Buch für Fitnesswahnsinnige: Einblicke in eine finstere Welt

Um fit zu werden wie Schweini ist mehr nötig als körperliche Disziplin. Man muss es aushalten im Herzen eines dunklen Kontinents, in dem Menschen sich benehmen wie im Vorabend-TV.

Fitness ist nur was für Leute, die keinen Schmerz kennen. Bild: ap

"Spätestens wenn der eigene Körper zum Feind wird, sollte man sich ein paar grundsätzliche Gedanken über sein Leben machen." Der Durchschnittsmann um die vierzig weiß, wovon hier die Rede ist. Michael Horeni, Sportjournalist der FAZ, hat dem Gedanken Taten folgen lassen. Von Juni 2007 bis Mai 2008 hat er sein sportentwöhntes Leben umgekrempelt: Unter Anleitung der Fitnesstrainer der Fußballnationalmannschaft, Oliver Schmidtlein und Shad Forsythe, wollte er die EM-Norm von Ballack, Schweinsteiger und Co. meistern. Ob er es geschafft hat, soll hier nicht verraten werden. Aber auch jenseits der Ergebnisfixiertheit erfährt man aus Horenis Buch eine ganze Menge, frei nach der Devise: Nicht für die Fitness, sondern für das Leben lesen wir.

Denn für alle, die sich bevorzugt auf den Ponyhöfen der Republik herumtreiben, in (einst) linken Studentenstädten oder in Berlin-Kreuzberg, jedenfalls so weit wie möglich entfernt vom gesellschaftlichen Mainstream, ist Michael Horenis Buch eine Expedition ins Herz eines fremden und finsteren Kontinents. So ist es in der Welt des Journalisten aus Mainhattan selbstverständlich, eine "alte Freundin" in Hamburg zu besuchen und dazu in einem Hotel abzusteigen. Nun gut, es handelt sich um eine Dienstreise. Um kurz nach sieben Uhr morgens ruft die Dame dann an, um das vereinbarte gemeinsame Frühstück abzusagen, sie habe "noch einen "Marketingtermin reinbekommen" - nachdem man sich zuvor "etliche Monate" nicht gesehen hat. Sie schlägt vor, stattdessen gemeinsam eine Stunde laufen zu gehen und dabei zu "quatschen".

Was läge näher, als der Madame einen schönen Tag zu wünschen und sie anschließend bei einem sentimentalen Frühstück von der Liste der emotional vertieften Kontakte zu streichen? Aber da Horenis Welt ausschließlich aus Menschen besteht, die reden, denken und handeln, als seien sie einer deutschen Vorabendserie entsprungen, muss er sich Unverschämtheit und Kaltherzigkeit wohl oder übel gefallen lassen.

Es ist diese Welt, die aus der biologischen Tatsache des Älterwerdens einen Kampf ums soziale Überleben werden lässt. Horeni ist durchweg umzingelt von anderen "Kerlen" aus der oberen Mitte der Gesellschaft, die sich wie Jungs beim Schwanzvergleich dauerfrotzelnd und höhnend der Fitnessbemühungen ihrer Konkurrenten annehmen. Es ist eine Welt der bürgerlichen Zwänge, in der "man natürlich nicht fehlen", in der man "natürlich nicht aus der Reihe tanzen" darf, in der die Putzfrau "natürlich viel mehr als eine Putzfrau" ist, mit der sich "eine gewisse gegenseitige Vertrautheit" entwickelt hat und die sich an den Anblick ihres nur mit einem Lendentuch bekleidet der Dusche entspringenden Dienstherrn wohl oder übel hat gewöhnen müssen.

"Vom Hemd zum Helden" ist so was wie die Coupé-Version von Tommy Jauds Debilenfibel "Vollidiot". Die Bestsellernorm wird Horeni wohl nicht erreichen, lässt er doch eine gewisse ironische Distanz zur ihn umgebenden Schweinewelt aus Kollegen und Nachbarn aufscheinen. Vor denen kann man wirklich nur weglaufen oder sich im Fitnessraum verbarrikadieren - tatsächlich hinterlassen Schmidtlein und Forsythe unter all den kaputten Arschlöchern, die dieses Tagebuch bevölkern, einen angenehmen, beinah hominiden Eindruck.

Nach der Lektüre hat man das angenehme Gefühl, wenigstens ein paar Dinge im Leben richtig gemacht zu haben. Und das fühlt sich fast so gut an wie eine Runde Laufen durch den Görlitzer Park.

Michael Horeni: "Vom Hemd zum Helden. Ein Fitnessjahr mit den Profis". Scherz, Frankfurt am Main, 14,90 €

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