als 125-jährigen Geschichte der IG Metall und ihrer Vorläuferorganisationen eine Frau an die Spitze gewählt werden.
Benner steht auf dem Sprung, eine schlagkräftige Organisation zu übernehmen. Stolze 596,2 Millionen Euro nahm die IG Metall 2022 an Mitgliedsbeiträgen ein. Von den Beitragseinnahmen werden jährlich 15 Prozent zur Finanzierung von tarifpolitischen Auseinandersetzen sowie für die betriebliche Altersvorsorge von Beschäftigten der IG Metall zurückgestellt.
Die Streikkasse ist gut gefüllt
Wie gut gefüllt die Streikkasse ist, ist ein wohl gehütetes Geheimnis. Aber es dürfte keine gewagte Feststellung sein, dass die 6,6 Millionen Euro, die zwischen 2019 und 2022 im Zusammenhang mit Arbeitskämpfen ausgegeben wurden, sie nicht groß belastet hat. Dass die IG Metall über ein gehöriges finanzielles Potenzial verfügt, zeigt sich nicht zuletzt daran, dass ihr 125 – in der Regel weder kleine noch abgelegene – Immobilien in 95 Städten gehören.
„Wir sind eine coole Truppe, wir rocken die Republik – aber nur dann, wenn wir geschlossen nach innen und außen mit klaren Botschaften agieren“, sagte Jörg Hofmann in seinem letzten Geschäftsbericht am Sonntagnachmittag.Ob das so sein wird, werden die kommenden Tage zeigen.
Leser*innenkommentare
Brot&Rosen
na ja, die igm-kasse ist auch deswegen so wohl gefüllt, weil seit der niederlage um die 35-stundenwoche im osten keiner zwingungsstreik mehr geführt wurde. s. dazu auch Heiner Dribbusch (2023): STREIK Arbeitskämpfe und Streikende in Deutschland seit 2000 – Daten, Ereignisse, Analysen.
mal sehen, ob die weitere verkürzung der arbeitszeit (stahlindustrie) zu etwas führt.
man darf zweifeln, ob es zu personalausgleich kommt, das gabs eh noch nie.
die flexibilisierungen nach arbeitszeitverkürzungen waren ebenfalls immer beträchtlich.
weibliche spitze allein garantiert noch nicht, daß aus der niederlage im osten konsequenzen gezogen werden, z.b. flankierung der tarifrunden für Arbeitszeitverkürzung durch soli-Inis.
bündnisse mit kirchen + sozialverbänden auf spitzenebene schätze ich als wenig zielführend ein:
das ist verlautbarungs-politik, "unterstützung" durch presseerklärungen, nicht unterstützung der kämpfenden belegschaften durch menschen in der nachbarschaft und benachbarter betriebe, wie es die BIs für 35-stundenwoche vor 40 jahren deutschlandweit praktiziert haben.