Buch über rechtsradikale Anschläge: Ressentiments damals und heute
Der rechte Terror begann längst vor dem Aufstieg der Nazis. Florian Huber zeichnet die Milieus und Gefühlswelten nach, die nicht verschwunden sind.
![ein Rechtsradikaler mit einem Palästinensertuch und einem Pulli, auf dem Freikorps Heimatschutz steht ein Rechtsradikaler mit einem Palästinensertuch und einem Pulli, auf dem Freikorps Heimatschutz steht](https://taz.de/picture/4507372/14/Rechtsradikalismus_Anschlaege-1.jpeg)
Der Untertitel des Buches von Florian Huber zum Rechtsterror – „Die Erfindung des Rechtsterrors in Deutschland“ – ist historisch unpräzis und irreführend, denn in allen Monarchien (Italien, Österreich-Ungarn und Deutschland) agierten nach deren Niederlage im Ersten Weltkrieg ab 1918 rechtsterroristische Verbände – die Schwarzhemden (Squadristi) und die Italienischen Kampfverbände (Fasci italiani di combattimento) in Italien, die Ustascha in Kroatien und die Schwarze Hand in Serbien.
Richtig ist allerdings, dass der Terrorismus von rechts in Deutschland in den Jahren 1918 bis 1924 am stärksten war. Der Dokumentarfilmer Florian Huber rekapituliert die historisch gut aufgearbeitete Entstehung des Rechtsterrorismus aus den arbeits- und zukunftslos gewordenen deutschen Soldaten und Offizieren, die sich in Freikorps sammelten.
Die Entstehung der Freikorps verdankt sich der folgenreichen Vereinbarung zwischen General Wilhelm Groener (1867–1939), der Ende Oktober 1918, als die deutsche Niederlage absehbar geworden war, in die Oberste Heeresleitung eintrat, mit der demokratisch-republikanischen Regierung und dem Reichspräsidenten, die sich die Freikorps als Schutztruppe der Republik sichern wollten gegen eine kommunistische Revolution.
Diese Rechnung ging zunächst auf, als die Nationalversammlung wegen der drohenden Revolution in Berlin nach Weimar ausweichen musste und dort von Freikorps bewacht wurde. Insgesamt gab es rund 350 Freikorps mit einer Stärke von 15.000 Mann. Nach dem Abebben der revolutionären Bewegung zogen sich die Freikorps ins Baltikum zurück, wo sie Gutsbesitzer gegen die drohende „bolschewistische Gefahr“ aus dem Osten verteidigten.
Marodierende Freikorps
Der wichtigste Freikorpsführer war Hermann Ehrhardt (1881–1971), der sich mit seiner Brigade Ehrhardt am Putsch gegen die Republik (Kapp-Putsch, März 1920) beteiligte, und nach dessen Scheitern vorübergehend ins Ausland floh.
Die marodierend durchs Land ziehenden Freikorps fanden in Bayerns rechter Regierung einen sicheren Hafen, wo sie sich sammeln und aufrüsten konnten für Anschläge auf die Republik und deren wichtigste Vertreter – die „Novemberverbrecher“, allen voran Matthias Erzberger (1875–1921), der den Versailler Vertrag unterzeichnet hatte, und den „Erfüllungspolitiker“ Walther Rathenau (1867–1922), Großindustrieller, Rohstoffmanager im Krieg, Minister für Wiederaufbau und Außenminister ab dem 1. 2. 1922.
Florian Huber: „Rache der Verlierer. Die Erfindung des Rechtsterrors in Deutschland“. Berlin Verlag, Berlin 2020, 287 Seiten, 24 Euro
Beide Spitzenpolitiker wurden von der im Umkreis von Ehrhardt und Manfred von Killinger (1876–1944) gegründeten, im Untergrund operierenden Organisation Consul (OC) ermordet.
Nach der peniblen Erforschung der OC durch den später von den Nazis vertriebenen Mathematiker Erich Gumbel (1891–1966) beging die rechtsradikale „Schattenarmee der Verlierer“ (Huber) zwischen 1918 und 1922 354 Morde, wovon 326 unbestraft blieben. So ordentlich die Polizei gegen den Rechtsterrorismus ermittelte, so blind stellte sich die Justiz in den Verfahren gegen die mutmaßlichen Mörder, die oft mit Minimalstrafen und noch öfter mit Freisprüchen davonkamen.
Zwei Einwände
Huber referiert die historischen Fakten tadellos. Dennoch zwei Einwände: Er bedient sich zuweilen einer den Kitsch streifenden Metaphorik. Turbulent verlaufende Reichstagsdebatten verwandeln die „Herzkammer des deutschen Parlamentarismus“ für ihn in einen „Dampfkessel der politischen Leidenschaft“. Hier und in anderen Sätzen stellte der Stil der guten Absicht ein Bein.
Gravierender als solche Schnitzer ist eine Idée fixe, in der der Autor befangen ist. Zwar räumt er ein, dass historische Analogien „in mancher Hinsicht zufällig“ – und oft nur falsch – sind. Dennoch kommt er zur absurden These, „die Verschwörer gegen die Republik von Weimar“ hätten „die gleichen Ressentiments, Motive und Ziele wie die Rechtsterroristen unserer Tage“.
Das mag in Einzelfällen zutreffen, ist aber längst kein zureichender Grund, für „den“ Rechtsterrorismus“ einen ganz großen Kessel bereitzustellen, in den mit jedem Kapitelanfang Zitate von Götz Kubitschek, Alexander Gauland, Marine Le Pen, Uwe Böhnhardt/Uwe Mundlos vom NSU, Björn Höcke oder Andres Breivik eingerührt werden, die belegen sollen, mit diesen Namen setze sich fort, was mit den mörderischen Landsknechten Ehrharts und von Killingers begonnen habe. Nur im Dunkeln ist alles gleich schwarz – historische Aufklärung geht anders.
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