Bürger*innenasyl auf dem Land: Letzte Zuflucht Wohnzimmer
Die Initiative Barnimer Bürger*innenasyl will Menschen vor Abschiebungen schützen. Sie ist eine der Ersten, die dies in einem Landkreis umsetzt.
Ein Zimmer in einer Eberswalder Wohnung wurde für Salina Chadjieva* und ihre Familie für einige Monate zu einer richtigen Zuflucht. „Wir sind dort zur Ruhe gekommen, wir konnten wieder durchschlafen und haben den Geburtstag unserer Tochter richtig als Fest gefeiert“, sagt die junge Frau, die mit ihrer Familie aus Tschetschenien nach Deutschland geflohen ist.
Der Familie drohte die Abschiebung nach Polen, weil Polen nach der Dublin-Regelung für ihr Asylverfahren zuständig gewesen wäre. Da sie übergangsweise außerhalb der ihnen zugewiesenen Unterkunft lebten, konnten sie nicht abgeholt und abgeschoben werden. Inzwischen sind sie länger als sechs Monate im Barnim, damit ist nun Deutschland für ihr Asylverfahren zuständig.
„Im Heim hatten wir immer Angst“, sagt Chadjieva. „Wir haben mitbekommen, wie andere abgeschoben wurden.“ Einmal habe ihr Mann einen Polizist beim Heim gesehen. „Er dachte, dass die Polizei bestimmt in der Nacht kommt, und uns abholt. Jede Nacht sind wir gegen drei, vier Uhr aufgewacht, die Zeit, wenn sie meistens kommen, um einen abzuholen.“ Auch deshalb sei die Zeit, in der Eberswalder Privatpersonen sie in ihrer Wohnung aufgenommen hatten, so erholsam gewesen.
Öffentliche Unterstützung
Vermittelt hatte ihnen das Zimmer die Initiative Barnimer Bürger*innenasyl, die Menschen vor Abschiebung bewahren möchte. Neben Chadjieva haben sie in den vergangenen Monaten bereits zwei weitere Geflüchtete unterstützt. Nun wollen sie ihre Arbeit öffentlich machen. Eine am Freitag veröffentlichte entsprechende Erklärung unterzeichneten mehr als 50 Menschen aus dem Barnim – darunter Ärzt*innen, Lehrer*innen, Student*innen und Rentner*innen.
„Mit der öffentlichen Erklärung wollen wir der Stimmungsmache von rechts etwas entgegensetzen, die behauptet, dass es viel zu wenig Abschiebungen gibt“, sagt Philipp Grunwald von der Initiative, der in der Umweltbildung arbeitet und sich bereits länger gegen Abschiebungen einsetzt. „Wir verstehen unsere Erklärung als Akt des zivilen Ungehorsams.“ Darüber hinaus wollen sie von Abschiebung bedrohte Menschen auch praktisch unterstützen – wie, hänge vom Einzelfall ab.
Solche Hilfe hält Grunwald in den meisten Fällen für legal. „Wir gucken, welche rechtlichen Möglichkeiten es gibt. Allerdings finden wir es darüber hinaus legitim, Menschen davor zu beschützen, abgeschoben zu werden“, sagt er. Oft gehe es darum, Zeit zu gewinnen. Jemanden außerhalb des Heims unterzubringen sei der letzte Schritt. „Unser Ziel ist, dass Menschen ihren gültigen Aufenthaltsstatus behalten“, sagt Grunwald. „Sie sollen nicht als untergetaucht gelten, sondern ihr Leben weiterleben, so dass Kinder weiter in Schule oder Kita gehen können und Erwachsene zum Sprachkurs, zur Arbeit oder Ausbildung.“
Nach zahlreichen Bürger*innenasyl-Initiativen in deutschen Städten ist die Barnimer Gruppe eine der ersten in einem Landkreis. Ein besonderes Problem in Brandenburg sei, dass sich die Erstaufnahmeeinrichtungen des Landes an sehr abgelegenen Orten befänden und es dort kaum Zugang zu Rechtsberatung oder zu Anwälten gäbe, sagt Grunwald. „Dort sind sehr viele Menschen von Abschiebungen bedroht oder werden direkt aus der Erstaufnahme abgeschoben und es ist besonders schwer, sie zu unterstützen.“
31 Abschiebungen 2017
Laut dem Kreistag sind 2017 aus dem Barnim 31 Menschen abgeschoben worden, in anderen Brandenburger Landkreisen waren es deutlich weniger. Die Initiative fordert daher, dass die lokale Ausländerbehörde ihren Ermessungsspielraum mehr als bisher im Sinne der Asylsuchenden auslegt.
„Ich hoffe, dass unser Engagement dazu führt, dass wir Abschiebungen aus der Perspektive der Betroffenen diskutieren“, sagt Fania Taeger, eine der Unterzeichnerinnen der Barnimer Bürger*innenasyl-Erklärung, die in Eberswalde studiert hat und sich seit 2015 mit Sprachkursen und Jugendarbeit in der Flüchtlingsarbeit engagiert. „Die Abschiebegesetze sind unmenschlich“, sagt sie. „Menschen werden aus dem Schlaf gerissen, sie können oft schon Wochen vorher nicht schlafen, es ist mehrfach passiert, dass Menschen sich in dieser Situation das Leben genommen haben, oder es versucht haben“, sagt Taeger.
Salina Chadjieva hat durch ihre Zeit im Bürger*innenasyl wieder Mut gefasst. Sie hofft, dass sie mit ihrer Familie eine Chance in Deutschland bekommt. „Hier ist das Leben sicher“, sagt sie. „In Tschetschenien konnte ich mit niemandem über die Dinge reden, die mein Herz beschäftigt haben, es ist zu gefährlich.“ Hier habe sie Freundinnen gefunden. „Auch mein Mann hat sich hier geöffnet.“ Früher hätte er immer gesagt, alles sei OK, „aber ich wusste, es ist nicht OK.“
Deutsch hat Chadjieva bereits gelernt, sie möchte eine Ausbildung beginnen. „Wir konnten nun den Asylantrag stellen, aber wir wissen natürlich nicht, wie es ausgeht. Viele Anträge von Tschetschenen werden abgelehnt“, sagt sie. Dann droht ihnen die Abschiebung zurück in die Russische Föderation. „Sie sagen, Russland ist groß. Aber wir wissen, dass wir auch in Moskau nicht sicher sind.“
*Der Name wurde zum Schutz der Familie geändert
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