Bürgerentscheid auf Helgoland: Neuland für neue Touristen
Was man nicht alles für Touristen macht: Die Helgoländer stimmen darüber ab, ob zwischen den beiden Teilen der Insel Sand aufgespült werden soll.
HELGOLAND taz | Die Frage erscheint simpel, die Konsequenzen allerdings sind beträchtlich: "Sind Sie für eine Landgewinnung durch eine Verbindung der beiden Inselteile Helgolands? Ja - Nein". So lautet die wichtigste Zukunftsfrage, die am Sonntag auf der einzigen deutschen Hochseeinsel geklärt wird.
Die etwa 900 wahlberechtigten BürgerInnen stimmen darüber ab, ob zwischen der felsigen Hauptinsel und der benachbarten Badeinsel Düne aus Nordsee Land werden soll. Die Stimmung auf der Insel sei "offen", sagt Sabine Roberts, Helgoland-Beauftragte des schleswig-holsteinischen Kreises Pinneberg, zu dem die Insel gehört. Es gebe "durchaus lebhafte Debatten, aber keinen ernsthaften Streit" in der Bevölkerung.
Auf einer Bürgerversammlung im April, auf der die Pläne vorgestellt worden waren, hatten bereits einige HelgoländerInnen vor einer Entwicklung zu "Events und Remmidemmi" gewarnt. Das Kapital der Insel sei Ruhe, Einsamkeit und frische Luft in unverfälschter Natur - das dürfe nicht aufs Spiel gesetzt werden.
Helgoland ist die einzige deutsche Hochseeinsel. Sie liegt etwa 62 Kilometer nordwestlich der Elbmündung in der Deutschen Bucht. Die Felseninsel und die benachbarte Sandinsel Düne wurden 1721 durch eine Sturmflut getrennt. Zusammen sind sie 1,7 Quadratkilometer groß. Mit 1.129 EinwohnerInnen bildet Helgoland eine Gemeinde im schleswig-holsteinischen Kreis Pinneberg. Das Wahrzeichen der Insel ist die 47 Meter hohe freistehende Felsnadel Lange Anna. Der Postkartenspruch lautet "Grün ist das Land, rot ist die Kant, weiß ist der Sand: Das sind die Farben von Helgoland." Den Ruf als "Fuselfelsen" verdankt Helgoland seinem Status als steuerfreie Zone außerhalb des Zollgebiets der EU. Das machte die Insel zum Duty-free-Shop.
Jetzt, in der heißen Phase vor dem Urnengang, wird das Für und Wider auch offen demonstriert. "Ja zur Zukunft" plakatieren die Befürworter des Projekts, "Zwei Inseln, eine Meinung: Keine Landverbindung" lautet das Motto der Gegner. Der Bürgerentscheid am 26. Juni "liegt in einem grundsätzlichen Spannungsfeld zwischen einem 'Bewahren' und 'Verändern' der Insel", heißt es in einer Bürgerinformation der Gemeinde zum Referendum. Deshalb sei "eine Diskussion 'mit offenem Visier' nötig".
Neuland vor allem für Ferienhäuser
Die Landbrücke würde "den Charakter der Insel schon verändern", räumt der parteilose Inselbürgermeister Jörg Singer ein. Durch die fast 1.000 Meter lange und knapp 300 Meter breite Landbrücke würde Helgoland von rund 1,7 auf gut zwei Quadratkilometer Fläche anwachsen. Die Kosten werden auf knapp 100 Millionen Euro geschätzt, hinzu kämen noch private Investionen. "Das ist finanzierbar", sagt Bürgermeister Singer. Es handele sich um eine "gezielte Investition, die sich wieder bezahlt machen wird".
Sie basiert auf einem von vier Szenarien, die in einem seit 2008 erarbeiteten Regionalen Entwicklungskonzept (REK) vorgeschlagen werden. Das Neuland, auf dem Grundstücke an private Investoren verkauft oder verpachtet würden, soll vor allem für Ferien- und Freizeitangebote genutzt werden. Die Gemeinde würde ihre Investitionen aus den Erlösen und dem Tourismus amortisieren. Seit über zwei Jahren haben Planungsbüros im Auftrag der Gemeinde Helgoland, des Kreises Pinneberg und des Landes Schleswig-Holstein intensiv am Zukunftskonzept gebastelt.
Denn die Zahl der TouristInnen ist von 800.000 vor 40 Jahren auf 300.000 gesunken, die Einwohnerzahl von 2.700 Menschen Anfang der 80er Jahre auf die Hälfte. Nach einer mehr als halbjährigen Debatte auf der Insel und mehreren Bürgerveranstaltungen komme jetzt die Entscheidung, "und danach wissen wir alle, was zu tun ist", sagt Bürgermeister Singer.
Das Meinungsbild in der Bevölkerung indes sei weiterhin gespalten. Man müsse jetzt "was Großes tun, um nicht zum Museumsdorf zu werden", Helgoland brauche "ein neues Erscheinungsbild, ein neues Image" ist die Position der Optimisten. Die Skeptiker hingegen warnen vor Hotelburgen. Die Lösung der Probleme sei es nicht, "in drei Monaten Sommer noch mehr Touristen heranzukarren", sondern "attraktive Angebote für Urlauber über das ganze Jahr" zu entwickeln.
Wie der Bürgerentscheid ausgeht, wagt niemand vorher zu sagen. Immerhin konnten noch nie in Deutschland die Einwohner einer Gemeinde darüber beschließen, ob sie künftig trockenen Fußes übers Wasser gehen wollen.
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