Buch vom ehemaligen Papst Benedikt XIV.: Hoffentlich wirklich das letzte
Joseph Ratzinger hat mit dem Journalisten Peter Seewald einen Interviewband verfasst. Beim Lesen wünscht man sich, er hätte das nicht getan.
„Si tacuisses!“, möchte man ausrufen, auf Latein natürlich, nur das ist hier angebracht: Hättest du doch geschwiegen! „Philosophus mansisses – du wärst ein Philosoph geblieben.“
Diesen leicht ironischen Spruch, der auf den spätantiken Politiker, Philosophen und Theologen Boethius zurückgeht, hätte man gern Joseph Ratzinger zugeraunt, bevor der frühere Papst Benedikt XVI. der Versuchung nachgab, ein letztes Buch zu veröffentlichen, wie er sagt. Ein letztes, bevor sein Vater im Himmel den 89-Jährigen zu sich ruft, womit der Papst im Ruhestand fest rechnet.
„Letzte Gespräche“ heißt der Band, der mit großem Tamtam und unter Beisein seines Vertrauten, des schönen Georg Gänswein, an diesem Montag in München vorgestellt wird. Es ist im Wesentlichen ein langes, fast 300-seitiges Interview Ratzingers mit dem Journalisten Peter Seewald.
Und, das muss man dem 62-Jährigen und dem Verlag lassen: Der Titel ist spektakulär und der Zugang des früheren Redakteurs des Spiegel, des Stern und der Süddeutschen Zeitung zu Ratzinger fast noch mehr: Seewald, ein früherer Kommunist sowie ein aus- und später wieder eingetretener Katholik, hat schon mehrere Interviewbücher mit Ratzinger geschrieben, vor seinem und während seines Pontifikats. Das aber dürfte Seewalds größter Coup sein. Denn wem ist es schon vergönnt, ein exklusives, ein so langes Papst-Interview zu bekommen. Und dann noch das letzte?
War doch alles ganz gut
Doch damit beginnt bereits das Unbehagen an diesem Buch. Denn Papst Benedikt XVI. hatte bei seinem historischen Rücktritt vom Papstamt 2013 – dem ersten eines Papstes seit etwa 1.000 Jahren – hoch und heilig versprochen, er werde sich, aus Loyalität zu seiner geliebten Kirche, nicht in die Amtsführung seines Nachfolger Franziskus einmischen. Sondern im Schweigen und Gebet die restlichen Jahres seines Lebens verbringen. Das Gegenteil ist der Fall.
Zwar hält sich Ratzinger zurück in seinen Aussagen über Franziskus, lobt ihn lediglich über den grünen Klee. Aber die Deutung seiner eigenen Amtszeit (2005–2013) will er dann doch lieber nicht den Fachleuten der Kirchengeschichte oder Theologie überlassen, sondern übernimmt sie in diesem Buch lieber selbst. Fazit: War doch alles ganz gut.
Man könnte es dabei bewenden lassen, denn wer geht schon gerecht mit sich selbst ins Gericht? Aber das Buch liefert so viele Verklärungen, Ärgernisse, Frechheiten, ja Fiesheiten, dass man es schon nach kurzem Überfliegen am liebsten in die Ecke pfeffern möchte.
Hier spricht kein altersmilder, weiser Gottesmann mit großem Intellekt und noch größerem Wissen, wie ihn seine Fans – unter ihnen Seewald – so gern darstellen. Sondern ein stellenweise ziemlich eitler, nachtragender und verbitterter Kirchenopa, der sich nur ab und zu etwas mühsame Selbstkritik abringt. Ein Mann, der immer noch im alten Schützengraben hockt. Leider.
Was Ratzinger lieber verschwieg
Beispiele gefällig? Da ist etwa der katholische Jahrhunderttheologe Karl Rahner (1904–1984), an dessen wissenschaftliche Leistung Papst Benedikt XVI. em. höchstens vielleicht herankommt. Über den Konzilstheologen Rahner lästert der zurückgetretene Papst, sich selbst damit exkulpierend, weil er einmal für die Abschaffung des Zölibats war, was Ratzinger später lieber verschwieg:
„Das war so verwinkelt, dass es, wie Rahner-Sachen eben sind, einerseits eine Verteidigung des Zölibats war, andererseits die Frage offenzuhalten und weiterzudenken versuchte. Ich habe dann mehr aus Freundschaft zu den anderen unterschrieben. […] Es war ein typisch rahnerischer ja-und-nein-verklausulierter Text, den man sowohl nach der einen wie auch nach der anderen Richtung auslegen konnte.“
Typisch für die Spitzen in dem Buch ist auch Ratzingers Umgang mit einem anderen großen Theologen seiner Generation, seinem hartnäckigen liberalen Widersacher Karl Lehmann. Den langjährigen Bischof von Mainz und Vorsitzenden der deutschen Bischofskonferenz erwähnt er nur ein einziges Mal. Und ohne Vornamen.
Ähnlich unter der Gürtellinie teilt Ratzinger gegen einen dritten wichtigen Theologen unserer Zeit aus: Hans Küng, dem die katholische Kirche 1979 die Lehrerlaubnis entzog, ein Sündenfall für die freie Wissenschaft und eine Entscheidung, die Ratzinger nie rückgängiggemacht hat. Obwohl er es hätte tun können.
Nur Verachtung für die moderne Theologie
Über Küng lästert der frühere Papst: „Na ja, sein theologischer Weg ging eben woandershin und hat sich immer mehr radikalisiert. Da konnte, durfte ich nicht mitmachen. Warum gerade ich von ihm dann als Gegner identifiziert wurde, weiß ich nicht.“
Überhaupt hat Ratzinger nur Verachtung übrig für die moderne, kritische Theologie der Siebzigerjahre. Angesprochen auf ihre Vertreter Rahner, Küng und den früheren Münsteraner Kollegen Johann Baptist Metz spricht er denen mal kurz ihre Wissenschaftlichkeit und Katholizität ab:
„Ich habe gesehen, dass Theologie nicht mehr Auslegung des Glaubens der katholischen Kirche ist, sondern sich selber ausdenkt, wie es sein könnte und sollte. Das war für mich als katholischer Theologe mit Theologie nicht vereinbar.“
Bezeichnend ist: Ratzinger spricht nur von „diesen Kampfjahren, den 70er Jahren“. Wo er dabei stand, ist klar, nämlich auf der Seite der Wahrheit, denn ihm sei „klargeworden“: „Wenn wir die Wahrheit weglassen, wofür machen wir dann das Ganze? Es muss also doch die Wahrheit im Spiel sein.“ Ratzinger also bei der Wahrheit – und die anderen: bei der Lüge?
Austeilen, aber nicht einstecken
Es gibt noch viele andere peinliche Stellen in diesem Buch. Da baut Ratzinger etwa den Popanz einer irgendwie gearteten schwulen Lobby im Vatikan auf – die aber nur aus vier, fünf Männern bestanden und die man aufgelöst habe.
Abschätzig kanzelt er die deutsche katholische Kirche ab, deren Sohn er ein halbes Jahrhundert lang war, bis zu seinem Ruf nach Rom als Präfekt der Glaubenskongregation 1982. Es gebe in ihr eine „Macht der Bürokratien“, eine „Theoretisierung des Glaubens“, einen „Mangel an einer lebendigen Dynamik“ und eine „Gewerkschaftsmentalität“. Sagt der Mann, der über so viele Jahre ein wohlalimentierter Kirchenbeamter in Rom war.
Benedikt XVI.: „Letzte Gespräche“. Mit Peter Seewald, DroemVerlag, 288 Seiten, 19,99 Euro
Austeilen, aber nicht einstecken können – das ist das Motto in Ratzingers Buch. Sehr milde urteilt er beispielsweise über einen eigenen Mega-Fehler seines Pontifikats, als er 2009 die Exkommunikation des Antisemiten, Holocaust-Leugners und Pseudo-Bischofs Richard Williamson aufhob.
„Es war natürlich damals eine riesige Propagandaschlacht gegen mich. Die Leute, die gegen mich waren, hatten endlich die Handhabe zu sagen, der ist untauglich und ist falsch an seinem Platz. […] Aber die Menschen haben dann doch auch begriffen, dass ich wirklich einfach nicht informiert worden bin.“
Hoffentlich ist es wirklich sein letztes Buch
Ratzinger sagt in dem Buch auch Worte, die nachdenklich, anrührend sind – etwa wenn er offenbart, dass Glauben auch für ihn im Alter nicht leichter werde: „Mir ist dabei wieder eine Episode aus meiner Zeit als Kaplan eingefallen.
Eines Tages war Romano Guardini in der evangelischen Nachbarpfarrei zu Gast und meinte zu dem evangelischen Pfarrer, ‚im Alter wird’s nicht leichter, sondern schwerer‘. Das hat dann meinen damaligen Pfarrer sehr bewegt und getroffen. Aber da ist etwas Wahres dran.
Einerseits ist man sozusagen tiefer eingeübt. […] Andererseits empfindet man die Schwere der Fragen viel stärker, auch den Druck der Gottlosigkeit heute, den Druck der Abwesenheit des Glaubens bis tief in die Kirche hinein, und dann eben auch die Größe der Worte Jesu Christi, die sich der Auslegung oft mehr entziehen als früher.“
Leider sind solche Stellen aber zu selten, um das Buch noch zu retten. Ratzinger hat sich mit diesem Interviewband keinen Gefallen getan. Er hatte nicht die Größe, einfach zu schweigen. Hoffentlich ist es wirklich sein letztes Buch.
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