Bund-Länder-Beratungen zu Migration: Prüfen, immer weiter prüfen

Kanzler Scholz will Asylverfahren im Ausland weiter ausloten. Die Länder einigen sich, Bargeldabhebungen für Geflüchtete auf 50 Euro zu begrenzen.

Boris Rhein (CDU, M), Ministerpräsident von Hessen, spricht mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), während einer Pressekonferenz im Rahmen der Ministerpräsidentenkonferenz im Bundeskanzleramt

Wollen weiter prüfen: Kanzler Olaf Scholz (l.) und Hessens Ministerpräsident Boris Rhein (r.) am Donnerstag Foto: Hannes P Albert/dpa

BERLIN taz | Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) will die umstrittenen Asylverfahren in Drittstaaten weiter prüfen. Das kündigte er nach den Beratungen mit den Mi­nis­ter­prä­si­den­t*in­nen der Länder am Donnerstagabend an. „Es ist fest vereinbart, dass wir den Prozess fortführen und in diesen Fragen auch weiter berichten werden“, so Scholz. Die Län­der­che­f*in­nen einigten sich am Donnerstag zudem untereinander auf ein gemeinsames Bargeldlimit bei der Bezahlkarte für Geflüchtete.

Die Mi­nis­ter­prä­si­den­t*in­nen interpretierten Scholz Ankündigung höchst unterschiedlich. Hessens Boris Rhein (CDU) sagte nach dem Treffen: „Wir werden jetzt nicht bei Gutachten stehenbleiben, das begrüße ich sehr.“ Sein SPD-Amtskollege aus Niedersachsen, Stephan Weil sagte dagegen: „Dass das eine Lösung unserer strukturellen Probleme sein wird, das glaube ich nicht.“ Thüringen und Bremen kritisierten die Absprachen in einer Protokollerklärung mit Verweis auf drohende Menschenrechtsverletzungen und Gefahren für die Rechtsstaatlichkeit in Deutschland.

Erste Ergebnisse der Prüfung, bei der es um „konkrete Modelle“ für die ausgelagerten Asylverfahren gehen soll, will Scholz Anfang Oktober vorstellen – nicht ganz zufällig also nach den Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg. Ein Prüfbericht aus dem Bundesinnenministerium, der vorab öffentlich geworden war, kam bereits zu dem Fazit, dass Verfahren im Ausland zwar rechtlich möglich wären, praktisch aber kompliziert, teuer und menschenrechtlich problematisch seien.

Auch Ak­ti­vis­t*in­nen fürchten, dass Geflüchtete fernab der Öffentlichkeit Menschenrechtsverletzungen drohen könnten. Sie kritisieren zudem absehbar hohe Kosten und großen Verwaltungsaufwand. Die Überlegungen seien zudem neokolonial. „Die Auslagerung von Asylverfahren ist weder rechtlich noch praktisch machbar“, heißt es in einer Erklärung von Amnesty International. „Wer in Europa Schutz sucht, muss ihn auch hier erhalten!“ Wiebke Judith, Rechtsexpertin von ProAsyl, sprach von einer „Scheinlösung“ und einem „Irrweg“, der keine „der aktuellen Herausforderungen lösen wird.“

Trotzdem drängen CDU und CSU seit Monaten auf solche Pläne und verweisen auf die Vorhaben von Großbritannien und Italien, die Asylverfahren nach Ruanda und Albanien auslagern wollen. Angesprochen auf diese Modelle verwies Scholz am Donnerstag auf die geringe Größenordnung der britischen und italienischen Pläne, bei denen es jeweils nur um wenige tausend Geflüchtete gehen soll. Dies habe mit den Problemen, vor denen Deutschland stehe, „nur ein bisschen was zu tun“.

Keine Beschlüsse zum Bürgergeld für Ukrai­ne­r*in­nen

Scholz berichtete den Ländern zudem über die Bemühungen der Bundesregierung, Straftäter und Gefährder künftig wieder nach Afghanistan und Syrien abzuschieben. Scholz sagte, man sei „auf einem guten Weg“. Men­schen­rechts­ak­ti­vis­t*in­nen kritisieren auch diese Pläne scharf: Abgeschobenen drohe in den Unrechtsstaaten Syrien und Afghanistan Folter und Todesstrafe. Zudem dürfe die internationale Ächtung der Regime in Kabul und Damaskus nicht aufgehoben werden, nur um wieder dorthin abschieben zu können.

Keine Beschlüsse gab es am Donnerstag zu den staatlichen Leistungen für Geflüchtete aus der Ukraine. Bisher erhalten sie Bürgergeld. Union und FDP hatten vor dem Gipfel gefordert, neu ankommenden Ukrai­ne­r*in­nen künftig nur noch Beträge nach dem Asylbewerberleistungsgesetz auszuzahlen, die in den ersten 36 Monaten deutlich unter dem Bürgergeld liegen. Die Vorstöße waren bei den Mi­nis­ter­prä­si­den­t*in­nen allerdings auf wenig Gegenliebe gestoßen: Für das Bürgergeld zahlt der Bund, die Leistungen für reguläre Asyl­be­wer­be­r*in­nen stammen dagegen aus den Kassen der Länder.

Vor dem Treffen mit Scholz hatten sich die Mi­nis­ter­prä­si­den­t*in­nen bereits auf ein gemeinsames Bargeldlimit für die Bezahlkarte geeinigt, über die Asyl­be­wer­be­r*in­nen künftig ihre staatlichen Leistungen erhalten sollen. Der beschlossene Betrag von 50 Euro stellt dabei eine weitere Verschärfung der Pläne dar, die ohnehin bereits einen schweren Eingriff in das Leben von Geflüchteten bedeuten. Hessens Boris Rhein (CDU) sprach von einem „wichtigen Zeichen“.

Weitere Niederlage für die Grünen

Allerdings blieb zunächst unklar, ob wirklich alle der 14 Länder, die sich an dem gemeinsamen Kartenmodell beteiligen wollen, tatsächlich die Umsetzung der jüngsten Beschlüsse planen. Bremen und Thüringen sprechen sich in einer Protokollerklärung für einen „Bargeldkorridor von 50 bis 120 Euro“ aus, auch Rheinland-Pfalz wandte sich gegen eine „starre“ Begrenzung. Bayern und Mecklenburg-Vorpommern planen ohnehin jeweils eigene Kartenmodelle.

Die Einigung auf 50 Euro bedeutet eine weitere Niederlage für die Grünen, die sich in den Ländern bisher für ein deutlich höheres Limit eingesetzt hatten. So oder so verloren haben die Asylbewerber*innen, die mit den Karten künftig keine Überweisungen mehr tätigen können und nur noch begrenzten Zugang zu Bargeld haben.

Einzig positives Ergebnis der Bund-Länder Beratungen ist der Beschluss, eine dauerhafte Kommission gegen Antiziganismus einzurichten. Der Beauftragte der Bundesregierung für den Kampf gegen Antiziganismus, Mehmet Daimagüler, sprach von einem „starken Zeichen der demokratischen Einigkeit gegen Hass und Hetze gegenüber Minderheiten.“ Auch der Zentralrat der Sinti und Roma begrüßte die Entscheidung. Der Vorsitzende Romani Rose sagte, dies mache deutlich, „dass die Bundesregierung auch die Gefahren des Antiziganismus verstärkt in den Fokus nimmt.“

Aktualisiert und ergänzt am 21.06.2021 um 11:45 Uhr. d. R.

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