Bürgerkriegsakteure in der Politik: Islamisten planen Comeback

Der ehemalige Militärchef Mezrag will die Nachfolge von Präsident Bouteflika in Algerien antreten. Opferverbände lehnen das ab.

Ein Mann küsst ein Wahlplakat

Küsschen-Bekundschaftung für den heute schwerkranken Präsidenten Abdelaziz Bouteflika im Wahlkampf 2009. Foto: Zohra Bensemra/ reuters

MADRID taz | Die algerische Islamische Heilsfront (FIS) könnte bald schon ins politische Leben zurückkehren. Madani Mezrag, der ehemalige Chef der Armee des Islamischen Heils (AIS), des bewaffneten Armes der 1992 nach ihrem Wahlsieg verbotenen FIS, plant eine neue Partei – die Front für Aussöhnung und Heil (Fars).

Das Ziel des 54-jährigen Mezrag: Er will als Nachfolger für den schwerkranken Staatspräsidenten Abdelaziz Bouteflika kandidieren. „Es ist an der Zeit, aus der Vergangenheit herauszutreten“, erklärt Mezrag. Er verspricht eine Organisation, die erneut versuchen will, Algerien zu einem Staat zu machen, der sich auf das islamische Recht statt auf eine säkulare Ordnung stützt.

Der Bürgerkrieg zwischen Islamisten und Armee forderte in den 1990er Jahren etwa 200.000 Tote. Nach Waffenstillstandsverhandlungen Mezrags mit der Armeeführung 1997 erließ der damalige und heutige Staatspräsident Abdelaziz Bouteflika im Januar 2000 ein Aussöhnungsgesetz, eine Amnestie für 5.000 AIS-Kämpfer. Darin wird ihnen jegliche politische Betätigung untersagt.

Mezrag bereitet dennoch – so erklärt er in einem im Netz verbreiteten Video – den Gründungskongress für seine Partei vor. Das Projekt hatte er Mitte August auf einer „Sommeruniversität“ in den Wäldern nahe dem westalgerischen Mostaganem vorgestellt. Dort versammelte der einstige Oberbefehlshaber der Rebellentruppen AIS ungehindert seine engsten Vertrauten. Bereits vor einem Jahr hatte Mezrag ein ähnliches Treffen abgehalten, damals unweit seines Geburtsortes Jijel im Osten des Landes.

Dorfbrigaden kündigen Protest an

Algeriens Öffentlichkeit reagiert erstaunt und entsetzt. Viele fragen sich, wie solche Treffen in einem Land möglich sind, in dem selbst kleinste soziale Protestaktionen regelmäßig verboten werden. „Das zeugt vom heimlichen Einverständnis zwischen den ehemaligen Terroristen und den Mächtigen im Lande“, beschwert sich ein Sprecher der Vereinigung der Opfer des Terrorismus.

Die Mitglieder der ehemaligen Dorfbrigaden, Selbstverteidgungsmilizen, die die Bevölkerung in den Jahren des Bürgerkrieges vor Übergriffen der Islamisten schützten, kündigen Protestmärsche an, sollte Mezrag tatsächlich eine Partei gründen dürfen. „Wir werden niemandem, der an der nationalen Tragödie beteiligt war, das Recht einräumen, eine Partei zu gründen“, versucht Premier Abdelmalek Sellal zu beruhigen. Doch das gelingt nicht so recht. Denn Mezrag hat gute Freunde im Staats- und Armeeapparat. „Wir haben ein Abkommen mit den Mächtigen, das über dem Gesetz steht“, erklärt er selbstsicher.

Mezrag ist längst vom Terroristen zu einer Persönlichkeit des öffentlichen Lebens geworden. Bereitwillig lässt er sich interviewen. Er nahm an Wahlkampfveranstaltungen von Bouteflika teil. Vor einem Jahr wurde er als einer unter vielen „nationalen Persönlichkeiten“ in den Präsidentenpalast geladen, um seine Ideen für eine Verfassungsreform zu unterbreiten. Gesprächspartner war der Chef des Präsidialamtes, Ahmed Ouyahia. Dieser war während des Bürgerkrieges Premier und gehörte zu den „Eradicateurs“, dem Flügel im Staats- und Armeeapparat, der auf eine „Ausrottung“ der Islamisten setzte. Als sich die AIS als zu stark erwies und noch grausamere bewaffnete islamistische Gruppen entstanden, unterstützte Ouyahia die Verhandlungen der Armee mit Mezrag.

Mezrag verfügt über Bürgerkriegsvermögen

An Mitteln für eine neue Partei dürfte es Mezrag nicht fehlen. Als die AIS die Waffen niederlegte, wurde die in den Jahren des Bürgerkrieges angehäuften Vermögen sowie die Gelder der verbotenen FIS nicht beschlagnahmt. 2006 gab Mezrag in einem Interview gegenüber der Zeitschrift Jeune Afrique zu, der Verwalter dieses immensen Guthabens zu sein „das überall ist, nur nicht auf einer Bank“.

In seinem Video mahnt Mezrag zur Eile bei der Parteibildung: „Die Leute, mit denen wir die Aussöhnung erreicht haben, sind entweder tot oder auf dem Weg zu sterben. Wir alle kennen den Gesundheitszustand des Präsidenten, auf das Gott ihm Leben schenkt. Wenn das so weitergeht, wird unser Abkommen nicht mehr existieren.“

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