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Bühnenpremiere in HannoverArchetypische Erinnerungsarbeit

Die Inszenierung von Ilja Trojanows „Macht und Widerstand“ ist ein virtuos gespielter Balanceakt zwischen Distanzierung und Umarmung

Folterer und Opfer, untrennbar biographisch verbunden in „Macht und Widerstand“ Foto: Katrin Ribbe

HANNOVER taz | Kein Herr ohne Knecht. Auch Macht ist als solche ohne aktiven Widerstand nicht wahrnehmbar, geradezu inexistent – und müsste nicht länger Ohnmacht suggerieren durch eine ausgeklügelte Politik des Angstmachens mittels Überwachen, Bespitzeln, Denunzieren und Wegsperren. Macht und Widerstand halten dialektisch das System am Laufen.

Der mit diesem Wortpaar betitelte Roman Ilija Trojanows analysiert das Verhältnis auf dokumentarisch-fiktionale Weise. Aus Recherchen über die äußeren Zerstörungen und inneren Verwüstungen des real existierenden Stalinismus in seinem Geburtsland Bulgarien hat der Autor zwei Repräsentanten dieser Prinzipien gebastelt.

Der Erste ist der selbst ernannte Anarchist Konstantin Scheitanow, der in revolutionärer Luntenanzünderlaune eine Stalinstatue sprengte und dafür zehn Jahre lang Arbeitslager, Einzelhaft und Folter erleiden musste. Der Zweite: Metodi Popow, der bei der Geheimpolizei als „Michelangelo des Verhörs“ bekannt war und mit Dissidenten bestückte Gefängnisse verwaltete. Zwei extreme Biografien, zwei exemplarische Produkte totalitärer Staaten: Scheitanow vs. Popow – eine hochdramatische Situation.

Die gestaltet Trojanow als minutiöse Gegenüberstellung der jeweils eigenen Sicht der Dinge und füttert sie mit Originalzitaten aus Staatsakten an. Fast 500 Seiten Lesefutter, das Dušan David Pařízek, Regisseur aus dem ähnlich geprägten Tschechien, mit dem aus Bulgarien stammenden Ensemblestar des Deutschen Theaters Berlin, Samuel Finzi, fürs Schauspiel Hannover adaptiert. Nicht dokutheaternd, nicht tränendrückend Staatsterror bebildernd, nicht billig auf Parallelen zur Aufarbeitung der NS- und SED-Geschichte verweisend, sondern als geradezu archetypischen Versuch über Erinnerungsarbeit.

Pařízek nutzt das Angebot der Vorlage – und verbindet die Protagonisten mit einer grob gestrickten Rahmenhandlung. Schauspielerin Sarah Franke kümmert sich als Konstantins Nachbarin mitleidig liebend um das Opfer des Unrechtsregimes – und will bei Metodi in Erfahrung bringen, ob er ihr Erzeuger ist. Ihre Mutter, einst politischer Häftling, hatte dies auf dem Totenbett gebeichtet. Aber der Vaterschaftskrimi wird nur angedeutet und das Erlösungsdrama bleibt erfolglos.

Lebenselixier Erinnerung

In all den Jahren des Weggesperrtseins hat Konstantins Überlebenswille alle Möglichkeiten wohliger Herzensregung in sich eliminiert. „Ist dir die Liebe auch suspekt?“, wird er in einer Szene atemberaubend unmöglicher Zärtlichkeit gefragt – und antwortet: „Was ist das, das die Menschen Liebe nennen? Ein jeder liebt. Der Folterer, der deinen Kopf gegen die Wand schlägt, liebt seine beiden Engelchen. Der Offizier, der sich kompromittierende Lügen über dich ausdenkt, spielt am Abend liebevoll mit seinem Hund. Alle zehntausend Mitarbeiter des Amts haben jemanden geliebt. Was ist Liebe außer Streben nach emotionalem Komfort?“

Dieses Streben wäre für ihn Verrat an sich selbst: Erinnerung, die Veröffentlichung und damit Anerkennung seiner Vergangenheit ist letztmögliches Lebenselixier. Damit ist er auf seine Art ebenso Produkt des Systems wie Metodi. Dieser benötigt seine Erinnerungen zur Selbstversicherung, an die richtige Sache geglaubt und ihr pflichtschuldig gedient zu haben. Denn auch er hat nichts anderes mehr als dieses Gestern, vegetiert wie Konstantin einsam dahin – finanziert sein leeres Dasein bei einem Sicherheitsdienst, nachdem ihn seine Partei als nützlichen Idioten aussortiert hat.

Während Trojanow seine Identifikation mit Konstantin nicht verhehlt, ihn mit elegantem Sprachduktus versieht und als Opfer des gerechten Tuns, als den Guten beschreibt, gibt er Metodi eine recht vulgär geschwätzige Stimme, lässt ihn als Baustein des repressiven System der Böse sein. Markus John beginnt seine Interpretation dieser Rolle zwar als grober Kerl im Unterhemd, zeigt aber schnell, dass Pařízek beide Protagonisten gleich menschlich zeichnen will. So wird John immer leiser, warmherziger, wenn ihn seine potenzielle Tochter mit seiner Vergangenheit konfrontiert.

Finzi entwickelt aus geducktem Spiel einen bebenden Idealisten, der bei den Stasi-Archiv-Verwaltern vorspricht: „Ich habe als Observationsobjekt so viele Menschen beschäftigt wie ein mittelständisches Unternehmen, nun möchte ich mich mit ihnen beschäftigen.“ Als er aber seine Personalakte ausgehändigt bekommt, ist es die skelettierte PR-Version – kein Wort über seine Ziele, Motivation, keines über Haft und Folgen. Marginalisierung seiner Person durch Schwärzung von Textstellen, Vernichtung von Dokumenten und eine kafkaesk undurchdringlich erscheinende Bürokratie des Vertuschens.

Keine Aufarbeitung

Mit überzeugend beiläufiger Präzision arbeitet die Bühnenfassung das Grundprinzip politischer Wenden heraus: Die alte Nomenklatura macht nach dem Umsturz unter neuer Überschrift weiter. So benannte sich die Bulgarische Kommunistische Partei einfach in Bulgarische Sozialistische Partei um, gab sich ein sozialdemokratisches Outfit, holte die Nato ins Land, öffnete sich der EU, ohne die Macht der alten Kader zu unterminieren. Die natürlich kein Interesse an Aufarbeitung ihrer Folterherrschaft hat und Gesetze erlässt, die Täter vor den Opfern schützen.

Da ist Konstantin nur Störenfried, Nestbeschmutzer. Der Versuch, aus einer solchen Geschichte Zukunft, aus eigenen Erfahrungen eine neue Heimat im eigenen Land zu generieren, bleibt den Protagonisten verwehrt. So ist auf der Bühne statt eines wohlig Sicherheit bietenden Zuhauses nur das Gerippe eines Raumes zu sehen – gleichzeitig auch Zeichen für die geforderte Transparenz. Drumherum ist für Kantinenschäbigkeit gesorgt, in der das Ensemble bei Kaffee und Wodka auf die Stichworte wartet.

Metodi und Konstantin, „Macht und Widerstand“, das ist in Hannover ein virtuos einfühlsam gespielter Balanceakt zwischen Distanzierung und Umarmung, da Pařízek auch in emotionalen Aufschwüngen bohrend genau die Antriebe der Figuren erkundet, nicht bewertet. Dabei mit clownesken Zwischenspielen, Witzen, schrägen Blasmusikeinlagen, kurzfristigen Durchtauschen der Rollen entspannt und auch eine Furzchoreografie einbaut. Absurde Fußnoten, die den beängstigend karg ausgearbeiteten Folterszenen als Resonanzraum zur Wirkkraft verhelfen. Ohne dass es je deprimierend wird.

Stets ist ein Kampf um Würde zu erleben, durchglüht vom heiligen Zorn der Aufklärung. Und ein Appell gegen die „Vergiss es“-Aufforderung der Nachgeborenen, die auf der Bühne dahingehend zitiert werden, sie seien nicht apathisch, sie wollten einfach nur leben. Macht ohne Widerstand wird akzeptiert – was den zu früh Geborenen nicht mehr möglich ist.

Sa, 17.12, 20 Uhr, Schauspielhaus Hannover. Weitere Aufführungen: 27. 12, 3. 1., 15. 1.

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