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Buch über den RechtsstaatDie politische Haltung ist im Weg

Der Rechtswissenschaftler Maximilian Pichl zeichnet in „Law statt Order“ die Karriere des Rechtsstaats nach. Und kritisiert seinen Missbrauch.

Bekleckert: Berliner Polizisten am 1. Mai in Kreuzberg Foto: Florian Boillot

Am Fuße des Kreuzbergs verlor die Berliner „Policey“ ihre größte Schlacht. Vor 142 Jahren untersagte sie einem Bürger die Errichtung eines vierstöckigen Wohnhauses, da ein so hohes Gebäude den Blick auf den Berg und vor allem das Denkmal an dessen Spitze versperrt hätte, das bis heute an die Befreiungskriege gegen Napoleon erinnert. Der Bauherr klagte gegen das Verbot, und das Preußische Oberverwaltungsgericht gab ihm unerwartet Recht mit der Begründung, Aufgabe der Policey sei die Gefahrenabwehr, nicht der Schutz pa­trio­ti­scher Gefühle oder die Wahrung von Sichtbeziehungen.

Der Richterspruch schränkte damit die Macht einer bis dato allzuständigen Institution ein und stärkte die Gewaltenteilung. Aus der Policey wurde später einerseits die kommunale Verwaltung und andererseits die moderne Polizei als Strafverfolgungsbehörde.

Wie Maximilian Pichl in seinem Buch „Law statt Order“ schreibt, war das Urteil ein Meilenstein auf dem Weg in den Rechtsstaat. Pichl meint damit ein Ensemble an Rechten, die den Einzelnen und seinen Besitz vor dem Zugriff des Staats und seiner Organe schützen. Der Politik- und Rechtswissenschaftler verweist in einem historischen Abriss zu Beginn aber auch auf die Offenheit des Begriffs. Das Bürgertum brachte ihn zunächst gegen den Absolutismus und später gegen die Gefahr revolutionärer Umstürze von links in Stellung.

Der Staatsrechtler Carl Schmitt rief dazu auf, ihn umzudeuten, um dem Führerstaat juristische Legitimität zu verschaffen. Und in der Nachkriegszeit galt er als Ausweis der Überlegenheit der bundesrepublikanischen Demokratie gegenüber dem Nationalsozialismus und dem Kommunismus.

Das Buch

Maximilian Pichl: „Law statt Order. Der Kampf um den Rechtsstaat“. Suhrkamp Verlag, Berlin 2024, 260 Sei­ten, 18 Euro

Ab Ende der Sechzigerjahre begann dann eine Entwicklung, in deren Verlauf sich die Bedeutung des Begriffs in das Gegenteil seines ursprünglichen Sinns verkehrte. Angeheizt vom RAF-Terror brachten Politiker von rechts der Mitte immer öfter die Forderung nach „Law und Order“ vor. Der Rechtsstaat, das war, so verstanden, nun nicht mehr ein Schutzschild des Einzelnen in der Auseinandersetzung mit dem Staat.

Im Gegenteil kam seine Erwähnung einer Aufforderung an dessen Organe gleich, größtmögliche Härte an den Tag zu legen und im Zweifel auch bei Nichtbeachtung der Gewaltenteilung durchzugreifen. Pichl zeichnet diese Genese luzide und anschaulich nach. Der historische Abriss zu Beginn seines Buchs ist der lesenswerteste Teil seines Buchs. Das längliche Kapitel danach ist dagegen kaum mehr als eine kommentierte Zitatensammlung. Der Autor wirft Politikern fast aller Couleur sowie Medien vor, an der von ihm kritisierten „ordnungspolitischen Umdeutung“ des Rechtsstaatsbegriffs teilzuhaben.

Rhetorisch offener Brief

Erstaunlich ist daran vor allem, dass Pichl sich jedes Mal wieder neu empören kann, wenn irgendwer fordert, illegale Immigranten, Clankriminelle, Klimakleber oder pöbelnde Fußballfans müssten „mit der vollen Härte des Rechtsstaats“ rechnen. Dass der Begriff rhetorisch offen ist, man mit ihm also Politik machen kann, hat er selbst doch zuvor wunderbar schlüssig nachgezeichnet. Warum wirft er genau das dann Nancy Faeser, Friedrich Merz oder Robert Habeck vor?

Die Antwort ist wohl ziemlich einfach: Weil sie nicht die Politik machen, die der Autor gerne hätte. Statt einer kühlen Analyse aus rechtswissenschaftlicher Perspektive bekommt man von ihm nur noch einen weiteren Debattenbeitrag. Ihren immerhin komischen Höhepunkt erreicht seine Nachhilfestunde in Staatsbürgerkunde, wenn er mit Walter Benjamin vor der „gespenstischen Erscheinung“ der Polizei warnt.

Dem Experten Pichl steht seine eigene politische Haltung im Weg. Auf geradezu ärgerliche Weise zeigt sich das, wenn er der AfD, die man weiß Gott für alles Mögliche kritisieren kann, ausgerechnet ihre teils erfolgreichen Verfassungsbeschwerden vorwirft. In einem späteren Kapitel geht er dann mit Blick auf die Situation in Polen und in Ungarn wieder etwas nüchterner vor, doch der Eindruck mangelnder Sachlichkeit hat sich da schon längst verfestigt.

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3 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Es war im Vor- März 1848



    Hohenzollern König Friedrich Wilhelm IV ließ



    Hunderte aufständische Berliner nieder kartätschen



    sterbend noch das Hungerlied Georg Weerth auf den Lippen



    Verehrter Herr und König,



    Weißt du die schlimme Geschicht?



    Am Montag aßen wir wenig,



    Und am Dienstag aßen wir nicht.

    Und am Mittwoch mussten wir darben



    Und am Donnerstag litten wir Not;



    Und ach, am Freitag starben



    Wir fast den Hungertod!

    Drum lass am Samstag backen



    Das Brot fein säuberlich –



    Sonst werden wir sonntags packen



    Und fressen, o König, dich!

    Im April rief JunkerBismarck Landvolk zu Wehr



    1848ern zu trotzen vergeblich



    Schwert und Schild Preußen Hohenzollern Königs



    Der zog es vor in Ehr Ergebung



    Vor Särgen der Vor März Toten



    Sein Haupt zu beugen



    Es im November 1848 dagegen Preußen trotzig



    Wider den Zeitgeist hob



    das Ersuchen Frankfurter Nationalversammlung



    deutschen Kaiserkrone mit



    parlamentarischen Segen zurückwies



    Nein ich nehm sie nicht die Kaiserkrone



    Ludergeruchs der 48er Revolution



    Ich bleib bei der Hohenzollern meinen Preußen Krone von Gottes Gnaden Blut und Eisen



    Schwert und Schild Der Fürsten.



    1895 war`s Kaiser Wilhelm II der das politische Minister seiner Wahl Weisungsrecht gebar

  • Ich habe den Eindruck, dass die Debatten um die Einzelschlagworte daran kranken, dass nicht der Gesamtkomplex unserer Verfassungsordnung in den Blick genommen wird: Deutschland ist nicht einfach nur ein Rechtsstaat oder eine Demokratie oder ein freies Land, sondern ein sozialer Rechtsstaat mit freiheitlich-demokratischer Grundordnung.



    Die bürgerlichen Freiheiten schützen uns vor einem übergriffigen Rechtsstaat, indem sie dessen ausführende Organe neben den Gesetzen auch an unsere Rechte binden, zusammen schützen uns Freiheiten und Rechtsstaat vor der Diktatur der Mehrheit.



    Freilich wäre eine Debatte über diesen Gesamtkomplex und dessen Schwächen wünschenswert, denn der Sozialstaat und die bürgerlichen Freiheiten scheinen gerade durch Angriffe von Populist:innen, die „Demokratie“ und „Rechtsstaat“ instrumentalisieren, und eigentlich „Volkswille“ und „polizeiliche/policeyliche Härte“ meinen, unter Druck.

  • Ohne das Buch gelesen habe, so wie ich Ihre Zusammenfassung verstanden habe, vertritt er halt die Einstellung, dass ein Rechtsstaat die Rechte der einzelnen Person gegenüber dem Staat achtet.



    Die offene Definition kann sich auch aus seiner Anerkennung davon ergeben, dass der Begriff auch von Personen anders definiert wird. Wenn er sich jetzt selber als der Vertreter der ersten Definition sieht, kann er jetzt sehr wohl Akteur:innen kritisieren, die das anders auslegen oder die Instrumente halt für andere Zwecke gebrauchen. Da kann man der AFD sicher unterstellen, dass Sie Verfassungsbeschwerden nicht aus der Motivation einsetzten, die Rechte von Menschen zu schützen sondern aus politischem Kalkül um die eigene Macht zu verstärken.



    Ich finde den Law&Order Ansatz persönlich falsch. Ich hab das Gefühl, dass bei vielen Debatten die Stimmen grade laut sind, die fordern "Wenn xy nicht verboten ist, dann ist Deutschland kein Rechtsstaat." Wenn der Staat jetzt dazu verwendet wird gegen Menschen vorzugehen, dann steht das dann diametral mit der Definition die Menschen gegen Staat zu verteidigen.