Bürgerkrieg in Syrien: Auf der Flucht vor Daesh
Ein junger Journalist flieht aus Aleppo. Er beschreibt die Bedrohung durch den IS, seinen Weg nach Deutschland, und spricht von seinen Hoffnungen.
Taym, dessen richtiger Name ein anderer ist, hat als „Fixer“ (eine Art Übersetzer und Mittelsmann) mit ausländischen Journalisten in Syrien gearbeitet. Irgendwann begann er selbst zu schreiben. Dann verlor der 21-Jährige alles und war zur Flucht gezwungen.
Da war diese Nachricht an meiner Tür, mit meinem vollen Namen, auf der sie drohten, mich wie eine Ziege zu schlachten. Sie wollten mich wissen lassen, dass sie mich jederzeit kriegen könnten, dass sie wirklich wissen, wo ich bin. Zuvor hatten sie mich bereits über das Internet bedroht.
Als ich das nächste Mal meinen Vater sah, sagte er mir, ich solle aus dem Land verschwinden. „Du hast dich selbst ruiniert, und du hast uns ruiniert.“
Ich hatte diesen Artikel geschrieben, über Daesh (arabische Abkürzung für den Islamischen Staat, IS, Anm. d. Red.). Für eine britische Onlinezeitung.
Das hat mich viel gekostet. Zu viel. Ich bin nun ein Flüchtling, einer von Millionen, und mir fehlen die Worte im Arabischen wie im Englischen, um zu beschreiben, wie sich diese Scheiße anfühlt.
Ich hatte bereits als Fixer für die ausländischen Journalisten gearbeitet, die nach Aleppo gekommen sind. Damals entschied ich, dass ich nicht mit der Waffe kämpfen würde, sondern mit Informationen.
Mit Daesh in Kontakt zu kommen, war für mich nicht schwierig. Bevor diese Terroristen ihr wahres Gesicht zeigten, lebten viele von ihnen unter uns. Wir kannten sie und hatten Kontakt zu ihnen. Als wir die Wahrheit darüber erkannten, was sie sind, da brachen wir den Kontakt zu ihnen ab.
Der Mann, mit dem ich für meine Geschichte über Daesh sprach, hatte einst in meiner Nachbarschaft gelebt. Ich hatte schon lange den Kontakt zu ihm verloren. Er schrieb mich an, und ich fragte ihn, wo er sei und was er tue. Er erzählte mir, dass er zu al-Qaida gegangen sei und diese wieder verlassen habe, um sich Daesh anzuschließen.
Journalist gesucht
Zur gleichen Zeit sah ich den Tweet der britischen Nachrichtenseite, die fragte, ob ein Journalist in der Region sei und Kontakt zu Kämpfern Daeshs habe.
Die westlichen Medien schicken kaum noch Journalisten nach Syrien, also müssen wir Syrer diese Lücke füllen. Wir sind gezwungen große Risiken einzugehen. Der Tod Molhem Barakats ist ein besonders schlimmes Beispiel. Er starb mit 17, während er Fotos für Reuters schoss, die auf den Titelseiten dieser Welt veröffentlicht wurden.
Der Kämpfer, der mich kontaktierte, wollte sogar, dass ich über ihn schreibe, und lud mich ein. Natürlich hatte ich Angst, sie in ihrem Camp zu interviewen, also verabredeten wir ein Treffen in der Türkei. Ich durfte keine elektronischen Geräte mitbringen, sie sagten mir, sie würden mir alles zur Verfügung stellen. Sie wollten, dass ich Propaganda für sie betreibe, dass ich ihre „wahre Geschichte“ erzähle, dass sie keine Terroristen seien und nur das Land beschützen würden.
Ich erklärte mich bereit – natürlich hatte ich nicht vor, die Geschichte zu schreiben, die sie von mir wollten. Sie sind Kriminelle, und nichts, was sie sagten, hätte darüber hinwegtäuschen können.
Es wurde alles kontrolliert
Es war eine Gruppe von neun Leuten – sie nahmen die neuen Rekruten in der Türkei in Empfang. In der Gruppe an diesem Tag waren Männer aus Amerika, Deutschland, Kasachstan, Frankreich und Russland. Ich filmte, musste ihnen aber alles vorlegen, sodass sie löschen könnten, was immer sie wollten.
Dann begann eine viertägige Reise über abgelegene Straßen zu einem Ort nahe der türkisch-syrischen Grenze. Ich sollte weiter filmen, es ging ihnen um die ausländischen Kämpfer. Diese taten nichts als warten, beten und Kaffee trinken. Ich durfte nicht direkt mit den ausländischen Kämpfern sprechen, alles musste durch meine Aufpasser gefiltert werden. Sie kontrollieren jede Information über sich.
Und schließlich wurde klar, dass sie noch mehr von mir wollten. Ich sollte sie nach Raqqa begleiten. Ich wollte das nicht: Ursprünglich hatten sie mir versprochen, dass ich sie nur bis zur Grenze begleiten müsste. Doch sie sagten, dass ich die „Wahrheit“ über sie nur in Raqqa sehen könnte. Ich brauchte einen Ausweg. Also sagte ich ihnen, ich wolle sie filmen, wie sie Kaffee inmitten der anderen Leute trinken, das würde zeigen, dass sie normale Männer, keine Barbaren seien. Sie akzeptierten das, und dort, im Stadtzentrum, gelang es mir in einem Taxi zu entkommen.
Unterstützung von Reporter ohne Grenzen
Das alles geschah im September vorigen Jahres. In Aleppo ist es nicht schwer, sich zu verstecken – weil so viele geflohen sind, stehen zahllose Wohnungen leer. Doch langfristig war das keine Lösung. Nicht mehr, als die Drohungen über Facebook und WhatsApp kamen und erst recht nicht mehr, als ich die Notiz an der Tür eines meiner Verstecke fand. In der Türkei lebte ich dank der Unterstützung von Reporter ohne Grenzen.
Im November wurde mein Bruder von einer Rakete schwer verletzt. Sie brachten ihn in ein Krankenhaus in der Türkei, wo ich ihn besuchte. Ihn nicht noch einmal zu sehen, hätte ich mir nicht verziehen. Er starb wenige Tage später, und ich brach nach Europa auf. Nach Bulgarien. An der Grenze jagten die Behörden uns mit Hunden. Natürlich waren wir hier sicherer, aber wir sind in diesem bitterarmen Land nicht willkommen.
Mittlerweile bin ich in Deutschland angekommen. Viele fragen, warum wir ausgerechnet hierher kommen. Und es liegt gar nicht so sehr an diesem Staat, sondern an den Menschen. Den Freiwilligen etwa, die uns am LaGeSo unterstützen.
Die Situation in Syrien wird sich in naher Zukunft nicht ändern. Die Opposition erhält kaum Unterstützung, während Assad und Daesh die Menschen töten. Und selbst wenn beide besiegt werden, wird es weitere Gewalt geben. Ich weiß nicht, wie es weitergeht. Aber ich hoffe, eines Tages weiter als Journalist arbeiten zu können.
Übersetzung: Jan-Niklas Kniewel
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