Buch über Herrschaft in Syrien: Es gibt ihn nicht, den Staat
Das Assad-Regime hält sich hartnäckig. Zenith-Redakteur Daniel Gerlach analysiert in seinem Buch die Bedingungen seiner Macht.
Vom Assad-Regime wird immer mal wieder angenommen, es halte sich nur deshalb so hartnäckig, weil es immer noch auf einen breiten Rückhalt in der syrischen Bevölkerung rechnen könne. Oder, aus einer anderen Perspektive: weil es auf jede Herausforderung durch blanken Terror reagiere. Doch wer genau herrscht eigentlich in dem Teil von Syrien, der noch Assad zugeschrieben wird?
„Geht man nach dem landläufigen Narrativ in Diplomatie und Medien, so besteht das Regime im Wesentlichen aus dem Präsidenten, seinem Kabinett, seiner Familie sowie einer Gruppe von Wirtschaftsleuten und Militärs, die … zum Großteil seiner religiösen Minderheit entstammen: den Alawiten“, schreibt Daniel Gerlach. Der Zenith-Redakteur, der das Land seit Langem beobachtet und häufig bereist hat, schlägt in seinem Buch „Herrschaft über Syrien“ eine andere Sicht darauf vor, was dieses Regierungssystem mit seiner kryptoideologischen Mischung aus Nationalismus, Sozialismus und Panarabismus im Innersten zusammenhält.
Dem Anspruch nach systematisch und staatstheoretisch, ist die Darstellung mit zahlreichen Schilderungen aus der Historie des Landes und vielen Anekdoten unterfüttert. Letztere stammen aus den vielen Kontakten des zweiköpfigen Expertenteams Zenith Council, dem Gerlach neben dem Verfassungsrechtler Naseef Naeem angehört, in die vielen Schalt- und Beratungsstellen des Regimes.
Nach einer kurzen Skizze der brutalen Reaktionen auf die Demonstrationen von 2011 macht sich der Autor an das rätselhafte Verhältnis zwischen Assad-Regime und IS. Denn warum haben beide, obwohl sie auf territorialer Ebene die größten Kontrahenten sind, sich nur gelegentlich gegenseitig angegriffen?
Daniel Gerlach: „Herrschaft über Syrien. Macht und Manipulation unter Assad“. Edition Körber Stiftung, Hamburg 2015, 392 Seiten, 17 Euro
Nicht nur, dass eine nie begründete große Freilassungswelle von dschihadistischen Gefangenen 2012 islamistischen Gruppen großen Zulauf bescherte, auch von IS-Kämpfern im Dienst des einen oder anderen syrischen Geheimdienstes weiß Gerlach zu berichten. Würde man sich auch noch mehr handfeste Beweise wünschen, dürfte es angesichts dieser Schilderungen schwierig sein, seiner Auffassung zu widersprechen, „dass die beiden angeblichen Gegner, das Daish- (IS) und das Assad-Regime, in Wahrheit koexistieren und in gewisser Weise sogar abhängig voneinander sind“.
Gegeneinander ausgespielt
Überhaupt hat das vorgeblich säkulare Assad-Regime, wie Gerlach eindrücklich darlegt, die verschiedenen religiösen Gemeinschaften im Land über Jahrzehnte gegeneinander auszuspielen gewusst, es hat den Islam in seinen verschiedenen Ausprägungen gefördert, für sich instrumentalisiert und Konflikte stets geschürt. Die Schlange IS wurde also kräftig am Busen der Baath-Partei genährt.
Quasi billigend in Kauf genommen hat das Regime dabei, dass sich in seinen zahlreichen staatlichen Institutionen lokale Fürsten breitmachen konnten, die nun allerdings je ihr eigenes Süppchen kochen. Auch die vom Iran unterstützten Milizionäre sind nur zum Teil bedingungslos auf Seiten Assads. Genau wie Russland, von dem sich das Regime 6.000 Militärberater sowie die in Tschetschenien erprobte Strategie der verbrannten Erde lieh, laboriert, wie Gerlach weiß, auch der Iran längst an einem Plan B für die Zeit nach Assad.
Für den größten Trumpf des Regimes hält Gerlach jedoch seine stete Vernebelungsstrategie: Scheucht mal wieder ein besonders grausames Massaker das eigene Staatsvolk und die Weltöffentlichkeit auf, ruft man stets eine Verwirrung der Verantwortlichkeiten hervor. Es wird geleugnet, es gibt auch mal ein Bauernopfer, das anschließend zwar nach außen hin ersetzt, nicht selten aber im Innern weiterbeschäftigt wird. Vernebelt werde damit aber auch, dass tatsächlich einzelne Autoritäten, sei es in der Verwaltung, den regulären Streitkräften, in einer Miliz oder in einem der zahlreichen Geheimdienste, tun, was nur sie allein für geboten halten.
Anfang März ließ Baschar al-Assad die Weltöffentlichkeit wissen: „Die staatlichen Institutionen funktionieren noch immer.“ Ja, muss man mit diesem Buch sagen. Allerdings ist meist unklar, wer dort die Verantwortung hält. Und beinahe zu jeder Institution gesellt sich eine nicht- bzw. parastaatliche oder mafiöse Struktur, die mal kooperiert, mal konkurriert. Und insofern gibt es ihn nicht, den syrischen Staat. Er hat sich längst aufgelöst. Es herrscht in Syrien eine Konfusion, die, obwohl schon länger Bedingung der Macht der Assads in Syrien, seit 2011 zugenommen hat.
Paradoxerweise ist es gerade diese Konfusion, so Gerlachs grimmige Schlussfolgerung, die ein Fortdauern des Regimes möglich macht. Noch.
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