Bürgerforschung im Wandel: Citizen-Science etabliert sich

Die Bürgerforschung, vor wenigen Jahren noch ein zartes Pflänzchen, hat Wurzeln geschlagen. Das zeigt der Blick auf über 100 Citizen-Science-Projekte.

Aufstellen einer Insektenfalle

Mitglieder des Entomologischen Vereins Krefeld stellen eine Insektenfalle auf Foto: Entomologischer Verein Krefeld/dpa

BERLIN taz | „Die Citizen-Science-Community professionalisiert sich“, ist die Einschätzung von Aletta Bonn vom Umweltforschungszentrum (UFZ) der Helmholtz-Gemeinschaft. Dies sei auch durch die Förderinitiative des Bundesforschungsministeriums bewirkt worden, das seit 2017 dreizehn Projekte der Bürgerforschung finanziell unterstützt. „Citizen Science ist aus der belächelten Ecke herausgekommen und wird als ein wichtiges Werkzeug in der Zusammenarbeit mit der Gesellschaft und Schaffung von Innovation wahrgenommen“, sagt Bonn, die auch als Professorin für Ökosystemforschung an der Friedrich-Schiller-Universität Jena lehrt. „Der Erfolg der Krefelder Studie hat sicher auch dazu beigetragen, da dort gezeigt wurde, wie professionell und wichtig Citizen ­Science sein kann.“

In Krefeld hatte ein Verein von privaten Insektenforschern über Jahrzehnte den Bestand der Krabbeltiere in Naturschutzgebieten gemessen und in der Bilanz einen dramatischen Rückgang der Insektenmasse um bis zu 80 Prozent festgestellt. Seitdem ist das Thema „Insektensterben“ sogar auf die politsche Agenda gerückt.

Auch im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) ist man der Meinung, dass der 2013 begonnene Dialogprozess „BürGEr schaffen WISSen“ (GEWISS) und dem daraus hervorgegangenen „Grünbuch 2020“ als Roadmap für Citizen Science in Deutschland „die Bürgerforschung auf ein neues Niveau gehoben“ habe.

„Das macht sich bemerkbar in einem veränderten Umgang mit Methoden der Beteiligungsforschung, einer höheren Aufgeschlossenheit in Forschungseinrichtungen sowie einer stärkeren öffentlichen Wahrnehmung und medialen Darstellung von Bürgerwissenschaften“, erklärte ein Sprecher des Ministeriums auf Anfrage der taz.

Im Zuge der Verstärkung der Wissenschaftskommunikation will das BMBF die Bürgerforschung noch stärker in Schulen fördern. Als gelungenes Beispiel hierfür gelten die „Plastikpiraten“. Im Rahmen des „Wissenschaftsjahres 2016*17 – Meere und Ozeane“ wurden in einer gemeinsamen Aktion von Forschenden, Umweltpädagogen und Schulen bundesweit Daten zu Kunststoffvorkommen an und in deutschen Fließgewässern erhoben. „Das erfolgreiche Projekt wird in 2018 fortgeführt und soll mittelfristig zur Entwicklung von Schutzmaßnahmen von Flüssen und Meeren beitragen“, heißt es aus dem Ministerium.

Vogelgesang für das Museum

Zu den mit insgesamt fünf Millionen Euro geförderten 13 Projekten zählt auch der „Forschungsfall Nachtigall“ des Museums für Naturkunde in Berlin. Dafür wurden in diesem Jahr von mehr als 1.000 BerlinerInnen mehr als 1.800 Aufnahmen von Vogelstimmen in einer Handy-App des Museums aufgezeichnet und an die Forscher geschickt.

Die Auswertung der Tonaufnahmen läuft derzeit noch. Bisher konnten durch dieses Engagement rund 1.100 neue Strophenfolgen des Nachtigallengesangs nachgewiesen werden. Neue Ergebnisse werden am 1. November in der Urania im Rahmen der Berlin Science Week vorgestellt.

Das Besondere: Forschungs-fragen werden nicht an die Bürger herangetragen, sondern bei ihnen abgeholt

In der kommenden Woche wird im Rahmen des Projektes SAIN in Oberhausen ein Pilzgarten eröffnet, der von Fraunhofer-UMSICHT und Bürgern der Stadt entwickelt wurde. Hier steht die Frage der städtischen Agrikultur im Mittelpunkt: Wie und wo können in der Stadt möglichst nachhaltig Lebensmittel angebaut werden? „Die Bürgerforschenden haben den Garten mitentwickelt und auch die jüngsten Forscherinnen und Forscher sind hier mit dabei“, kündigte der BMBF-Sprecher an. Die Entwicklung des Pilzgartens werde in den kommenden Monaten von einer örtlichen Kindergartengruppe begleitet und der Fortschritt des Pilzwachstums von den Nachwuchsforschern dokumentiert.

Zu den geförderten Bürgerforschungsprojekten zählt auch „OpenLab.net – Make Science“ in Halle (Saale), ein Verbund aus der Maker- und Lab-Bewegung. Hier werden nach dem Muster von „Makerspaces“ in vier Innovationslaboren Forschungsfragen aus den Bereichen Sensorik, virtuelle Realität und Nachhaltigkeitskommunikation behandelt. Das Besondere: Forschungsfragen werden nicht an die Bürger herangetragen, sondern bei ihnen abgeholt. „Das ist in dieser Form einmalig“, sagt Eva Siebenhühner von der Gesellschaft für Wissenschaftskommunikation science2public, die das Projekt betreut.

Finanzielle Unterstützung

In dieser Woche ist der zweite offene Themenwettbewerb zu Ende gegangen: Sechs Einreichungen gab es aus den Ländern Sachsen-Anhalt, Thüringen und Sachsen. Bei der ersten Runde wurden zwei Themen ausgewählt, die von Bürgern mit Wissenschaftlern bearbeitet werden, unterstützt mit 7.500 Euro Preisgeld aus dem Wettbewerb.

So untersucht das Projekt „Mit Green Blogging zu mehr Nachhaltigkeit“, wie in den Sozialen Medien über Abfallreduzierung und andere Umweltthemen aus dem Bürgeralltag kommuniziert wird. Wissenschaftlicher Partner ist das Mitteldeutsche Medienzentrum in Halle. „Greenblogging“ ist eine der größeren Bürgerforschergruppen, die im Schnitt zwischen fünf und zwanzig Teilnehmern haben. „Uns begegnet viel Engagement und Spaß an der Sache“, berichtet Eva Siebenhüner. „Das sind kleine Weltverbesserer, die konstruktiv etwas bewirken wollen.“

Das ist auch die Absicht der Schüler des Erich-Kästner-Gymnasiums in Laatzen, die sich am Citizen Science-Projekt „TreeChecker“ des Schulbiologiezentrums Hannover beteiligten. An einem Tag der Umwelt schwärmten alle Klassen aus, um die Bäume im Stadtgebiet zu vermessen, die Art zu bestimmen und den Gesundheitszustand zu bewerten. Die Anregung dazu hatte der Schülerrat gegeben, den die Frage interessierte, wie sich das städtische Umfeld auf Wachstum und Gesundheit der Bäume auswirkt.

Eine Forschungslücke

Tatsächlich eine Forschungslücke, wie auch Lehrerin Hendrika van Waveren feststellte: „Es ist wissenschaftlich noch nicht untersucht, welche Bäume sich für Städte besonders eignen“. In Zeiten des Klimawandel eine wichtige Information, um die richtigen Bäume der Zukunft heute zu pflanzen.

Die sogenannte digitale Transformation verändert auch die Bürgerforschung. „Citizen Science erfährt durch die neuen Medien und digitalen Möglichkeiten einen neuen Schub“, stellt Aletta Bonn fest. Dies betreffe vor allem die Möglichkeiten der Vernetzung, der standardisierten Datenerhebung, die Übermittlung und den Austausch der Daten sowie die Ansprache neuer Interessentenkreise etwa über Social Media.

„Man muss sicher digital und analog auch parallel fahren, da digital nicht immer besser ist und auch der persönliche Austausch oft eine wichtige Rolle spielt“, gibt Bonn zu bedenken. Aber Handy-Apps und Sensoren „können auch Menschen inspirieren, digitale Medien auszuprobieren und zu nutzen“.

Ein Datensystem für alle

Dieses Ziel hat sich das Projekt GeoPortal des Guten Lebens gesetzt. Die Transformationsstadt Wuppertal, eine Initiative aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft, angedockt an das Alternativquartier Utopiastadt Wuppertal, möchte gemeinsam mit den Bürgern ein benutzerfreundliches, offenes Datensystem entwickeln. Den Hintergrund bilden die Fragen: Wie sieht das gute Leben in der Stadt und im Quartier aus? Wie können Bürgerinnen und Bürger erfassen, was lokaler Wohlstand für sie bedeutet?

„Wir beabsichtigen, die lokale Lebensqualität in Quartieren systematisch zu erfassen“, sagt Katharina Schleicher vom Zentrum für Transformationsforschung und Nachhaltigkeit der Bergischen Universität Wuppertal, die das Projekt von der wissenschaftlichen Seite her betreut. „Dadurch soll ein Bild entstehen, wie sich Quartiere entwickeln und welche Anforderungen bei der Stadtplanung zu berücksichtigen sind.“

Noch sind die Computerhacker beim Programmieren, aber schon bald soll das Datenportal bundesweit von Städten und Quartieren genutzt werden können. „Wir wollen den Bürgern selbst ermöglichen, Stadtforschung zu betreiben“, so Schleicher.

Weil die Bürgerforschung ihre traditionelle Bindung an die Naturwissenschaften verlässt und sich stärker sozialwissenschaftlichen Fragestellungen und zivilgesellschaftlichen Problemlagen öffnet, hat inzwischen auch das Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement (BBE) ein Auge auf die Arbeit der Laienforscher geworfen. Im letzten Newsletter wurde dem Thema Citizen Science ein eigener Schwerpunkt gegeben. Ein neuer Weg heraus aus dem wissenschaftlichen Elfenbeinturm deutet sich an.

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