Bund über Jamaika-Koalition: Jenseits des Saarlands
Der Bundespartei fällt es schwer, Schwarz-Gelb-Grün zu begrüßen. Vor allem aus der Parteilinken kommt Kritik.
BERLIN taz | Die meisten hatten es zwar geahnt. Doch hat die Entscheidung der Saar-Grünen unter Landeschef Hubert Ulrich, in schwarz-gelb-grüne "Jamaika"-Koalitionsverhandlungen zu marschieren, bei vielen Grünen im Rest der Republik nicht nur rationale Reaktionen ausgelöst. "Um ehrlich zu sein", sagte eine Führungskraft vom linken Flügel am Montag zur taz, "finde ich die Entscheidung richtig scheiße. Und Hubert Ulrich hat einen Lattenschuss."
In Internet-Foren wurde offen über Parteiaustritte nachgedacht, wenn die Grünen nun noch einen einzigen Schritt nach rechts gingen. Robert Zion, linksgrüner und publikationsfreudiger Gelsenkirchener, erklärte: Inhaltlich sei das, was Ulrich CDU und FDP abgetrotzt habe, nicht schlecht. Die Entscheidung sei "aber politisch-strategisch einfach unklug". Die Wähler verstünden, "was es heißt, wenn eine Oppositionspartei die Wahlverlierer - die CDU hat 13 Prozent verloren - wieder an die Regierung hievt, und dies entgegen den eigenen Wahlversprechen", erläuterte Zion.
"Wer nicht grün wählt, wird sich schwarz-gelb ärgern", hatte Hubert Ulrich noch zwei Tage vor der Wahl im Saarland gesagt.
6 Bundesländer, sieben Konstellationen. Keine Ampel. Trotzdem 11-mal mit der FDP. Und nur Kurt Beck hat eine absolute Mehrheit. Im Einzelnen:
Schwarz-Gelb: In sechs Ländern (Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen) regiert die Union mit der FDP, in Schleswig-Holstein laufen Koalitionsverhandlungen.
Schwarz-Grün: Hamburg, die Premiere auf Landesebene.
Schwarz-Gelb-Grün: Saarland, wo die nächste Premiere kommt.
Schwarz-Rot: Mecklenburg-Vorpommern, von der SPD geführt, und bald Thüringen, dort von der CDU geführt.
Rot-Rot: Berlin und demnächst auch das Brandenburger Umland.
Rot-Grün: Bremen, mehr ist vom einstigen "Projekt" nicht übrig.
Rot: Rheinland-Pfalz! Die SPD! Ganz allein! Mit Beck! (dzy)
Selbst dem neuen Bundestags-Fraktionschef Jürgen Trittin war am Sonntagabend im Fernsehen sein schwarz-gelb-grüner Ärger darüber anzumerken, dass er nun erklären musste, wie und warum Jamaika im Saarland nichts mit der Oppositionsarbeit gegen Schwarz-Gelb im Bund zu tun habe. Die Grünen im Saarland "haben fürs Saarland entschieden und nur fürs Saarland", wiederholte Trittin das Leitmotiv der offiziellen, flügelübergreifenden Stellungnahmen. Die Entscheidung sei "offensichtlich aus Gründen, die gar nicht inhaltlich waren", gefallen.
"Natürlich sind die Diskussionen in meinem Landesverband jetzt heftig, da gab es andere Erwartungen", seufzte die nordrhein-westfälische Landeschefin Daniela Schneckenburger gegenüber der taz. Im Mai 2010 wird in NRW gewählt. Das größte Bundesland befindet sich faktisch im Dauerwahlkampf - und die Grünen dort hoffen, in einem halben Jahr das Gegenmodell zu Schwarz-Gelb installieren zu können. Das Saarland sei gewiss "kein Modell für NRW", sagte Schneckenburger. "Es ist kleiner als Köln und funktioniert nach eigenen Regeln."
Am Realo-Flügel der Partei kann man mit der ersten Jamaika-Koalition der Republik naturgemäß besser leben. Das winzige Saarland mit seiner knappen Million Einwohner und all seinen besonderen Umständen, von denen die Unverträglichkeit zwischen Hubert Ulrich und Oskar Lafontaine bloß einer ist, scheint keine Bedrohung für die Wahlergebnisse anderer Landesverbände darzustellen.
Gleichzeitig sprengt das saarländische Exempel jedoch gerade deshalb die Bedingungen, die auch im rechtsgrünen Lager für Bündnisse mit der Union oder gar Union plus FDP formuliert worden sind. Zum Beispiel, dass es nur um Inhalte gehen dürfe - dass also ein Bündnis nach rechts mehr grüne Inhalte liefern müsse als ein Bündnis nach links.
Parteichef Cem Özdemir musste sich am Montag schon ein wenig bemühen, um zu erklären, dass dies irgendwie auch aufs Saarland zutreffe. Für die angestrebte grüne Schulreform bedürfe es einer Verfassungsänderung. Die Chancen auf eine Zweidrittelmehrheit im Landtag seien mit Jamaika gewachsen, da SPD und Linkspartei sich einer so fortschrittlichen Reform ja nicht verschließen könnten. "Und die Diskussionskultur im Landtag wird sich hoffentlich nun auch ändern", nannte Özdemir einen weiteren frommen Wunsch.
Auch er hielt sich an die gemeinsame Sprachregelung, wonach die Grünen einen SPD-Ministerpräsidenten Heiko Maas lieber gesehen hätten, das Saarland gänzlich ohne Signalwirkung und keinesfalls ein Modell für irgendetwas, geschweige denn für den Bund sei. "Es ist ein regionales Experiment, und Experimente können auch schiefgehen", sagte Özdemir. Offen zustimmen mochte er dem Experiment also nicht.
Doch hatte er gerade ausgeführt, dass die gleichen Inhalte mit Schwarz-Gelb leichter durchzusetzen seien als gegen Schwarz-Gelb. Özdemirs Satz "mir ist das lieber, wo man am meisten grüne Inhalte bekommt", ließ sich also gut verstehen: So quer die Entscheidung der Saargrünen nun im politischen Raum steht - die Realos finden die Jamaika-Idee ausbaufähig. Mindestens das.
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