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Buch über zeitgenössische KunstWerk ohne Grenzen

Jenseits von Kunst oder Kommerz: Wolfgang Ullrich analysiert den Strukturwandel der Kunstöffentlichkeit und die Kunst nach dem Ende ihrer Autonomie.

Sneaker des japanischen Künstlers Takashi Murakami – das postautonome Kunstwerk schlechthin? Foto: Matthew Sperzel/getty images

Ein neues Kunstbetriebsphänomen ist die kuratierte Auktion, die mit der Versteigerung von Leonardo Da Vincis Salvator Mundi 2017 einen ersten Höhepunkt erreichte. Kuratiert meinte hier, dass Loïc Gouzer, Co-Chairman bei Christie’s, das um 1500 gemalte Bild scheinbar irrtümlich in der Abendauktion „Post-War and Contemporary Art“ anbot.

Drei Jahre später war es dann ein 67 Millionen Jahre alter Tyrannosaurus rex, der als „Kunst des 20. Jahrhunderts“ bei einem Gebot von 32 Millionen Dollar wegging. Nur folgerichtig, betrachten die Verantwortlichen bei Christie’s den Dinosaurier doch als „Archetyp, Kinostar und Popkultur-Promi“. Das mag die Fossilie, die für andere, etwa Wissenschaftler, ein wertvolles Forschungsobjekt ist, sicher auch sein, aber ist sie damit Kunst?

Das Buch

Wolfgang Ullrich: „Die Kunst nach dem Ende der Autonomie“. Wagenbach Verlag,

Berlin 2022, 192 Seiten, 22 Euro

Ja, sagt Wolfgang Ullrich in seinem neuen Buch. Das Dinosaurierskelett ist Kunst – nach dem Ende ihrer Autonomie. Dieses Ende verdankt sich der philosophischen und kunsttheoretischen Überstrapazierung des Begriffs bei seiner gleichzeitigen Entleerung in der Praxis des Kunstbetriebs.

Es verdankt sich dem Bedeutungsgewinn der Kommunikation der sozialen Medien und es verdankt sich der Globalisierung, also einer internationalen Käuferschaft, deren Begriff von Kunst ein völlig anderer ist als der westliche. Sie lässt sich von Kunst, die in Form von Möbeln, Leuchten, Handtaschen, Spielzeug oder Protestbewegungen statt Gemälden, Fotografien oder Performances auftritt, nicht irritieren.

Teil des Pop-Universums

Anders der Autor, der diesem Strukturwandel der Kunstöffentlichkeit, der ihn doch einigermaßen überrascht, eine eigene Darstellung widmet, dessen zentrale These lautet: „Kunst wird heute dann besonders geschätzt, wenn sie zugleich etwas anderes ist.“ Wie zum Beispiel Sneakers, die der Autor als das postautonome Kunstwerk schlechthin identifiziert.

Als der japanische Künstler Takashi Murakami 2019 erstmals einen Sneaker entwarf, betrachtete er den Schuh wie die Christie’s-Leute den Saurier: als Teil des Pop-Universums, verankert in der Tradition des Anime und dessen Fankultur. Das Cross-over von deren Codes mit seiner Motivwelt machte den Schuh in der Sneakers-Szene genauso populär wie in der Kunstwelt.

Die afroamerikanische Künstlerin Faith Ringgold nimmt mit ihren Vans, die der Museumsshop des MoMA anbietet, auf ihr Künstlerbuch „Seven Passages to a Flight“ Bezug, einer exklusiven, nur wenigen Sammlern bekannten Edition mit 45 Exemplaren.

Ihre Sneakers dagegen werden auf Nachfrage und prinzipiell unbegrenzt produziert, womit ihre Botschaft gegen Diskriminierung breite Resonanz erfährt: „Das Buch“, schreibt Wolfgang Ullrich, „war nur Kunst und dadurch ziemlich machtlos, während die Sneakers, gerade weil sie mehr als nur Kunst sind, mobilisierend wirken können“ – und vonseiten der Künstlerin sicher auch sollen.

Neue Kunst

Wolfgang Ullrich überzeugt mit den ebenso detaillierten wie differenzierten Überlegungen zur Warenförmigkeit der postautonomen Kunst, einem Phänomen, dem er erstmals in der „Siegerkunst“ (2016) der Superreichen nachging, oder in der Problematik der Kunstautonomie, dem Irrelevant-, ja, Reaktionärwerden der Idee, wie er in „Feindbild werden“ (2020) aufzeigt.

Auch Feststellungen wie die zum handfesten Mehrwert der postautonomen aktivistischen Produktkunst gegenüber der reinen Kunst, insofern Erstere sich benutzen und als Botschaft am Körper durch die Gegend tragen lasse, anstatt nur betrachtet und beurteilt zu werden, hat analytischen Charme.

Weniger Charme haben freilich viele der vorgestellten postautonomen Kunstwerke und -aktionen. Bei vielen denkt man nur: wie langweilig. Diesem Missvergnügen geht Ullrich denn auch im Kapitel „Formen des Misslingens postautonomer Kunst“ nach.

Freilich überzeugen die „Formen des Gelingens postautonomer Kunst“ auch nur bedingt. Die Möglichkeiten, die für die Kunst neuen und für ihre postautonome Form wesentlichen Aspekte der Konsum- und Fankultur auch als inhaltlich-politisch und formalästhetisch innovativ zu lesen, sind begrenzt.

Deutlich wird nach dem Ende ihrer Autonomie, dass in der Kunst der Gegenentwurf zur Welt der instrumentellen Vernunft jedenfalls nicht gesucht wird. Fridays for Future ist da für eine als zukünftige Sammler und Freunde der Kunst imaginierte Jugend mutmaßlich attraktiver.

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