Buch über das Patriarchat: Suche nach Rissen in der Macht
Angela Saini zeigt in ihrem Buch „Die Patriarchen“, warum Männervorherrschaft nicht unausweichlich ist. Eine Spurensuche nach den Anfängen.
Sie leiden übertrieben an einem Schnupfen, sterben dann aber früher, weil sie bei ernsthaften Krankheiten nicht zum Arzt gehen. Dass Männer diese Welt regieren, ist nicht selbsterklärend. Es ist ein Rätsel, das mit körperlicher Überlegenheit und Sesshaftwerdung allein nicht zu erklären ist. Mit diesen beiden Klischees räumt die britische Journalistin Angela Saini in ihrem neuen Buch auch direkt auf.
In „Die Patriarchen“ schaut Saini auf die Bonobos, die dem Menschen so ähnlich sind wie die Schimpansen, und beobachtet dort keine Herrschaft der Silberrücken, sondern mächtige Weibchen, die körperlich zwar unterlegen sind, ihre Macht aber durch enge soziale Kontakte halten.
Angela Saini „Die Patriarchen: Auf der Suche nach dem Ursprung männlicher Herrschaft“. Hanser Verlag, München 2023, 352 Seiten, 25 Euro
Ein Großteil des Buches beschäftigt sich mit der Forschung rund um die etwa 9.000 Jahre alte Stätte Çatalhöyük, die die Forscherin Marija Gimbutas als matriarchale Urstätte Europas bezeichnet hatte. Das scheint so nicht ganz zu stimmen, aber die Gebäude und Funde legen nahe, dass hier eine Gesellschaft gelebt haben muss, die weitgehend gleich war, in der Frauen stark wie Männer waren – trotz Sesshaftigkeit.
Gehalten hat diese Gleichberechtigung allerdings nicht – wie kamen die Männer an die Macht? „Wer wir sind, entdecken wir nicht in den großen, vereinfachten Darstellungen der Geschichte, sondern an den Rändern, wo die Menschen anders leben, als wir es vielleicht erwarten.“ Mit diesem Leitsatz hat sich Saini über mehrere Jahre auf die Suche nach diesen Rändern begeben – wobei Rändliches teilweise mitten im bekannten feministischen Territorium liegt.
Der US-amerikanische Ort Seneca Falls im Bundesstaat New York beispielsweise ist bekannt dafür, dass dort 1848 der erste Frauenrechtskongress stattfand. Elizabeth Cady Stanton trug ihre „Declaration of Sentiments“ vor. Frauen wollten Gleichberechtigung als Teil einer Fortschrittsbewegung. Dabei waren Frauen an diesem Ort schon einmal viel weiter – nur waren es eben keine weißen Frauen.
Friedenskongress 1590 der Native Americans
Im Jahr 1590 trafen sich in Seneca Falls Frauen verschiedener Native Americans, um Frieden zwischen ihren sich bekriegenden Stämmen auszuhandeln. Mit Erfolg. Laut Saini haben sich diese Frauen im Jahr 1600 „ein Vetorecht bei allen künftigen Kriegen gesichert“. Die Gleichberechtigung haben die Kolonisatoren den Native Americans wegzivilisiert, später mussten deren Frauen dann wieder neu beginnen, dafür kämpfen.
Ähnliches beschreibt Saini anhand der Nayars in Kerala, Indien. Die Menschen lebten dort in Tharavadus, Haushalten mit vielen Familienmitgliedern. Die Familienfolge war matrilinear organisiert, was laut Autorin eine Erklärung für die hohe Alphabetisierungsrate der Frauen dort ist. Aber auch hier kamen die Kolonisatoren und brachten Zivilisation in Form des Patriarchats mit. Aber wo hatten die das her?
Eine eindeutige Antwort hat auch Saini nicht, deshalb trägt das Buch den Untertitel „Auf der Suche nach den Ursprüngen männlicher Herrschaft“. Laut erwähnter Marija Gimbutas kam das Patriarchat in Form von Kriegern aus der russischen Steppe Richtung Europa, und so ganz unplausibel scheint das nicht zu sein. Aber wo die das wiederum herhatten – lässt sich nicht so einfach sagen.
Allerdings hat sich das Patriarchat, wenn man es mit patrilinearer Erbfolge gleichsetzt, bis heute nicht überall durchgesetzt. Bei den Khasi in Indien wird an die Frauen vererbt. Eine schöne Vorstellung. Während hierzulande in der Ehe noch immer meist Frauen den Namen des Mannes annehmen, sich von ihrem Vater zur Trauung begleiten lassen und damit symbolisch vom Besitz des einen Mannes in den des anderen übergehen. Die logische feministische Schlussfolgerung, das Ende der Ehe, ist aktuell wiederum bei der Autorin Emilia Roig nachzulesen.
Ausnahmen zusammengetragen
Letztlich bestätigen Sainis sorgfältig zusammengetragene Ausnahmen an den Rändern dann doch die Regel – und die heißt Patriarchat. Dieses war auch im real existierenden Sozialismus sehr anwesend. Hier sind Sainis Beschreibungen aus Sowjetunion und DDR zwar faktisch richtig, aber ihre Einordnung, hier sei „ein echter Versuch unternommen worden, das Patriarchat zu zerschlagen“, geht an der Realität doch weit vorbei. Frauen konnten arbeiten wie Männer, aber gerade die Ehe, so oft sie auch geschieden wurde, war trotzdem das Ideal, die patriliniare Familie der kleinste Teil des Staates.
Die Gründung von Staaten, die damit verbundene Eroberung und Verteidigung, sind zentrale Bausteine des Patriarchats. Ein Staat im Krieg muss den weiblichen Körper kontrollieren, um Nachwuchs für das Militär zu generieren. Ließe sich der Untergang des Patriarchats also nur mit der Zerschlagung von Staaten erreichen?
Ein guter Ansatz geht auch eine Nummer kleiner. Etwa, in der Vergangenheit nicht nur nach dem zu suchen, das unsere öde Gegenwart bestätigt, sondern nach dem, das sie verunsichert. „Die Patriarchen“ ist dafür die passende Lektüre. Darin ist das Patriarchat keineswegs unvermeidlich – sonst gäbe es keine anderen Entwürfe und auch nicht Widerstand dagegen. Diesen beschreibt sie am Beispiel Iran, wobei hier für interessierte Zeitungsleser*innen nichts Neues zu erfahren ist.
Insgesamt trägt Saini vor allem zusammen, was schon erforscht wurde. Mitunter liest sich das Buch deshalb etwas mühsam, weil jede*r Zitatgeber*in der Sichtbarkeit wegen genannt werden muss, aber den Lesefluss eher stört. Das Durchwursteln lohnt sich aber. Gerade diese Fülle an Randbetrachtungen macht dieses Buch zu einem Grundlagenwerk für alle, die die Risse im Monolith Patriarchat weiter aufbrechen wollen.
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