Buch zur BRD-Überwachungsmanie: Den Staat an seiner Norm messen
Im Kalten Krieg ignorierten auch die Sicherheitsbehörden im Westen die Grundrechte der Bürger. Der Staatsschutz war oberstes Gebot, resümiert Autor Josef Froschepoth.
Die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs war ein wesentlicher, strukturbildender Teil des historischen Prozesses der Weststaatsbildung der Bundesrepublik Deutschland, so lautet die zentrale These dieses Buches.“
Dieses Resümee des Historikers Josef Foschepoth, der die Chance hatte, bislang geheime Dokumente auszuwerten, macht klar, dass die Erforschung und kritische Betrachtung der Geschichte der Bundesrepublik noch Leerstellen aufweist.
Entgegen dem konservativen Mantra der „Erfolgsgeschichte Bundesrepublik“ zeigt Foschepoth, dass es ebenso eine „Problemgeschichte“ gab, in der die eigenen Ansprüche an einen demokratischen Rechtsstaat untergraben wurden.
Josef Foschepoth zeigt, dass fast der gesamte Postverkehr mit der DDR überwacht und ausgewertet wurde und bereits 1952 die Bundespost und die Geheimdienste systematisch und ohne Rechtsgrundlage in das Postgeheimnis eingriffen.
Diese Buchrezension und andere Geschichten lesen Sie in der neuen taz.am wochenende vom 4./5. Mai 2013. Darin außerdem: Ein Gespräch mit dem heimlichen Star des Kirchentages Fulbert Steffensky. Und: Wie in einem Dorf in Brandenburg ein Schweinestall zur Opernbühne wird. Außerdem klingelt die taz mal wieder an fremden Türen - diesmal in Friedland. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im //:Wochenendabo.
Grundlage dafür waren nicht etwa reale Anzeichen für Sabotage oder Gewalt, sondern tagespolitische Erwägungen, die sich maßgeblich aus einem hysterischen Antikommunismus begründeten.
Foschepoth belegt exakt, dass dieser Überwachungspraxis ein Denken zu Grunde lag, in dem der Schutz des Staates wesentlich höher gewichtet wurde als etwa das grundgesetzlich verbriefte Postgeheimnis.
Und er wartet auch mit konkreten Zahlen auf: Ab 1955 legten die Postbeamten dem Zoll 80 Prozent der aus der DDR kommenden Postsendungen vor, von denen wiederum 80 Prozent vom Zoll an die Strafverfolgungsbehörden weitergegeben wurden.
Dieses Ausmaß, so Foschepoth, ist nur erklärbar, wenn man die Adenauerzeit in den historisch-gesellschaftlichen Kontext stellt: klare Westbindung, antikommunistischer „Frontstaat“, alte Nazis in den Sicherheitsbehörden und nicht zuletzt ein konservatives Staatsverständnis, was der Historiker in seiner Gesamtheit als „Staatsdemokratie“ analysiert.
Die Notstandsgesetze
Erst 1968 wird die Überwachung gesetzlich geregelt, parallel mit den Notstandsgesetzen. Letztere suspendierten die Bürgerrechte im Ausnahmefall, während die Überwachungsgesetze für den Alltag geschaffen wurden und fortan zur Grundausstattung der Geheimdienste gehörten.
Diese mit den Stimmen der SPD durchgesetzten Gesetze wiesen im Übrigen ein Grundproblem auf, was bis heute aktuell ist: die im Kern unmögliche Notwendigkeit, die Geheimdienste und ihr Tun parlamentarisch zu kontrollieren.
Josef Foschepoth hat ein Standardwerk über einen wesentlichen Teil der bundesdeutschen Geschichte vorgelegt, in dem deutlich wird, dass es kaum eine Kontrolle der Überwacher gab. Und er belegt empirisch, wie anfällig die Exekutive für jede Machterweiterung ist.
Es zeigt sich, dass die Geschichte der Bundesrepublik noch viel aufzuarbeiten hat. Das gilt besonders für die Verfassungswirklichkeit, wie Foschepoth abschließend feststellt: „Nach sechzig Jahren Bundesrepublik ist es an der Zeit, die Geschichte dieses Staates auch an seinen eigenen Normen zu messen, um das genuin Neue und Eigenständige, die Erfolge und Gefährdungen, das Auf und Ab des historischen Prozesses analysieren, beschreiben und bewerten zu können: die Verfassungsgemäßheit und Rechtsstaatlichkeit staatlichen Handelns in der Bundesrepublik.“
Josef Foschepoth: „Überwachtes Deutschland“. Vandenhoeck & Ruprecht Verlag, Göttingen 2013, 378 Seiten, 34,99 Euro
Leser*innenkommentare
lowandorder
Gast
Nach einem Johannes Agnoli- Zitat was auf's Papier husten;
nicht einfach.
Aber das provokant-ironische
" den Staat an seinen Normen messen"
führt im Bereich der Grau-eher-Dunkelzonen
schon in die richtige Richtung.
"Erst 1968 wird die Überwachung gesetzlich geregelt, parallel mit den Notstandsgesetzen. Letztere suspendierten die Bürgerrechte im Ausnahmefall, während die Überwachungsgesetze für den Alltag geschaffen wurden und fortan zur Grundausstattung der Geheimdienste gehörten.
Diese mit den Stimmen der SPD durchgesetzten Gesetze wiesen im Übrigen ein Grundproblem auf, was bis heute aktuell ist: die im Kern unmögliche Notwendigkeit, die Geheimdienste und ihr Tun parlamentarisch zu kontrollieren.…"
In diese "im Kern unmögliche Notwendigkeit"(sic)
legte der der Freiburger Schule zuzurechnende Peter Häberle
in seiner Besprechung der Entscheidung Karlsruhes "den Finger
in die Wunde";
indem er insinuierte, ob es sich dieser die Gesetze
für verfassungskonform haltenden
Entscheidung nicht um einen erstmaligen
Fall verfassungswidriger Verfassungsrechtsprechung handle!
Daß er in der Sache damit nah dran an einem Grundproblem jeglicher
Tendenz zum Überwachungsstaat war, zeigte
der Aufschrei der Carl-Schmitt( Der Führer schützt das Recht)-Fronde
im Blätterwald; die mit Karlsruhe ja sonst eher nicht so viel am Hut hatten/haben.
Wenn wir heute vor dem mörderischen Scherbenhaufen
von NSU, neun ermordeten Mitbürgern und einem Augiasstall voller Schlapphüte einschließlich geschreddeter Akten stehen, ist das die konsequente Fortsetzung
dieser braun konotierten Gemengelage der frühen BRD.
Und zeigt einmal mehr, wie holzköpfig bis bösartig die durchsichtigen
Versuche sind, eine Aufarbeitung der braunkonontierten Struktur der staatlichen Organisation, Ministerien, Behörden etc der frühen BRD als überflüssig,
" bringt doch nichts" und dergleichen abzutun, zu diffamieren
oder gar zu behindern .
Das dahinter stehende antifreiheitliche Interesse liegt klar auf der Hand.
Wie ein Eimer Wasser nun mal aus einer Million Tropfen besteht;
ist es für das Verständnis jetziger Zustände unerläßlich wichtig,
diese braunen Anteile und ihre Wirksamkeitsfolgen zu erkennen,
um sie in ihrer Fortwirkung abschätzen zu können.
"Pricipiis obsta" - wehret den Anfängen hat in einer Republik
den Charakter eines Dauerauftrages und bedarf ständig wirksamen
Handwerkzeugs. Denn jeglicher Staat, auch als demokratisch
verfasste Republik bleibt der Leviatan im Sinne Hobbes.
Johannes Agnoli
Gast
Den Staat an seiner Norm messen?
"Der regelgebundene, normative Charakter der Staatsführung und -Verwaltung setzt sichmeist in die wirkliche Ausübung politischer Macht um. Und der wirkliche Gebrauch der Gewalt findetauf einer anderen Ebene seine Begründung in der Verfassungsnorm des Gewaltmonopols. Für dieseArt von Politik charakterisiert den Rechtsstaat nicht so sehr der Inhalt (die Garantie derGrundrechte), für den die politische Macht eingesetzt wird, sondern die Form: die Form Recht. Dieallgemeine Form wird nicht angeschlagen, geschweige denn gebrochen von einem, nur dem Staateigenen Recht, das von der Politik wahrgenommen und ausgeübt wird. Wichtig ist dabei, daß siemindestens intentional (die Intention wird aber fast durchweg verwirklicht) die Norm nicht verläßt.
[...]
Und genau daraus folgt, daß der Verdacht, sich außerhalb des Rechtsstaats zustellen, unvermeidbar den trifft, der außerhalb des Machtsystems gesellschaftspolitisch handelt. Das Außerinstitutionelle wird zum Synonym der Feindschaft gegen die Freiheit - eine interessante Umkehrung der Fronten, in der der konsequenten Opposition auch moralisch vorgeworfen werdenkann, Bürgerrechte, Menschenrechte, die Demokratie, das Zusammenleben, alle Schöne und Gute zubekämpfen. In dieser Verkehrung sehen die Vertreter der bestehenden Ordnung keine Spur einer Krise: weder der Normativität, noch der Wirklichkeit, noch weniger des Gewissens.
Das heißt: die Bundesrepublik Deutschland, so wie sie leibt und lebt, so wie sie in voller Achtung vor dem Gesetz fürsozialen Frieden, für Ausgewogenheit und Interessenausgleich sorgt und ihre präventiven unddefensiven Mittel gegen den inneren Feind entwickelt und einsetzt, ist der Rechtsstaat." Johannes Agnoli, Der Staat des Kapitals http://de.scribd.com/doc/46341790/19/"Norm"-und-"Wirklichkeit"