piwik no script img

Buchtip

Reisewillige, die über die architektonischen und kulinarischen Preziosen hinaus etwas über Polen erfahren wollten, mußten sich bislang mit fremdsprachiger Lektüre zufriedengeben. Diese Lücke ist nun geschlossen.

Andrea Schmidt-Röslers „Polen“, erschienen in der Reihe „Geschichte der Länder und Völker“ der Südosteuropa-Gesellschaft in München, gibt einen Überblick über die politische, wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung Polens vom Mittelalter bis heute. Zuweilen etwas behäbig schildert die Regensburger Geschichtswissenschaftlerin das Schicksal einer Nation, die über Jahrhunderte ihren Ort zwischen den europäischen Großmächten in Ost und West zu bestimmen versucht hat – und ihn fast immer verlor.

Polens Geschichte

Irgendwer regierte immer hinein, ob nun Ordensritter, Preußen, Russen oder Habsburger. Ausführlich wird dargelegt, wie die vielbeschworene „polnische Seele“ die Teilungen von 1773, 1793 und 1795 verdaute, infolge derer ein polnischer Staat erst nach 1918 mühsam wiedergeboren wurde – nur um zwei Jahrzehnte später erneut besetzt zu werden. Interessant sind die Kapitel über den erfolgreichen Widerstand polnischer Nationalisten gegen den Sowjetimperialismus der frühen zwanziger Jahre, über die Zehntausende von Polen, die auf seiten der Alliierten gegen die Nazis kämpften, und über das prekäre Verhältnis zwischen Polen und Juden.

Das Hauptaugenmerk der Autorin liegt jedoch auf dem wichtigsten Einschnitt in der jüngeren Geschichte des Landes: Gründung, Verbot und schließlich Sieg der Gewerkschaft Solidarność (1980–89). Und damit auf dem Kampf zwischen dem letzten Repräsentanten des sozialistischen Regimes, General Wojciech Jaruzelski, und dem selbsternannten Sprachrohr des Volkes, dem Danziger Arbeiterführer Lech Walesa. Auch der politischen Rolle, die die katholische Kirche Polens zur Zeit des Kriegsrechts in den achtziger Jahren gespielt hat, wird ausführlich Beachtung geschenkt.

Leider handelt es sich auch bei dieser Geschichte um eine traditionelle Auflistung von Intrigen, Kriegen und deren Schlichtung. Von der „polnischen Seele“ erfahren wir nichts, Menschen oder gar Mentalitäten kommen so gut wie nicht vor. Nur wenn Minderheiten das politische Parkett betreten, bekommt die Erzählung Farbe – etwa bei den Passagen über jüdisches Leben in Polen, dem ein gesondertes Kapitel gewidmet ist. Diesem nicht unwesentlichen Mangel zum Trotz, der wohl dem politischen Ansatz geschuldet ist, bietet der Band einen sinnvollen Überblick über die Irrungen und Wirrungen eines Landes im Herzen Europas. Henk Raijer

Andrea Schmidt-Rösler: „Polen. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart“. Pustet Verlag, Regensburg 1996. 296 Seiten, 49,80 DM

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen