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Buchpreis 2024Wer nominiert ist

Kurz vor Eröffnung der Frankfurter Buchmesse wird der Buchpreis verliehen. Sechs Au­to­r*in­nen sind nominiert. Die taz hat ihre Werke rezensiert.

Die Nominierten: Martina Hefter, Iris Wolff, Markus Thielemann, Clemens Meyer, Ronya Othmann und Maren Kames (l-r) Foto: Andreas Arnold/dpa

An diesem Dienstag wird der Deutsche Buchpreis verliehen. Sechs Au­to­r*in­nen sind nominiert. Wer sind sie und was zeichnet ihre Werke aus?

Iris Wolff: „Lichtungen“

Die Schriftstellerin Iris Wolff erzählt ihren Roman „Lichtungen“ rückwärts. Die im Jahr 1977 in Hermannstadt geborene Autorin schaut mit jedem Kapitel weiter zurück in die Vergangenheit von Kato und Lev: Die beiden sind – was erst später im Text geschildert wird – in einem kleinen rumänischen Dorf aufgewachsen, gemeinsam zur Schule gegangen.

Selbst wenn sich in diesem Buch die Vergleiche häufen, selbst wenn der Gedankenstrom mal wieder an „Lichtungen“ inmitten der erinnerten Dunkelheit vorbeiplätschert, ist es lesenswert, weil darin eben doch eine bemerkenswerte Vielstimmigkeit in der rumänischen und europäischen Vergangenheit lebendig wird, weil Iris Wolff Geschichten und Geschichte plausibel verschränkt. Der Roman zeigt anschaulich, was es bedeutet, wenn nationale Identitäten wieder zur Handlungsmaxime von Politik werden, wie schnell neu-alte Grenzen gezogen werden und die Menschen dann unter staatlichem Kontrollwahn zu leiden haben.

Iris Wolff: „Lichtungen“. Klett-Cotta, Stuttgart 2024, 256 Seiten, 24 Euro

Die komplette Rezension von Carsten Otte gibt es hier auf taz.de.

Clemens Meyer: „Die Projektoren“

Wenige Tage vor den Wahlen im Herbst 2024 in Ostdeutschland ist der neue Roman von Clemens Meyer erschienen – einem der bekanntesten zeitgenössischen Au­toren Sachsens. Doch anders als in seinen vorherigen Werken, spielt die Heimat des Leipzigers ausgerechnet dieses Mal nur eine Randrolle.

Mit „Die Projektoren“ legt ein dickes Ding vor: ein über 1.000 Seiten langes Epos, in dem es zwar auch um Halb-, Unter- und Zwischenwelten geht, in denen es nicht minder gewalttätig und tragisch zugeht, das aber vorwiegend in einem europäischen Land spielt, das es – wie die DDR, in der er geboren wurde – nicht mehr gibt: Jugoslawien.

„Die Projektoren“ kann man als Roman lesen, der versucht, den Zufall wegzureden, dem ganzen Irrsinn von Faschismus, Mord, Grausamkeit, von Neonazis und Blutsprudel irgendeinen Sinn, irgendeinen vernünftigen Grund, irgendeine Rationalität abzuringen. Verwirrungen, Verwechslungen, Einbildung oder Einprägung? Jede Gewissheit, die es eine Zeitlang gibt, jede stringente Erzählung wird irgendwann eingeholt von der Verunsicherung, von der immer fragmentierteren Erinnerung.Clemens Meyer: „Die Projektoren“. S. Fischer, Frankfurt a. M. 2024, 1.056 Seiten, 36 Euro

Die komplette Rezension von Doris Akrap gibt es hier auf taz.de.

Markus Thielemann: „Von Norden rollt ein Donner“

Wie denkt also die Jugend auf dem Land? Eine Ahnung bekommt man davon im neuen Roman von Markus Thielemann. Der stellt in „Von Norden rollt ein Donner“ einen 19-jährigen Nachwuchsschäfer vor, der bei seinen Eltern auf einem Hof in der Lüneburger Heide lebt. In wenigen Sätzen schafft es Thielemann ein so typisch deutsches Stillleben zu zeichnen, dass man die Schritte des Cellesche Zeitung lesenden Großvaters ganz deutlich auf dem Vinylfußboden quietschen hört.

Wie Jannes sein Mittagessen in einem der hölzernen Unterstände für Wandernde, im Herbst, im Regen, einnimmt, hat was Hoffnungsloses; während die Ur­lau­be­r:in­nen längst wieder weg sind, hockt Jannes immer weiter im kargen Land.

Was die westdeutsche Provinz betrifft, steht Thielemanns Roman ziemlich alleine da. Haben in der Vergangenheit Autoren wie Peter Kurzeck das Leben in Dorf und Kleinstadt minutiös vermessen, scheint das Landleben in den sogenannten alten Bundesländern heute nur noch auf wenig Interesse zu stoßen. Dabei fand das ostdeutsche Dorfleben in der Literatur zuletzt eher überproportional häufig statt. Oft hat darin eine Berlinerin genug vom Trubel der großen Stadt und sucht ihr Heil in Brandenburg. Das sie meist auch findet; neben rechtem Gedankengut zuhauf. Es ist wohl eher diese Ausgangslage, die Interesse weckt; der Osten und seine Probleme, nicht unbedingt das Dorf an sich.

Markus Thielemann: „Von Norden rollt ein Donner“. C. H. Beck Verlag, München 2024, 287 Seiten, 23 Euro

Die komplette Rezension gibt von Julia Hubernagel gibt es bald in der literataz.

Ronya Othmann: „Vierundsiebzig“

Obwohl die Autorin ­Ronya Othmann als Tochter einer deutschen Mutter und eines kurdisch-êzîdischen, aber atheistischen Vaters keine Êzîdin im engeren Sinn ist (nur Kinder êzîdischer Paare gelten als solche), hat die 30-Jährige den größten Teil ihres bisherigen Schreibens in den Dienst dieser von der Auslöschung bedrohten Menschen und der Bewusstmachung ihrer Tragödie gestellt – zuletzt in ihrem dokumentarischen Roman „Vierundsiebzig“, der den Genozid im Titel trägt.

Ronya Othmann macht ihre Recherche zum Gegenstand, dokumentiert das Sammeln êzîdischer Überreste bei Reisen in den Irak und die Türkei, auf Besuch bei Verwandten und Fremden, in versehrten Dörfern, Flüchtlingscamps und Museen, bei Gerichtsprozessen in München und Frankfurt, beim Lesen, Fernsehen und Fotografieren mit Smartphone.

Die Autorin dröselt die Verbrechen durch Mitschrift der Anhörungen nach und nach in ihrer ganzen Niedertracht auf; ihre eigenen Zigarettenpausen lassen auch der Leserin Raum für Entsetzen und Trauer. Überhaupt sind es die kleinen Alltagsschilderungen, die das in jeder Hinsicht unfassbare Material zusammenhalten.Ronya Othmann: „Vierundsiebzig“. Rowohlt, Hamburg 2024, 512 Seiten, 26 Euro

Die komplette Rezension von Eva Behrendt gibt es hier auf taz.de.

Martina Hefter: „Hey guten Morgen, wie geht es dir?“

Martina Hefter hat den erfolgreichsten Roman des Sommers geschrieben: „Hey guten Morgen, wie geht es dir?“ Darin macht sie schwere Themen leicht.

Juno ist die Heldin von Martina Hefters neuem Roman „Hey guten Morgen, wie geht es dir?“. Und obwohl sie heißt wie eine römische Göttin (Gattin des Jupiter) oder eine nach der römischen Göttin benannten Raumsonde (umkreist den Jupiter), führt sie ein sehr irdisches Leben mit irdischen Problemen. Doch auch sie umkreist Jupiter, ihren Mann – ja, er heißt Jupiter –, ein an Multipler Sklerose erkrankter Schriftsteller.

Martina Hefter, 59 Jahre alt, ist wie Juno im Allgäu aufgewachsen, generell haben die beiden mehr als nur ein paar biografische Eckdaten gemeinsam. Wie Juno zog Hefter irgendwann nach Leipzig, wie Juno geht sie regelmäßig zum Ballett und verdient ihr Geld unter anderem mit der Performancekunst.

Martina Hefters Autofiktion ist insofern besonders, als ihr Trotz innewohnt. Denn als pflegende Angehörige bliebe ihr gar nichts anderes übrig, als auf den Stoff ihres Alltags zuzugreifen. Für alles andere fehle schlicht die Zeit. „Man kann das Trotz nennen oder auch Self-Em­powerment“, sagt sie.

Martina Hefter: „Hey guten Morgen, wie geht es dir?“. Klett-Cotta, Stuttgart 2024. 224 Seiten, 22 Euro

Das ganze Porträt der Autorin Martina Hefter von Leonie Gubela gibt es hier auf taz.de.

Maren Kames: „Hasenprosa“

Maren Kames reist mit „Hasenprosa“ in lichte Höhen und familiäre Tiefen. Beim Nachdenken über Phrasen im Krieg kracht es. Der Text ist eine sprachliche Installation, die mit der skurrilen „Weltmaschine“ des oststeirischen Bauern Franz Gsellmann zu vergleichen ist, der in einer alten Scheune ein in sich schlüssiges, aber auch schwer erklärbares Kunstwerk kinetischer Energie schuf. Schon mit „Luna Luna“ hat Maren Kames ein Buch vorgelegt, das sprachlich kaum einzugrenzen war.

Die Autorin hat mit „Hasenprosa“ ein literarisches Kippbild geschrieben, das mit voller Absicht überfrachtet ist. Dazu gehören psychedelische Fotos und lustige Aufnahmen von Kakteen, die in dem Band genauso eingestreut sind wie Lyrics vom „Singengel Peter Gabriel“. Pathos und Ironie wechseln sich genauso ab wie Konkretes und Abstraktes, Komisches und Moralisches. Dementsprechend ist auch die Lektüre: nervtötend und beglückend zugleich.

Mit ihrem Overkill der literarischen Mittel fängt die 1984 in Überlingen am Bodensee geborene Schriftstellerin die politische Stimmungslage der Gegenwart allerdings gut ein.

Maren Kames: „Hasenprosa“. Suhrkamp Verlag, Berlin 2024, 182 Seiten, 25 Euro

Die komplette Rezension von Carsten Otte gibt es hier auf taz.de.

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