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Buch von afghanischen FrauenEine Burka für das Denken der Frauen

Das Buch „Geliebtes Kabul“ dokumentiert das Leben einiger Frauen unter Talibanherrschaft. Man möchte es Alexander Dobrindt in Dauerschleife vorlesen.

Frauen auf einem Markt in Kabul, kurz nach der Machtübernahme der Taliban Foto: Antonin Burat/Le Pictorium/picture alliance

Sie heißen Nilofar, Maryam, Parand, Naeema, Fakhta oder Marie, sie sind Schriftstellerinnen und Frauenrechtlerinnen aus Afghanistan, und sie sind in einer Whatsapp-Gruppe von insgesamt 21 Frauen, die sich regelmäßig austauschen. Im August 2021, als die Taliban die Kontrolle über ihr Heimatland erneut übernommen haben und die westliche Allianz den Rückzug antritt, kommentieren und dokumentieren sie via Messenger das Geschehen. „Das Land ist jetzt in den Händen von khonkhwaro, den Blutdürstigen“, schreibt Naeema, die zu der Zeit in Kabul lebt. „Sie folgen keinem anderen Zweck, als wehrlose Menschen zu schikanieren und ihnen beim Leiden zuzusehen“, schreibt Parand, die ebenfalls in der afghanischen Hauptstadt lebt, etwas später über die Taliban. Und irgendwann fragt Nilofar: „Wer hätte gedacht, dass wir in nur wenigen Monaten so weit zurückfallen würden?“

Von diesem Rückfall in ein archaisches System, von der sukzessiven Entrechtung der Frauen in Afghanistan erzählt das Buch „Geliebtes Kabul“. Die gesammelten ausgewählten Posts reichen bis in den August 2022 und bilden ein Jahr unter Talibanherrschaft sowie im Exil ab. Einige wenige verbleiben in Afghanistan, anderen gelingt die Flucht nach Schweden, Kanada, Deutschland, in den Iran; eine Frau lebt bereits vor der Machtübernahme der Islamisten in Tadschikistan. Die Gruppe hat sich zusammengefunden im 2019 in Großbritannien gegründeten Projekt „Untold Narratives“ und auf Englisch schon einiges veröffentlicht.

Dieses Buch erzählt nicht nur von der Talibanherrschaft, sondern auch von afghanischen Männern, die stillschweigend die frauenverachtenden Werte übernehmen oder stützen, es erzählt von einem permanenten Klima der Angst, in dem die im Land Gebliebenen leben. „Die Verhüllung des Körpers der Frauen mit der Burka ist nur eine Seite der Geschichte; das Hauptziel ist es, eine Burka über das Denken der Frauen zu werfen“, schreibt Zainab, die in einem Kulturinstitut gearbeitet hat und weiterhin in Kabul lebt. Weiterführende Schulen für Mädchen sind geschlossen worden, Frauen sollen nur noch in Begleitung von Männern reisen, sie werden geschlagen, wenn sie die Hidschab-Vorschriften nicht einhalten: Alltag im Taliban-II-Afghanistan.

Online-Hetzjagd im Iran

Das Buch ermöglicht auch andere wertvolle Einblicke, die Texte zeugen von der ständigen Bedrohung, unter der die schiitische Hazara-Minderheit im Land lebt. Ehen wie die der Paschtunin Parand, deren Mann Hazara ist, hält man lieber geheim, denn solche Verbindungen sind von den Taliban geächtet. Und im Exil sieht es für einige Frauen kaum besser aus. Die im Iran lebende Elahe schreibt: „Wir fliehen vor einem Elend, nur um in ein anderes zu geraten.“ Im Iran und Tadschikistan werden Af­gha­n:in­nen angefeindet, im Iran findet online eine Hetzjagd gegen sie statt unter dem Hashtag „#CapturetheAfghans“. Interessant ist, wie die in Europa lebenden Afghaninnen auf den Ukrainekrieg blicken: Voller Anteilnahme, aber auch irritiert, wie wenig Solidarität ihnen im Vergleich zuteilwird.

Die Lektüre ist schwer zu ertragen – ein Gegengewicht bildet die Empathie der Frauen untereinander. Man spürt beim Lesen die Kraft, die von dieser Solidargemeinschaft ausgeht. Dem Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) würde man all diese Texte gerne in Dauerschleife vorlesen. Und ihn dann befragen zu Rückführungen nach Afghanistan und den anderen Maßnahmen, die zum Ziel haben, schutzbedürftige Menschen fernzuhalten.

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