Buch über Stasi und Grüne: ZuträgerInnen aus dem Parteiinneren
Im Auftrag der Grünen haben die WissenschaftlerInnen Jens Gieseke und Andrea Bahr erforscht, wie umfassend die Stasi die Partei bespitzelt hat.
Der Kommentar von Bärbel Bohley und Ralf Hirsch fiel deftig aus. „Auch der Westen hat seine Eiterbeulen“, schrieben die einstigen DDR-Oppositionellen. „Eine ist geplatzt.“ Bohley und Hirsch zielten in ihrem Gastbeitrag im Oktober 1991 in der taz auf den früheren Grünen-Politiker Dirk Schneider, der als Stasi-Informant enttarnt worden war. Verbittert rekapitulierten die beiden Mitglieder der ostdeutschen Bürgerrechtsbewegung einen Besuch Schneiders Mitte der achtziger Jahre: „Jetzt wissen wir, draußen stand die Stasi und schickte uns ihren Abgesandten des Deutschen Bundestages in die Küche.“
Dass Schneider nicht ganz koscher war, hatte Bohley allerdings schon Jahre vor dem Untergang der DDR vermutet. Bereits 1985 erzählte sie dem damaligen grünen Bundesvorstandssprecher Lukas Beckmann von ihrem Verdacht. Und das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) wusste dank seines umfassenden Spitzelsystems davon. Das dokumentieren Jens Gieseke und Andrea Bahr vom Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam in ihrem gerade erschienenen Buch „Die Staatssicherheit und die Grünen“.
Schneider, von 1983 bis 1985 deutschlandpolitischer Sprecher der grünen Bundestagsfraktion und anschließend bis 1989 Pressesprecher der Westberliner Alternativen Liste (AL), war die ergiebigste Quelle, aus der die Stasi schöpfen konnte. Aber der IM „Ludwig“ war bei Weitem nicht die einzige.
Insgesamt lieferten rund 450 bis 500 Quellen Informationen, haben Gieseke und Bahr in ihrer im Auftrag der Grünen erstellten Studie herausgefunden. Die Anzahl hochkarätiger ZuträgerInnen, die aus dem Inneren des grünen Parteilebens berichten konnten, beziffern sie „auf insgesamt rund 15 bis 20“.
Darüber hinaus profitierte der DDR-Geheimdienst bei seiner Informationsgewinnung von der Naivität grüner Funktionäre, die die Abhörmöglichkeiten von Telefonaten aus dem damals noch in Bonn beheimateten Bundestag nach Westberlin dramatisch unterschätzten. „So sind Wortprotokolle von Abgeordneten überliefert, in denen sie detailgenau an West-Berliner Partner mitteilten, wann sie am folgenden Tag über welchen Grenzübergang Materialien für die DDR-Opposition zu schmuggeln beabsichtigten“, konstatieren Gieseke und Bahr.
Widersprüchliche Strategie
Das hätte fatale Folgen zeitigen können. Aber die Stasi konnte nicht so, wie sie es gern gewollt hätte, da ihr Agieren „in jeder Phase den Maßgaben der SED-Führung untergeordnet“ war. Die aber wusste nicht so recht, was sie mit der neuen Partei anfangen sollte.
Akribisch arbeiten Gieseke und Bahr heraus, welche ideologischen – und daraus resultierenden praktischen – Probleme die DDR im Umgang mit den Grünen hatte. Denn die 1980 gegründete Partei passte nicht in ihr Raster. Einerseits war sie die einzige im Bundestag vertretene Partei, die für eine vollständige völkerrechtliche Anerkennung der DDR als eigenständiger Staat plädierte. Zudem waren die Grünen ein wichtiger Teil der bundesdeutschen Friedensbewegung und galten somit als potenzieller Bündnispartner im Kampf gegen den Nato-Doppelbeschluss.
Als VerfechterInnen eines blockübergreifenden Politikansatzes unterstützten sie andererseits aktiv die unabhängigen Friedens- und Umweltgruppen in der DDR und mischten sich mit spektakulären Aktionen, wie der auf dem Ostberliner Alexanderplatz im Mai 1983, offensiv in die inneren Angelegenheiten der DDR ein. Was ebenfalls für eine Bundestagspartei ein Alleinstellungsmerkmal war und die SED-Oberen schwer erzürnte.
Die Grünen standen einmal für Steuererhöhungen. Nun würden sie aber lieber gut bei der Bundestagswahl abschneiden – mit den Stimmen von Anwälten und Oberärzten. Wie sie still und leise ihren Kurs korrigieren, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 29./30. Oktober. Außerdem: Fußball gilt als Integrationsmotor? Ist er das wirklich? Und: Selbst wenn Donald Trump nicht gewählt wird – was wird aus dem Hass, den er gesät hat? Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Auf diese „Doppelstrategie“ fand die Staats- und Parteiführung um Erich Honecker keine konsistente Antwort, da sie die Grünen weder völlig verprellen noch einfach gewähren lassen wollte. Das führte zu einer widersprüchlichen Strategie. So folgten auf Phasen größtmöglicher Rigorosität – bis hin zu einem im November 1983 verhängten kollektiven Einreiseverbot für alle Mitglieder und SympathisantInnen der Grünen – Entspannungsperioden, die emsige Ost-West-AktivistInnen wie Petra Kelly, Gert Bastian, Lukas Beckmann, Heinz Suhr oder Wilhelm Knabe stets sofort wieder zur Kontaktaufnahme mit der DDR-Opposition nutzten. „Die eigentliche Grundkonstante der Einreisepolitik des SED-Regimes gegenüber den Grünen war folglich Inkonsistenz“, so Gieseke und Bahr.
„Ständige Vertretung der DDR bei den Grünen“
Spektakuläre personelle Enthüllungen haben die beiden ForscherInnen nicht zu bieten. Ob es sich um die taz-Redakteurin und spätere grüne Europaabgeordnete Brigitte Heinrich („Beate Schäfer“), ihren Lebensgefährten und Ex-RAF-Anwalt Klaus Croissant („Taler“) oder die BundestagsfraktionsmitarbeiterInnen Doris („Dagmar“) und George („Faber“) Pumphrey handelt: Wie Schneider wurden solche Spitzenquellen schon Anfang/Mitte der 1990er Jahre enttarnt.
Dass sie nicht nur die Grünen ausgespäht haben, sondern auch als gesteuerte Einflussagenten agierten, vermuten zwar Gieseke und Bahr und bringen dafür auch einige starke Indizien. Aber definitive Beweise können sie aufgrund der dürftigen Aktenlage nicht vorlegen. Fest steht allerdings, dass insbesondere der 2001 verstorbene Schneider stets ideologisch so stramm auf SED-Linie argumentierte, dass ihn nicht nur Joschka Fischer bereits 1983 als „ständige Vertretung der DDR bei den Grünen“ titulierte.
Bei anderen Spitzeln gelang es auch den Potsdamer WissenschaftlerInnen nicht, ihren Decknamen zweifelsfrei zu enträtseln. So wie im Fall des IM „Steinweg“, bei dem das Profil der Nachrichtenlieferungen darauf hindeutet, dass es sich wohl um einen ursprünglich aus dem Kommunistischen Bund stammenden Bundestagsfraktionsmitarbeiter handelt.
Jens Gieseke/Andrea Bahr: „Die Staatssicherheit und die Grünen“. Ch. Links Verlag, Berlin 2016, 336 Seiten, 30 Euro
Bislang ebenso unenttarnt geblieben ist der IM „Sputnik“, der von 1968 an zunächst vorwiegend aus maoistischen Gruppen und anschließend aus der AL berichtete. Im Sommer 1984 brachen seine Informationslieferungen abrupt ab. „Denkbar wäre der Abbruch der Zusammenarbeit oder die Enttarnung durch die westliche Spionageabwehr“, spekulieren Gieseke und Bahr.
Bemerkenswert ist, dass das MfS zur Ausspähung der Grünen und der AL auch auf „überworbene“ Agenten anderer Dienste zurückgriff. Schillernde Beispiele sind der IM „Messias“, der gleichzeitig für den Geheimdienst des südafrikanischen Apartheidregimes arbeitete, und der IM „Amir“, der bis 1980 im Sold des persischen Savak stand und danach für das Berliner Landesamt für Verfassungsschutz als V-Mann „Reuter“ spitzelte – wobei das MfS über die Mehrfachanbindung genauestens informiert war. Unklar bleibt, ob davon auch die Konkurrenz wusste.
Das ist denn auch die große, wenn auch nicht den AutorInnen anzulastende Schwäche des Buchs. Es gehöre „zu den empfindlichen Leerstellen der Quellenlandschaft, dass die Aktivitäten westlicher Geheimdienste so gut wie gar nicht mit Archivmaterial ergründet werden können“, schreiben Gieseke und Bahr.
So bleibt dank fehlender Aktenöffnung das Treiben des westdeutschen Verfassungsschutzes gegenüber den Grünen nach wie vor weitgehend im Dunkeln. Dabei gäbe es auch hier sicher einiges Interessantes zu finden. Darauf weist jedenfalls der kleine Einblick, den der erste rot-grüne Senat in Berlin zwischen 1989 und 1990 möglich gemacht hatte. Damals kam heraus, dass das Berliner Landesamt über insgesamt 65 V-Leute in dem grünen Landesverband verfügte – eine Anzahl, von der das MfS nur träumen konnte.
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