Buch über westalliierte Soldatenclubs: Die Freiheit kam aus der Hüfte
Die Populärkultur der Westalliierten veränderte Deutschland stark. Wie das geschah, zeigt Lena Rudeck in „Vergnügen in Besatzungszeiten“.
Sie trugen schillernde Namen, und in ihren Räumen war mächtig was los – im Meteor in Celle, im Stardust in Heidelberg, im Big Wheel in Weiden. Es wurde geplaudert, geraucht und getanzt, zu Rhythmen, die gerade eben noch als „artfremd“ verboten waren. Statt im Polkagleichschritt im Kreis zu stampfen, wirbelten junge Leute im Boogie-Woogie-Modus übers Parkett.
Manch Beobachter staunte, wie nun „Schultern, Hüften, die Beckenregion eingesetzt wurden“. Andere witterten „sittlichen Niedergang“, warnten vor „Amoralität“ und „flirrender Leere des Kopfes und des Herzens“. Zitate wie diese zeugen vom Kulturschock, den die westalliierten Truppen ab 1945 in Deutschland auslösten. Nachzulesen sind sie in dem Band „Vergnügen in Besatzungszeiten“, in dem die Historikerin Lena Rudeck Dutzende Zeitzeuginnen und -zeugen aus der Nachkriegsära zu Wort kommen lässt.
Anschaulich erzählt Rudecks Studie von den mühsamen, oft schmerzvollen Aushandlungsprozessen, die das physisch und psychisch komplett kaputte Täterland umtrieben: Wie liberal, wie frei, wie individualistisch kann oder will diese Gesellschaft künftig sein? Und welche Rolle spielen die berühmten – bis heute immer wieder hitzig angegriffenen – „westlichen Werte“ dabei?
Alltägliche soziale Interaktionen
Die „Re-Education“, die „Umerziehung“ der vom Nationalsozialismus vergifteten Bevölkerung, war das Ziel der Alliierten. Rudeck interessiert sich dabei für die „alltäglichen sozialen Interaktionen“ zwischen Besatzern und Besetzten. Im Mittelpunkt ihrer Recherche stehen die Soldatenclubs, die Briten, Franzosen und Amerikaner auf deutschem Boden unterhielten.
Lena Rudeck: „Vergnügen in Besatzungszeiten“. Transcript Verlag, Bielefeld 2023, 316 Seiten, 39 Euro
Neben Livemusik gab es dort Wein aus der Loireregion, Sandwiches wie in Birmingham, Coca-Cola wie in Cincinnati. Den Soldaten sollten die Bars und Lokale als „home away from home“ dienen. Deutsche hatten anfangs keinen Zutritt, strenge „Nonfraternization“-Erlasse stellten schon das Händeschütteln mit einem „Kraut“ unter Strafe.
Anders als die Sowjets in der sogenannten Ostzone öffneten die Westalliierten ihre Freizeiteinrichtungen nach und nach aber doch für die ortsansässige Bevölkerung. Der Bedarf an Tanzkapellen war groß, auch Küchenhilfen und Hausmeister wurden gesucht. Deutsche, die sich um die begehrten Jobs kabbelten, wurden auf ihre NSDAP-, SA- oder SS-Vergangenheit durchleuchtet, ebenso streng verlief die Auswahl des Clubpublikums.
Wer dabei sein wollte, musste sich um einen Gesellschaftspass bewerben. Jungerwachsene im Alter von 18 bis Anfang 30 standen Schlange, laut Rudeck vor allem „gut gebildete Frauen mit eigenem Einkommen“, Studentinnen, Verkäuferinnen, Sekretärinnen.
Am Beispiel jener German Frolleins zeigt die Historikerin auf, wie wichtig die Alliiertenclubs als „Räume interkultureller und intellektueller Begegnungen“ waren und wie weit das dortige „Vergnügen“ auf die Gesamtgesellschaft ausstrahlte. „Frolleins“, die mittanzen durften oder als Hostessen angestellt waren, wurden außerhalb der Clubs als „Tommy-Liebchen“ oder „Ami-Huren“ beschimpft. Hübsch und freundlich sollten sie sein und „stets lächeln“, wie Rudeck schreibt.
Einerseits trugen sie so zur Verfestigung tradierter Geschlechterrollen bei. Im Gegenzug erlangten diese jungen Frauen aber enorme „Unabhängigkeit von ihren Familien und der Heimat, arbeiteten weitgehend selbstständig, konnten reisen und begaben sich in ein Abenteuer“ – und wurden darum von „Desperate Housewives“ dies- und jenseits des Ozeans beneidet. Fassungslos zeigte sich der „infolge seiner langjährigen rassenpolitischen Schulung schockierte deutsche Mann“, wie es 1948 in der ersten Ausgabe des Sterns hieß. Behutsam wurde ihm erklärt, dass der arisch-germanische Krieger nicht mehr gefragt war und stattdessen „die menschliche Güte […] und Zartheit gerade der amerikanischen Bürger […] die Neigung der deutschen Mädchen gewonnen hat“.
Hetze gegen Schwarze Soldaten
Tatsächlich wanderten allein in den ersten fünf Jahren nach Kriegsende mehr als 14.000 deutsche Frauen mit ihren US-Partnern nach Übersee aus. Unterdessen hetzten hiesige Journalisten vor allem gegen Schwarze Soldaten, gegen angeblich „unzivilisierte“ Männer, die auf der „Jagd“ nach weißen Frauen waren.
Verblüffend nahtlos dockt das von Rudeck zusammengetragene Material an viele heute (wieder) drängende Diskurse an. Kürzlich, im Frühjahr 2023, kam es zu einiger Aufregung um den 1951 erschienenen Roman „Tauben im Gras“: Der Nachkriegsschriftsteller Wolfgang Koeppen verwendet darin mehr als hundert Mal das N-Wort, um den Rassismus seiner Zeit aufzuzeigen – die Schwarze Deutschlehrerin Jasmin Blunt startete nun eine Petition gegen das Buch. Hauptfigur ist ein afroamerikanischer Soldat, der Roman gipfelt in einem pogromartigen Angriff auf einen alliierten Jazzclub.
Rudecks Materialsammlung bildet die historische Realität hinter der verstörenden Erzählung ab: Sie beleuchtet die Ära, in der eine neue Generation Schwarzer Deutscher zur Welt kam, „Besatzungsbabys“ wurden sie genannt. Heute melden sich deren Nachkommen lauter denn je zu Wort, und Rudecks Studie kann hilfreich sein beim Einordnen des Koeppen-Werks, das sich, mit damaligen literarischen Mitteln, auf ihre Seite stellte.
Ihre Überlegungen stützt Rudeck auf die Theorie einer „moralischen Ökonomie“: Wer an den Konsum- und Freizeitgewohnheiten der Westalliierten teilnahm, erwarb wertvolles „soziales und kulturelles Kapital“ und war damit klar im Vorteil gegenüber denjenigen, die in der „Ostzone“ lebten.
Während die Westjugend zarte Ansätze indidvidueller Freiheiten erprobte, war die „Freie Deutsche Jugend“ im Osten erneut kollektivistisch organisiert, mit militärisch anmutenden Abzeichen, Ausweisen, Rangordnungen. Eine junge Frau aus Rudecks Recherche, eine Grete H., begründet ihre Übersiedlung von Ost- nach Westberlin 1949 wie folgt: „Wir sind ja schon rüber zu den Amis gegangen zum Tanzen. Für die Russen war es verboten. Da waren wir ganz wild drauf.“
Sachlich korrekt bezeichnet Lena Rudeck die westlichen Alliierten stets als „Sieger“ oder „Besatzer“. Hat man ihr Buch zu Ende gelesen, erscheint einem der Begriff „Befreier“ aber doch sehr viel passender.
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