piwik no script img

Buch über Konflikte in der GesellschaftDer Transformationsblues

AfD, Klimastreit, Bauernproteste: Vier Wis­sen­schaft­le­r*in­nen haben die Verwerfungen um die sozial-ökologische Transformation untersucht.

Der Wunsch nach Zäsur von rechts: Wahlplakat der AfD in Thüringen im August 2024 Foto: Hannes P. Albert/dpa

Sachsen im Hochsommer. Alle paar Meter grüßt ein aggressives Wahlplakat. Die AfD findet „Keine Heizung ist illegal“, die rechtsextremen Freien Sachsen wollen ausländische Kriminelle „nach Berlin abschieben“. Auf anderen Plakaten wird über Lastenfahrräder, Bioessen und Gendersternchen hergezogen.

Wer wissen will, warum es gerade die Grünen sind, die derzeit nicht nur im Osten zur Zielscheibe politischer Hetze werden, sollte die soziologische Analyse von vier Wis­sen­schaft­le­r*in­nen der Universität Jena lesen. Dennis Eversberg, Martin Fritz, Linda von Faber und Matthias Schmelzer haben in einer repräsentativen Umfrage 4.000 Menschen zu ihren Einstellungen und Gefühlen bezüglich des gesellschaftlich-ökologischen Wandels sowie zu ihren Alltagsgewohnheiten und sozio-ökonomischer Situation befragt.

Die Ergebnisse haben sie in dem Band „Der neue sozial-ökologische Klassenkonflikt“ zusammengefasst, der eine Art Mentalitätslandkarte Deutschlands entwirft.

Dennis Eversberg et al.: „Der neue sozial-ökologische Klassenkonflikt“. Campus Verlag, Frankfurt/M. 2024, 221 Seiten, 34 Euro

Heiter ist diese Landkarte nicht gerade: Die sozial-ökologische Transformation der Gesellschaft drohe zu scheitern, schreiben die Autor*innen. Im Gegensatz zur vielbeachteten „Triggerpunkte“-Analyse der Wis­sen­schaft­le­r*in­nen um Steffen Mau, die Ende 2023 noch eine stabile Mitte und einen Konsens für notwendige Veränderungen in der deutschen Bevölkerung vorfanden, sieht das Quartett aus Jena diesen Konsens nun „aus­gehöhlt“.

Und das nicht nur an den politischen Rändern: Die Wis­sen­schaft­le­r*in­nen sprechen von einer „gemeinsamen Frontstellung gegen eine Klima- und Transformationspolitik, die als sozial unausgewogen, übereilt und ideologiegetrieben wahrgenommen wird“.

Wohlhabende gegen „einfache“ Leute?

Wohlhabende städtische Grü­nen­wäh­le­r*in­nen gegen überforderte „einfache“ Leute? So einfach ist es laut den Au­to­r*in­nen nicht. Der Konflikt um einen klimagerechten Umbau des Landes finde nicht nur von oben nach unten statt – sondern genauso auf der Horizontalen, zwischen einem „materiell-eigentumsbasierten“ und einem „postmateriell-bildungsbasierten“ Lager. Während die einen von Geschwindigkeit und Ausmaß des gesellschaftlichen Wandels überfordert sind, blicken die anderen optimistisch auf Veränderungen.

Dieser Veränderungskonflikt werde politisch und medial allerdings überbetont und falsch dargestellt, finden die Autor*innen. So sei das ökosoziale Spektrum sehr uneinheitlich und die pauschale Unterstellung von sozialer Unsensibilität ungerechtfertigt: Viele Wohlhabende träten sehr wohl für sozialen Interessensausgleich ein – andere wieder lebten ökonomisch prekär und seien eher konservativ-verzichtsorientiert eingestellt.

Nach Ansicht der Au­to­r*in­nen verläuft der Konflikt nicht ideologisch zwischen Grünen- und AfD-Wähler*innen, wie gängige Analysen behaupten. Die entscheidenden Widerstände gegen transformative Politik kämen aus den Zentren wirtschaftlicher Macht und von einer besitzenden Klasse; gegen eine ­angemessene Beteiligung großer Vermögen an den Kosten, gegen Sozialbindung und verbindliche Regeln.

Ein Verteilungskonflikt also, auf Kosten derer, die im Buch als „innere“ und „äußere Peripherie“ bezeichnet werden: Pflege- und Dienstleistungsbeschäftigte, landwirtschaftliche Saisonkräfte, Mittellose und diejenigen, die anderswo die Grundlagen unseres Wohlstands erwirtschafteten.

Verschleierte Interessenspolitik

FDP und Union und AfD versuchten von dieser Konfliktdimension abzulenken, indem sie die im übergeordneten Überlebensinteresse aller liegende Klimapolitik zum Spezial­anliegen der Grünen umdeuteten – und so die Interessen wohlhabender Eigenheim- und Au­to­be­sit­ze­r*in­nen schützten.

Kann es unter diesen Vorzeichen eine Klimawende überhaupt geben? Die Jenaer Au­to­r*in­nen bejahen das sehr vorsichtig und geben politische Empfehlungen: Keine Moralappelle an die Einzelnen, sondern verbindliche politische Weichenstellungen für alle samt Ausbau einer ressourcenschonenden öffentlichen Infrastruktur. Umverteilung durch höhere Belastung der Vermögens-und „Vermschmutzereliten“. Mehr demokratische Partizipation statt Werben um „Akzeptanz“.

Dann, und nur dann, könnte die ökosoziale Transformation, so schlecht sie derzeitig politisch durchsetzbar sei, doch noch gelingen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • Die Darstellung greift um Jahrzehnte zu kurz.



    Die Transformationsmüdigkeit greift um sich, gerade weil sich die Transformationen überstürzen - Ende des Kalten Krieges und Wiedervereinigung, Globalisierung, Wandel zum Einwanderungsland, Währungsunion, Finanzglobalisierung, stärkeren Finanzunion in der EU ...

    Sicher habe ich einige vergessen. Sicher ist jedoch auch, dass keine einzige von den genannten Transformationen vollständig verdaut ist - meist nicht einmal funktional, erst recht nicht in der gesellschaftlichen Wahrnehmung.

    Wo die Forscher da den angeblichen Konsens herausgearbeitet haben wollen, bleibt mir rätselhaft.



    Entweder haben ihre Fragen den Eindruck erweckt, es gehe um Umstellungen, die den einzelnen nicht direkt betreffen. Oder aber es ist einfach die Bereitschaft, auf Umfragen ehrlich zu antworten, schlagartig gestiegen ...

  • Kein Interessenkonflikt rechtfertigt hierzulande die Wahl von Rechtsradikalen, auch nicht im Osten. Rechtsradikalismus wurde und wird aber hierzulande geduldet, ein Verbot der AFD nicht in Betracht gezogen. Das ist das Problem. Der angeblich zu kurz gekommene Osten leistet sich Rechtsradikalismus als Widerstand gegen die Wessis, gleichgültig was die Nazis in der Vergangenheit angerichtet haben. Was immer die Konflikte sind, Naziideologie und Naziverhalten dürfen hierzulande keine Option sein.