Mit Fackeln, Trommeln, Pfeifen und Bengalos

In Halberstadt im Harz sind Hunderte Geg­ne­r:in­nen der Coronapolitik vor das Haus des Oberbürgermeisters gezogen. Die Empörung darüber ist groß

Halberstadts Oberbürgermeister Daniel Szarata spricht am 9. Januar mit Teilnehmern des Bürgerdialogs Foto: Matthias Bein/dpa

Aus Leipzig Rieke Wiemann

Hunderte Geg­ne­r:in­nen der Coronamaßnahmen sind am Montagabend in Halberstadt in Sachsen-Anhalt vor das Wohnhaus des Oberbürgermeisters Daniel Szarata (CDU) gezogen – mit Fackeln, Trommeln, Trillerpfeifen und Bengalos. Das teilte die Polizeiinspektion Magdeburg am Dienstag mit.

Der Aufzug mit bis zu 700 Menschen habe sich zunächst durch die Innenstadt bewegt und durch angrenzende Wohn- und Gewerbegebiete, wie es in der Mitteilung der Polizei heißt. Gegen 20 Uhr habe die Gruppe Szaratas Wohnhaus erreicht. Die Po­li­zis­t*in­nen führten „sofortige Objektschutzmaßnahmen an der Grundstücksgrenze bis zum vollständigen Verlassen der Personengruppe durch“. Die Polizei leitete den Angaben zufolge Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Verstoßes gegen das Sprengstoffgesetz, wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz, Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte und tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte ein. Zudem habe es Identitätsfeststellungen gegeben.

Angeführt wurde die unangemeldete Demo von der neonazistische Gruppe „Harzrevolte“, die am Montag um 20 Uhr auch ein Video des Protests in ihrem Telegram-Kanal gepostet hat. Auf ihrem Banner stand in Großbuchstaben: „Die Regierung ist das Virus.“ Darunter die Selbstbeschreibung der Neonazis: „deutsch – stabil – ungeimpft“.

„Die ‚Harzrevolte‘ gehört zu den aktivsten Neonazi-Gruppen in Sachsen-Anhalt“, so David Begrich, Rechtsextremismusexperte beim Magdeburger Verein Miteinander. In dem knapp vier Minuten langen Video ist zu sehen, wie mehrere hundert De­mons­tran­t:in­nen lautstark vor dem Grundstück des Oberbürgermeisters Daniel Szarata protestieren. Immer wieder rufen sie: „Wir sind das Volk, wir sind das Volk“, trommeln, pfeifen, grölen. Manche Teil­neh­me­r:in­nen halten Fackeln in der Hand, andere Taschenlampen, mit denen sie das Wohnhaus des CDU-Politikers anleuchten. Der Mann, der das Video aufgenommen hat, sagt: „Hier sind wir, HerrBürgermeister.“ Währenddessen stehen Po­li­zei­be­am­t*in­nen Schulter an Schulter vor dem Grundstück, um es vor den De­mons­tran­t:in­nen zu beschützen.

Ob Daniel Szarata zu dem Zeitpunkt zu Hause war, blieb zunächst offen. Der 39 Jahre alte Oberbürgermeister hat sich in den vergangenen Wochen intensiv darum bemüht, mit Geg­ne­r*in­nen der Coronapolitik über deren Sorgen und Ängste zu sprechen. Im Januar zum Beispiel hatte Szarata zusammen mit Me­di­zi­ne­r*in­nen und anderen Po­li­ti­ke­r*in­nen Impf­skep­ti­ke­r:in­nen zum Gespräch auf dem Domplatz in Halberstadt eingeladen. Das Motto: „Dialog statt Demo.“

Zahlreiche Landespo­li­ti­ke­r:in­nen haben sich über den Aufzug vor dem Wohnhaus des Oberbürgermeisters entsetzt gezeigt. „Einen solchen Angriff auf die eigene Familie und Privatsphäre steckt man nicht einfach weg. Ich wünsche Kraft. Und erwarte, dass die Polizei umfassend Schutz gewährleistet“, schrieb der Landtagsabgeordnete Sebastian Striegel (Grüne) auf Twitter. Seitens der FDP-Fraktion hieß es: „Solche Aufmärsche vor den Privathäusern sind ein Missbrauch der Versammlungsfreiheit und eine nicht hinnehmbare Grenzüberschreitung, die uns zutiefst empört und die wir aufs Schärfste verurteilen.“

Auch die CDU-Landtagsfraktion verurteilt den Protest. Der innenpolitischer Sprecher, Chris Schulenburg, erklärte: „Einschüchterungen durch Menschenmassen sind nicht vom Versammlungsrecht gedeckt. Die Versammlungsbehörde muss reagieren und sensible Orte, wie das Privathaus, zur Bannmeile erklären.“

Die Fraktionsvorsitzende der Linken im Landtag, Eva von Angern, forderte Sachsen-Anhalts Innenministerium dazu auf, „endlich“ tätig zu werden und strafrechtlich relevante Handlungen von Coronademonstrierenden konsequent zu verfolgen. „Das staatliche Versagen im Umgang mit Coronaprotesten muss beendet werden.“

Die sachsen-anhaltische Innenministerin Tamara Zieschang (CDU) wiederum kündigte an, „dass Versammlungsbehörden und Polizei einem solchen Missbrauch des Versammlungsrechts entschieden entgegentreten werden“. Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) warnte vor einer Radikalisierung der Proteste und vor einer zunehmenden Instrumentalisierung durch rechtsextreme Kräfte.

Auch in den Nachbarbundesländern Thüringen und Sachsen waren wiederholt private Wohnsitze Ziel von Coronademos. Im Januar zog ein unangemeldeter Protestzug am Haus von Geras Oberbürgermeister Julian Vonarb (parteilos) vorbei. Im Dezember 2021 hatte ein Fackelaufzug vor dem Wohnhaus der sächsischen Gesundheitsministerin Petra Köpping (SPD) in Grimma bei Leipzig für Empörung gesorgt.