Bundesfreiwilligendienst für Arbeitslose: Keiner weiß Bescheid
Eigentlich sollten Arbeitslose die neuen "Bufdis" verstärken. Doch die Arbeitsagentur weiß nicht, wie sie mit Arbeitslosen umgehen soll, die den Freiwilligendienst leisten wollen.
BERLIN taz | Der neue Bundesfreiwilligendienst (BFD) startet holprig. Seit dem 1. Juli ist die Wehrpflicht ausgesetzt - nun soll der BFD die Lücke füllen, die die bisherigen Ersatzdienstleistenden in sozialen Einrichtungen hinterlassen. Für den künftigen BFD werden mindestens 35.000 HelferInnen gebraucht. Doch bislang finden sich nur etwas mehr als 3.000. Das Familienministerium hatte auch Hoffnungen auf Hartz-IV-Empfänger gesetzt, die freiwillig arbeiten wollen. Doch im Moment ist unklar, ob die das überhaupt dürfen.
Dabei hatte die Bundesregierung das Gesetz für den Bundesfreiwilligendienst extra für Arbeitslose angepasst: "Mit der Regelung soll die Motivation von Personen, die Arbeitslosengeld II beziehen, gestärkt werden", heißt es im dem Gesetz. Für die Motivation müssen 60 Euro reichen - so viel dürfen die Arbeitssuchende von den üblichen 330 Euro Taschengeld behalten. Der Betrag wird nicht auf das Arbeitslosengeld angerechnet. Die Freiwilligen müssen dafür mindestens 20 Stunden pro Woche arbeiten, maximal sind 40 möglich. Darüber hinaus soll ein volljähriger Hartz-IV-Bezieher vom Einkommen in der Regel 30 Euro monatlich für die Beiträge zu privaten Versicherungen oder zur Kfz-Haftpflichtversicherung vom Zuverdienst absetzen können.
14 Tage nach der Einführung des Bundesfreiwilligendienst herrscht bei der Bundesagentur für Arbeit aber immer noch Unklarheit darüber, ob auch ältere Arbeitslose für den Bundesfreiwilligendienst (BFD) eingesetzt werden können. Das wollte die Bundesregierung mit einem Gesetz zum BFD bewusst fördern. Laut Familienministerium soll es für Arbeitslose möglich sein, den BFD zu leisten. Eine Sprecherin der Bundesagentur konnte das aber nicht bestätigen. Sie konnte nicht abschließend klären, ob Arbeitslose den Anspruch auf das Arbeitslosengeld verlieren würden, da sie beim BFD mehr als 15 Stunden arbeiten würden. Bis jetzt gebe es noch keine Anweisungen an die Arbeitsagenturen.
"Regelungen, wie im Integrationsprozess mit dem Bundesfreiwilligendienst umgegangen wird, stimmen wir derzeit mit dem Gesetzgeber (Bundesministerium für Arbeit und Soziales) ab", sagte die Sprecherin der taz. "Wenn ein Hartz IV-Bezieher sich also für den Bundesfreiwilligendienst mit einer Tätigkeit von mehr als 15 Stunden pro Woche interessiert, die Empfehlung, dies mit seinem persönlichen Ansprechpartner zu besprechen."
Offen blieb auch, ob Arbeitslose dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen müssen, wenn die sich für den Bundesfreiwilligendienst verpflichten.
Unklar ist auch, ob es Anspruch auf Kindergeld gibt
"Es gibt für den Freiwilligendienst keine vernünftige gesetzliche Grundlage", sagte Ulrich Schneider, der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverband der taz. "Im Moment gibt es lediglich die politische Ansage", sagt der Erziehungswissensschaftler. "Wir können froh sein, dass sich in den ersten zwei Wochen erst so wenige gemeldet haben, sonst wären die Probleme noch größer", sagte er.
Denn Unklarheiten gibt es nicht nur bei den Arbeitslosen. Weiterhin offen ist auch, ob Freiwillige bis zum Alter von 25 Jahren einen Anspruch auf Kindergeld haben werden. Darüber wird der Bundestag erst im September abstimmen - bis dahin werden die meisten AbiturientInnen ihre Entscheidung längst gefällt haben. Das nächste Problem: Behinderte oder Frührentner, die nur 15 Stunden pro Woche arbeiten dürfen, können den Dienst gar nicht antreten, denn es müssen mindestens 20 Stunden gearbeitet werden. "Aber gerade diese Zielgruppe interessiert sich für den Freiwilligendienst", sagt Andreas Leopold vom Paritätischen Wohlfahrtsverband in Thüringen.
Denn insbesondere in Ostdeutschland setzen die Verbände auf Arbeitslose und Ältere, hier wurden Zivildienst-Stellen schon in den vergangenen Jahren abgebaut. Auch Leopold beobachtet, dass in den Arbeitsagenturen oft unklar ist, wie sie mit dem Freiwilligendienst umgehen sollten. Die Bundesagentur für Arbeit hat bis zum Redaktionsschluss gegenüber der taz nicht Stellung genommen.
Die Grünen lehnen ab, Arbeitslose als "Bufdis" einzusetzen. Sie seien nicht "Lückenbüßer für die Hals-Über-Kopf-Reform" des Wehr- und Zivildienstes, erklärte die arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Grünen, Brigitte Pothmer.
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