Buch über rechte Politik: Der paranoide Stil
Natascha Strobl seziert den „radikalisierten Konservatismus“. Dieser ist vom Rechtsextremismus nur schwer zu unterscheiden.
Rechter Konservatismus und Rechtsextremismus sind vielerorts ununterscheidbar geworden. Das betrifft natürlich nicht alle Konservative, man lasse nur Armin Laschet oder auch Wolfgang Schäuble vor dem inneren Auge promenieren. Aber in vielen konservativen Parteien machen sich extrem rechte Flügel breit, die oft auch die energetischeren Teile einer wütenden Basis repräsentieren und an die sich die Moderaten anpassen.
In manchen Ländern werden die traditionellen konservativen Parteien von den Radikalen regelrecht gekapert und übernommen, man denke nur an die US-amerikanischen Republikaner oder die Österreichische Volkspartei unter Sebastian Kurz. Anderswo wiederum entstehen Parteien des „radikalisierten Konservatismus“, oft als „Populisten“ apostrophiert, die den klassischen Konservatismus ersetzen und verdrängen.
Diese Welt „radikalisierten Konservatismus“ unterzieht die Wiener Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl in ihrem schmalen Suhrkamp-Bändchen einer geradlinigen und weitgehend einleuchtenden Analyse.
„Die staatstragenden Parteien einer gedachten Mitte hatten immer das Ziel, die Gesellschaft mit der in ihr gültigen Ordnung zu bewahren. Es war eine im Wortsinn konservative Haltung. Darum geht es im radikalisierten Konservatismus nicht mehr. Vielmehr werden Löcher in die aktuelle Gesellschaft gerissen oder bestehende Differenzen vergrößert. Polarisierung ist für den radikalisierten Konservatismus der … Normalzustand.“
Nichts ist bewahrenswert
Ein wenig ist das eine Reaktion auf ein Problem, das der Konservatismus immer schon, aber in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend hatte: Er findet nichts mehr bewahrenswert. Irgendwie ist das logisch, da er immer schon eine Reaktion auf die Moderne war.
Aber die Metternichs von vor 150 Jahren konnten sich noch einreden, die Zeit ließe sich zurückdrehen oder der Wandel zumindest arg verlangsamen. Nach 150 Jahren Moderne ist das Eden des Konservatismus endgültig perdu. Er ist nicht nur wütend auf das, was ist, sondern auch auf das, was gestern schon war.
Natascha Strobl: „Radikalisierter Konservatismus“. Suhrkamp Verlag, Berlin 2021, 192 Seiten, 16 Euro
So fordern diese neuen Konservativen nicht die Verteidigung des Bestehenden, sondern beklagen einen allgemeinen Verfall, sie geben sich volkstümlich und kämpfen gegen die „liberalen Eliten“, die seit dem gegenkulturellen Aufbruch der sechziger Jahre entstanden sind. Nicht jeder, der die ökonomischen Rezepte des Neoliberalismus verkündet, ist deswegen schon dafür, dass man den jungen Leuten mehr Manieren eintrichtern muss.
Nicht jeder, der dafür plädiert, den Sozialstaat abzuräumen, um Härte ins Leben der verweichlichten Wohlfahrtsstaat-Bewohner*innen zu bringen, meint auch, dass „wir“ die Muslime „hinter das Mittelmeer“ zurückwerfen müssen. Aber sehr viele innerhalb dieses Spektrums des radikalisierten Konservatismus teilen diese Ressentiments, Meinungen und Instinkte – und ein paar mehr, die wir alle längst kennen.
Reißerische Meinungsbruchstücke
Natascha Strobl dekliniert den Politikstil und die reißerischen Meinungsbruchstücke dieses Konservatismus durch. Die Polarisierung und Erregungsbewirtschaftung, die er braucht. Die Aufganselei ganzer Gesellschaften. Dieses Sprechen im Namen einer vermeintlich schweigenden Mehrheit, der „regular Guys“, der „normalen Leute“.
Der Führerkult und die Inszenierung des Anführers als Star. Die Einteilung in Fleißige und Faule, die ökonomische Benachteiligung gern als Charakterschwäche interpretiert. Die Rhetorik der Härte. Strobl: „Im radikalisierten Konservatismus verschmelzen die Feindbilder der traditionellen extremen Rechten mit jenen des Neoliberalismus.“
Etwas kurz geraten die Hinweise auf das historische Herkommen dieses Konservatismus, etwa der Stahlhelm-Rechten der „konservativen Revolution“ und (proto)faschistischer Bewegungen von vor hundert Jahren, gänzlich ignoriert und womöglich unterschätzt wird der Beitrag des amerikanischen „Neo-Konservatismus“, der seit den sechziger Jahren den US-Konservatismus radikalisierte.
Richard Hofstadter hatte schon 1964 in einem legendären Essay den „paranoiden Stil der amerikanischen Politik“ angeprangert und dabei so ziemlich alle Ingredienzen beschrieben, die den heutigen Radikalkonservatismus auszeichnen. Es ist auch eine Folge der Globalisierung von Diskursen, dass dieser Stil über den Ozean schwappte und den europäischen Konservatismus umpolte. Fast irgendwie verrückt: Die Heimatschwurbler sind amerikanisierter, als sie glauben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Krieg in der Ukraine
Russland droht mit „schärfsten Reaktionen“
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken