Bürgermeisterkandidatin in Timmendorf: "Frisch, natürlich, kompetent"

Im Ostseebad Timmendorfer Strand hat Hatice Kara gute Chancen, Bürgermeisterin zu werden. Sie wäre die erste Muslima an der Spitze einer schleswig-holsteinischen Kommune.

Kommt an bei den Timmendorfern: Hatice Kara. Bild: timmendorfer.de/Peter Sörensen

TIMMENDORFER STRAND taz | Ihre Fröhlichkeit ist ansteckend. Hatice Kara lacht gern und viel. Selbst jetzt noch, nach zehn Stunden Wahlkampf am Stück steht sie im böigen Wind in Timmendorfer Strand und verbreitet gute Laune. Morgens um acht Uhr hatte sie ihre ersten Termine im Niendorfer Hafen, jetzt plaudert sie am späten Nachmittag vor dem Aldi-Markt. Und vermittelt den Eindruck, mir ihr als Bürgermeisterin würde das Leben in dem Ostseebad leichter werden.

An diesem Sonntag entscheidet sich, ob erstmals ein Mensch mit Migrationshintergrund Verwaltungschef in einer schleswig-holsteinischen Kommune wird. Dieser Mensch wäre Hatice Kara.

30,25 Prozent hatte die Sozialdemokratin im ersten Wahlgang parallel zur Landtagswahl am 6. Mai errungen, nur knapp zwei Prozent weniger als der CDU-Kandidat Sven Wilke. Diese beiden stehen nun in der Stichwahl am 20. Mai. Und Kara hat gute Chancen, die rund 30 Prozent WählerInnen der Grünen und der Piraten für sich zu gewinnen, deren Kandidaten auf der Strecke blieben.

Ihr Stand vor dem Aldi-Markt ist ein Selbstläufer, Kara muss nicht um Aufmerksamkeit buhlen, die Leute kommen von selbst. Wollen ihr gratulieren zum „tollen Ergebnis“ in der ersten Runde, wünschen ihr Glück, legen ihr Themen ans Herz, als ob sie schon Bürgermeisterin wäre und schimpfen über die CDU.

Die ist traditionell die dominierende Partei im Ostseebad, bei der Landtagswahl lag sie mit 38,5 Prozent deutlich vor der SPD mit 26,4 Prozent – ihr Bürgermeisterkandidat Wilke aber erreichte nur exakt 100 Stimmen mehr als Kara: „Da geht noch was“, sagt sie.

Die Gemeinde besteht aus den Ostseebädern Timmendorfer Strand und Niendorf/Ostsee sowie den Dorfschaften Groß Timmendorf, Oeverdiek und Hemmelsdorf.

Einwohner: 8.976, davon 414 mit nicht-deutscher Staatsangehörigkeit.

Wirtschaft: Tourismus mit rund 1,5 Millionen Übernachtungen im Jahr 2011.

Kommunalwahl 2009: CDU 32,8 Prozent, Wählergemeinschaft Unabhängiger Bürger (WUB) 24,4%, Grüne 18,8 %, SPD 14,9 %, FDP 9,2 %.

Gemeinderat: CDU 6 Sitze, WUB 5, Grüne 4, SPD 3, FDP 1.

Im Grunde hat die 32-jährige Rechtsanwältin gegen eine Menge Klischees zu kämpfen. Sie ist weiblich. Sie ist jung. Sie ist gebürtige Türkin. Sie ist Muslima. Sie hat erst seit zwölf Jahren die deutsche Staatsbürgerschaft. Sie ist keine Timmendorferin.

Kara schafft es dennoch, Vorurteile aus dem Weg zu räumen. Und wenn, wie bei einer von vier öffentlichen Kandidatenbefragungen, jemand nach ihrer Konfession und Familienplanung fragt, beantwortet sie diese mit einem Lächeln auch gegen den Widerstand der Moderatorin, die diese Fragen als unzulässig verwerfen wollte. Eigentlich habe sie „keine großen Probleme gehabt“, sagt Kara. Sie hätte überall das Gefühl gehabt, akzeptiert zu werden. Und die paar dummen Fragen – „was soll’s“, zuckt sie die Schultern. Und lacht.

Bis vor Kurzem kannte Kara Timmendorfer Strand nur von ein paar Strandspaziergängen. Sie ist in Rendsburg aufgewachsen, arbeitet dort als Rechtsanwältin, ist dort Mitglied im SPD-Kreisvorstand. Über die Kommunalpolitische Vereinigung der SPD waren die Timmendorfer Genossen auf Kara gestoßen, als sie zu Jahresbeginn nach einem Kandidaten für die Bürgermeisterwahl suchten.

Kara überzeugte: „Frisch, natürlich, kompetent, zielorientiert“, schwärmt Thore Jürgensen, SPD-Fraktionschef im Gemeinderat. Und nimmt es hin, dass Kara ihren eigenen Weg geht. Auf Plakaten, Flyern und auch am Stand vor dem Aldi-Markt deutet nichts auf die SPD hin – kein Logo, keine Kugelschreiber. „Das ist eine Persönlichkeitswahl“, sagt Kara und stellt damit klar, womit sie bislang gepunktet hat und weiter punkten möchte: „Als Bürgermeisterin werde ich für alle Bürger und Bürgerinnen da sein.“

Auch für das Ehepaar im Rentenalter, das ausführlich erläutert, wie das politisch so zugeht in Timmendorfer Strand. Dass die CDU „sowas von beherrschend“ sei, dass „endlich mal Schluss sein muss mit diesem Filz“, dass „da unbedingt frischer Wind rein“ müsse. Und deshalb würden sie für Hatice Kara stimmen, obwohl sie traditionell CDU-WählerInnen seien. „Die Frau Kara, das ist doch eine tolle Person, da ist mir die Partei doch egal“, sagt sie, und er nickt dazu: „Stimmt. Die ist gut.“

Kara hat im Wahlkampf keine großen Versprechen gemacht. Sie will den Tourismus, von dem Timmendorfer Strand lebt, weiter stärken. Sie will bezahlbaren Wohnraum für junge Familien fördern, denn die Gemeinde droht zu einer Ansammlung von Zweitwohnungen wohlhabender Menschen aus dem Rest Deutschlands zu werden.

Die Immobilienpreise liegen auf dem Niveau von Altbauten an der Hamburger Außenalster, werktags außerhalb der Saison ist der Ort fast menschenleer. Kara lehnt den Ausbau der Bahnstrecke am Ortsrand im Zuge der Fehmarnbelt-Querung ab, weil der Lärm der Güterzüge Urlauber vertreiben könnte. Damit kommt sie an im selbsternannten „Nizza des Nordens“.

Die Piraten empfehlen für den zweiten Wahlgang, den Kandidaten der CDU „nicht zu wählen“. Es gebe zwar keine förmliche Empfehlung für Hatice Kara, sagt Piraten-Kandidat Mike Weber, der im ersten Wahlgang 6,5 Prozent erreicht hatte: „Aber ich habe bei ihr keine Nachteile entdeckt.“ Die Wählergemeinschaft unabhängiger Bürger (WUB) und die Grünen hatten einen gemeinsamen Kandidaten, der mit 24,6 Prozent auf dem dritten Platz die Stichwahl verfehlte.

Die WUB will keine offizielle Wahlempfehlung abgeben, die Grünen sprechen sich klar für Kara aus: „Sie ist jung, sie ist dynamisch, und sie steht für Timmendorfs Zukunft“, sagt der grüne Ortsvorsitzende Felix Benary.

Und jetzt hat sich auch noch Timmendorfs evangelischer Pastor Thomas Vogel hinter Kara gestellt. Er habe sie kennengelernt als jemanden, „der den christlichen Kirchen Respekt zollt, Brücken baut und auf gegenseitiges Vertrauen setzt“, schreibt Vogel in einer Mail an Kara mit der Erlaubnis, diese auf ihrer Homepage zu veröffentlichen. Ihm wäre „Frau Kara im Rathaus als eine starke Partnerin willkommen“.

Am Sonntag hat Kara gute Chancen, als erste Muslima Bürgermeisterin in Schleswig-Holstein zu werden. Es wäre ein weiterer Schritt zu gesellschaftlicher Normalität.

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