Buch über den „Fall Rosenberg“: Tödliche Hirngespinste
Ethel und Julius Rosenberg wurden 1953 in den USA hingerichtet. Das jüdische Ehepaar war ein Opfer komplexer Feindbilder.
Ethel und Julius Rosenberg wurden am 19. Juni 1953 in New York auf dem elektrischen Stuhl hingerichtet. Sie waren verdächtigt worden, für die Sowjetunion Atomspionage betrieben zu haben. Die Anklage lautete „Hochverrat“, doch Beweise für die mutmaßliche Tat gab es nicht. Die Rosenbergs galten vielen Linken und Liberalen daher als Opfer antikommunistischer Hetze zu Beginn des Kalten Krieges. Internationale Proteste von Prominenten wie Frida Kahlo, Albert Einstein und selbst ein Gnadengesuch von Papst Pius XII. konnten die Hinrichtung nicht verhindern.
Die Politologin Sina Arnold und der Historiker Olaf Kistenmacher haben erstmals einen deutschsprachigen Überblick über die politische Relevanz des Gerichtsprozesses veröffentlicht. Sie verfolgen in „Der Fall Ethel und Julius Rosenberg“ einen intersektionalen Ansatz und zeigen auf, dass sich gegen das jüdische Ehepaar nicht nur antikommunistische, sondern auch antisemitische und sexistische Feindbilder richteten.
Das Urteil fiel in eine Zeit, in der allein die Unterstellung, kommunistisch zu sein, ausreichte, um die Arbeitsstelle, die Wohnung und die Freiheit zu verlieren. Laut Arnold und Kistenmacher hatten sich die Rosenbergs schon früh in kommunistischen Kreisen bewegt und traten der Kommunistischen Partei der USA bei. Als Ethels Bruder, David Greenglass, der Atomspionage für die Sowjetunion bezichtigt wurde, gab er an, im Auftrag seines Schwagers Julius gehandelt zu haben. Dieser sei der Kopf eines Spionagezirkels gewesen. Die Rosenbergs wurden verhaftet, doch sie beteuerten ihre Unschuld.
Das Ehepaar diente als Projektionsfläche miteinander verknüpfter Feindbilder, die in der Gesellschaft virulent sind, argumentieren die Autor_innen. Kommunist_innen wie Juden und Jüdinnen wurde unterstellt, die Nation zersetzen zu wollen. Die Idee von der jüdisch-bolschewistischen Weltverschwörung kursierte auch in der CIA: Sie bietet den Rosenbergs Hafterleichterung an, sollten sie Jüdinnen und Juden weltweit dazu aufrufen, kommunistische Organisationen zu verlassen und zu zerstören. Der damalige FBI-Chef J. Edgar Hoover verbreitet die Ansicht, Kommunist_innen wären nicht auf den ersten Blick erkennbar und würden deshalb überall unbemerkt agieren. Auch Juden und Jüdinnen wird Geheimniskrämerei vorgeworfen. Antisemit_innen erscheinen sie als besonders gefährlich, weil sie äußerlich nicht so eindeutig identifizierbar seien wie Afroamerikaner_innen. Auch wenn sie als „weiß“ gelten, wird ihnen doch unterstellt, körperlich von der Norm abzuweichen: Entgegen üblichen Geschlechternormen gelten Juden als verweiblicht, Jüdinnen als hart und kalt.
Sina Arnold, Olaf Kistenmacher: „Der Fall Ethel und Julius Rosenberg. Antikommunismus, Antisemitismus und Sexismus in den USA zu Beginn des Kalten Krieges“. Edition assemblage, Münster 2016, 96 Seiten, 12,80 Euro
Ethel Rosenberg wurde den Autor_innen zufolge von den Medien als größer dargestellt als ihr Mann, obwohl sie kaum 1,50 Meter groß war. Sie wurde als dominante Ehefrau und schlechte Mutter beschrieben, weil ihr ihre Ideologie wichtiger sei als ihre Kinder. Die Hetze kulminierte in dem Namen „Red Spider“, der sie als Frau, Kommunistin und Jüdin abwerten sollte. Auch die Justiz arbeitete mit den vorherrschenden Vorstellungen von Weiblichkeit, wie die Autor_innen zeigen: Der Generalstaatsanwalt räumte später ein, dass die Androhung der Todesstrafe Ethels Mutterinstinkte wecken und sie von ihrer politischen Haltung abbringen sollte.
Die Autor_innen legen präzise dar, wie widersprüchlich und doch wirkmächtig die miteinander verwobenen Feindbilder sind und geben die Komplexität des Falles anschaulich wieder. Angesichts der Virulenz heutiger Verschwörungstheorien und antifeministischer Tendenzen ist das Buch hochaktuell.
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