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Bürgerkrieg in SyrienAmnestie im fortgesetzten Blutbad

Assad amnestiert ausgewählte Gefangene. Währenddessen drängen UN-Organisationen in einem Appell auf eine politische Lösung des Konflikts.

Frohlocket, denn der Präsident hat eine Amnestie ausgerufen. Bild: ap

DAMASKUS/GENF dpa | Der syrische Präsident Baschar al-Assad hat eine Amnestie erlassen. Davon könnten Tausende von Strafgefangenen und politischen Gefangenen profitieren. Wie die staatliche Nachrichtenagentur Sana am Dienstag meldete, sollen unter anderem alle Todesurteile in lebenslange Haftstrafen umgewandelt werden.

Todkranke Gefangene und die meisten Häftlinge, die über 70 Jahre alt sind, sollen aus der Haft entlassen werden. Die Amnestie gilt für „alle Verbrechen, die vor dem 16.4.2013 verübt worden sind“. Allerdings sieht das Dekret auch etliche Ausnahmeregelungen vor. Es bleibt damit hinter den Forderungen der Opposition zurück, die unter anderem die Freilassung aller politischen Gefangenen gefordert hat.

In einem dringenden gemeinsamen Appell an Politiker und Regierungen haben die UN-Hilfsorganisationen eine politische Lösung für den Bürgerkrieg in Syrien gefordert. Nach zwei Jahre andauernden Kämpfen, mehr als 70 000 Toten und mehr als fünf Millionen Vertriebenen müsse der blutige Konflikt endlich gestoppt werden „bevor Hunderttausende weitere Menschen ihre Wohnungen, ihr Leben und ihre Zukunft verlieren“, heißt es in dem am Dienstag veröffentlichen Aufruf.

Verfasser des Appells sind die Leiter des UN-Büros zur Koordinierung von Nothilfe (OCHA), Valerie Amos, des Welternährungsprogramms (WFP), Ertharin Cousin, des UN-Flüchtlingshilfswerkes (UNHCR), António Guterres, des UN-Kinderhilfswerks (Unicef), Anthony Lake, sowie der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Margaret Chan. Mehr als 5,5 Millionen Syrer seien inzwischen auf Nothilfe durch humanitäre Organisationen angewiesen – mehr als eine Million von ihnen als Flüchtlinge im Ausland.

Angesichts dessen fordern die Chefs der UN-Hilfsorganisationen „alle an diesem brutalen Konflikt Beteiligten sowie alle Regierungen, die sie beeinflussen können“ dringend auf, tätig zu werden: „Im Namen aller, die leiden, und der vielen, deren Zukunft in der Schwebe hängt: Es reicht! Setzen Sie sofort all Ihren Einfluss ein, um das syrische Volk zu retten und die Region vor der Katastrophe zu bewahren.“

Die Hilfsorganisationen würden zwar alles in ihren Kräften stehende tun, um den vom Bürgerkrieg betroffenen Menschen zu helfen. Doch die Not wachse immer weiter, während die Möglichkeiten zur Hilfe aufgrund von Sicherheitsproblemen in Syrien sowie längst nicht mehr ausreichender Mittel schrumpften, warnen die UN-Verantwortlichen: „Wir sind der Einstellung eines Teils der humanitären Hilfe gefährlich nahe gerückt, vermutlich innerhalb weniger Wochen.“

Es gehe aber jetzt nicht um die Forderung nach mehr Hilfsmitteln, sondern darum, dass beteiligte politische Führer „ihrer Verantwortung gegenüber dem syrischen Volk und der Zukunft der gesamten Region gerecht werden“.

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6 Kommentare

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  • A
    Ant-iPod

    @Harald:

     

    Bitte nicht unfair werden - Ihre Argumentation ist leider immer wieder diejenige, die dazu führt, dass viele Araber autokratisch regiert werden müssten, weil sie anders angeblich nicht regierbar sind - Stichwort Tribalismus etc.

     

    Auch Sie werden nicht bestreiten, dass die Kolonialisierung der Briten und Franzosen bis heute nachwirkt, was man bsw. an den Staatsgrenzen sehen kann - also die Aktualität durchaus gegeben ist. Die Willkür dabei wirkt auch nach... Franzosen wollten ein christliches Gebiet - na gut, dann trennen wir den Libanon ab... Den Osmanen wird die Ölreiche Gegend von Mossul abgenommen - na gut, dann geben wir ihnen eben den Sandschak von Iskenderun als "Gegenleistung", dann haben sie wenigstens noch einen Hafen...

    Da Fass mit Israel will ich hier nicht aufmachen, da es vom eigentlichen Problem ablenken würde.

     

    Die von den Briten eingesetzten Husseins regieren in Jordanien bis heute als Erbfolgemonarchie...

    Die Al-Sauds ja auch und durften den Land sogar ihren Namen anfügen. Diese Marionettenmonarchen und Despoten wie Ben-Ali und Mubarak sind immer wieder mit der von Ihnen genannten Argumentation gerechtfertigt worden und dass ist schlichtweg falsch.

     

    Ja, es gibt Tribalismustendenzen, die stärker sind, als bsw. in Europa... aber die aktuelle Sinti und Roma Diskussion zeigt, dass wir nicht immer sooooo weit davon entfernt sind.

    Gleichzeitig aber hat sich auch die arabischen Gesellschaft gewandelt. Sie werden wissen, dass die Re-Islamisierung einen enormen Schub durch die Folgezeit von 9/11 erhalten hat - und warum.

    Sie werden wissen, dass die Re-Islamisierung enorm viel mit der sozialen Lage zu tun hat - und warum.

     

    Die Wahl Moaz-Al-Chatibs hat bei all ihren Schwierigkeiten gezeigt, dass man sich zivilisiert und demokratisch einigen kann, dass Differenzen überwunden werden können und dass die Prozesse dazu geordnet und gewaltfrei sein können - auch wenn Araber diese gestalten.

    Die Menschen haben eine Chance verdient und nicht, dass wir sie in die Schublade der Unregierbarkeit einordnen und damit doch nur rechtfertigen wollen, dass wir uns gefällige Despoten in Amt und Würde bringen... diese Zeiten müssen vorbei sein.

    Hierbei können wir viel helfen!

  • H
    Harald

    Nach der kleinen Sekunde eines bürgerschaftlichen, demokratischen Protests, ist Syrien Aufmarschgebiet eines klassischen Stellvertreter-Kriegs. In dem Fall eines Islamischen.

     

    Wie auch aus dem Balkan bekannt, ist der Orient von einem fundamental anderen Geschichtsverständnis geprägt, an dessen extremsten Gegenpol das geschichtsautistische Deutschland zu nennen ist.

     

    Die dortige Interessenlage ist mitunter von hochaktuellen offenen Rechnungen geleitet, wobei unter 'hochaktuell' durchaus die Zeit des Ersten Weltkriegs zu verstehen ist.

     

    Die Konfliktlinien verlaufen nicht an Staatsgrenzen oder Nationen, sondern entlang eines ethnischen-religiösen Tribalismus https://de.wikipedia.org/wiki/Tribalismus.

     

    Zu erkennen an der schier unübersichtlichen Zahl der mitmischenden Konfliktparteien, die zwar formal in 'Regierung' und 'Opposition' geschieden sind, deren eigentliche militärische und terroristische Auseinandersetzungen jedoch erst im nach-Assad-Syrien richtig ausbrechen werden. Mit wieder neuen Koalitionen um die dann anstehende Vorherrschaft.

     

    Das ganze ist in Syrien überformt von der allgemeinen Lage in Mideast, d.h. der Auseinandersetzung um die Vorherrschaft von Sunniten und Schiiten. Eingebettet in die geostrategische Positionierung als politisch-militärische Brückenköpfe und der hegemonialen Auseinandersetzungen zwischen der Türkei, Iran und Saudi Arabien.

     

    Iran wiederum steht für Russland und China, Saudi Arabien steht für die USA. Allein

    Erdogan sieht sich als alleiniger Führer und die Türkei entsprechend als die übergeordnete Führungsnation im Nahen- und Mittleren Osten. Sein Plan, dies mit Hilfe der Nato militärisch umzusetzen, konnte bisher politisch nicht durchgesetzt werden.

  • J
    Jupp

    Für die Menschen in Syrien war es nicht nützlich, dass man von westlicher Seite den Gesprächsfaden mit der Assad-Herrschaft hat abreißen lassen.

  • A
    Anti-Pod

    Die Forderungen der UNO finde ich ein wenig lächerlich... diese Forderungen wurden schon vielfach erhoben - das Ergebnis sehen wir ja, es ist bereits Katastrophal.

     

    Bemerkenswert - für Baschar jedenfalls - ist die Amnestie in gewisser Weise schon. Sie spiegelt offensichtlich die fehlende Siegesgewissheit des Regimes wider, also endlich ein Beginn der Akzeptanz von Fakten.

    Das ist Positiv. Zwar ist die Amnestie weit entfernt von hinreichend und erfüllt die begründete Forderung der Opposition nicht, aber: Es ist aus meiner Sicht ein klarer Schritt in Richtung Gesprächsbereitschaft. Ich würde mir wünschen, dass Russland und China ihre diplomatischen Möglichkeiten nutzen und das Regime zu Verhandlungen drängen, die auf neutralem Boden stattfinden, bsw. in Norwegen oder der Schweiz. Dort könnte Baschar auch gleich seine Milliarden für den Wiederaufbau zurücküberweisen ;-)

     

    Die Aufgabe Europa's und der USA wäre es dann sicher zu stellen, dass die syrische Opposition den Verhandlungen auch dann zustimmt, wenn Baschar selbst kommt.

    Das ist an sich kaum zumutbar angesichts all der Toten, die er allein zu verantworten hat, als amtierender "Präsident" - aber wenn es Menschenleben schützen hilft, müssen wir diese Kröte schlucken.

    Baschar muss akzeptieren, dass seine Zeit abgelaufen ist und dass er erst recht nicht zu den Wahlen 2014 oder danach antreten kann.

     

    Auf der Ebene könnte man einen Kompromiss finden, den beide Seiten eigentlich unzumutbar finden und der doch eine Basis für Frieden sein kann.

     

    Fakt ist: Kommt es jetzt nicht zu Verhandlungen, ist der militärische Sieg der Opposition nur eine Frage der Zeit. Je länger das Regime dies hinauszögert, desto schwieriger wird die Versöhnung. Deswegen ist politische Verantwortung wichtig und das Regime zeigt hier kleine Ansätze davon... nehmen wir sie ernst und arbeiten damit.

  • A
    Ant-iPod

    Die Forderungen der UNO finde ich ein wenig lächerlich... diese Forderungen wurden schon vielfach erhoben - das Ergebnis sehen wir ja, es ist bereits Katastrophal.

     

    Bemerkenswert - für Baschar jedenfalls - ist die Amnestie in gewisser Weise schon. Sie spiegelt offensichtlich die fehlende Siegesgewissheit des Regimes wider, also endlich ein Beginn der Akzeptanz von Fakten.

    Das ist Positiv. Zwar ist die Amnestie weit entfernt von hinreichend und erfüllt die begründete Forderung der Opposition nicht, aber: Es ist aus meiner Sicht ein klarer Schritt in Richtung Gesprächsbereitschaft. Ich würde mir wünschen, dass Russland und China ihre diplomatischen Möglichkeiten nutzen und das Regime zu Verhandlungen drängen, die auf neutralem Boden stattfinden, bsw. in Norwegen oder der Schweiz. Dort könnte Baschar auch gleich seine Milliarden für den Wiederaufbau zurücküberweisen ;-)

     

    Die Aufgabe Europa's und der USA wäre es dann sicher zu stellen, dass die syrische Opposition den Verhandlungen auch dann zustimmt, wenn Baschar selbst kommt.

    Das ist an sich kaum zumutbar angesichts all der Toten, die er allein zu verantworten hat, als amtierender "Präsident" - aber wenn es Menschenleben schützen hilft, müssen wir diese Kröte schlucken.

    Baschar muss akzeptieren, dass seine Zeit abgelaufen ist und dass er erst recht nicht zu den Wahlen 2014 oder danach antreten kann.

     

    Auf der Ebene könnte man einen Kompromiss finden, den beide Seiten eigentlich unzumutbar finden und der doch eine Basis für Frieden sein kann.

     

    Fakt ist: Kommt es jetzt nicht zu Verhandlungen, ist der militärische Sieg der Opposition nur eine Frage der Zeit. Je länger das Regime dies hinauszögert, desto schwieriger wird die Versöhnung. Deswegen ist politische Verantwortung wichtig und das Regime zeigt hier kleine Ansätze davon... nehmen wir sie ernst und arbeiten damit.

  • P
    Popanz

    Will er jetzt ein Lob dafür, dass er Gefangene freiässt? Macht er einen auf human? Oder sieht er jetzt ein, dass Gefangene viel Geld kosten. Er amnestiert-, hört sich besser an, als: "raus mit denen, die fressen mir die Haare vom Kopf".