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Buch „Marzahn, mon amour“Berlin außerhalb der Ringbahn

Katja Oskamp schreibt Bücher, bis sie umschult und als Fußpflegerin im Salon einer Bekannten anfängt. Von den Begegnungen dort erzählt ihr neues Buch.

Fast schon heimelig, aber auch nicht verklärend – so schreibt Oskamp über Marzahn Foto: imago images/Schöning

Katja Oskamps Kar­riere als Schriftstellerin beginnt verheißungsvoll. Gleich ihr Debüt „Halbschwimmer“, ein Coming-of-Age-Roman über ein Mädchen in der DDR zwischen erster Liebe und Niedergang eines Systems, wird begeistert aufgenommen von der Kritik. Ihre Prosa klingt existenziell, stilistisch reif, und vor allem ist sie mit einem feinen Sensorium ausgestattet für das, was man nicht in Geschichtsbüchern lesen kann: Stimmungen, Atmosphäre, Lebensgefühl.

Oskamp aber arbeitet langsam, zu langsam für den Betrieb. So wird ihr vier Jahre später folgender tragikomischer Ehehöllenroman „Die Staubfängerin“ nur ein weiterer Achtungserfolg. Das wieder drei Jahre später erscheinende Buch „Hellersdorfer Perle“ über eine gelangweilte Bürgerliche, die es sich von einem sadomasochistisch versierten Alten so richtig besorgen lässt, wird dagegen nicht mehr so positiv aufgenommen. Eine anschließend verfasste Novelle lehnen 20 Verlage ab. Hinzu kommt eine handfeste Lebenskrise, und ihr Mann, der Schriftsteller Thomas Hürlimann, erkrankt an Krebs.

Während die Berliner Kulturblase mit so einem Packen normalerweise wohl eine Therapie beginnt, schult sie zur Fußpflegerin um und fängt im Kosmetiksalon einer Bekannten an. Damit wäre man bei ihrem neuen, wunderbaren Buch „Marzahn, mon amour“. Kauernd vor ihren Kunden, „ganz unten bei den Füßen angelangt“, die nicht selten kaputt sind von dem Leben, das sie geführt haben, verlieren diese Menschen irgendwann die Scheu und fangen an zu erzählen.

Frau Guse etwa, eine 85-jährige Ur-Ostberlinerin, mit der sie einen streng ritua­lisierten Dialogtanz aufführt, der stets auf den denselben Höhepunkt zuläuft – den Kassler Braten am Samstag. „Wie macht sie den? Mit Kartoffeln und Sauerkraut. Und das Fleisch? Gleich kommt’s, meine allerliebste Stelle in der gesamten Sitzung. ,Mit de Brotschneidemaschine, den Kassler koof ick im Stück, und denn schneid ick den mit de Brotschneidemaschine, mit de Brotschneidemaschine schneid ick den schön in Scheiben, den Kassler, ja, da staunse, mit de Brotschneidemaschine mach ick dit.' ,Mit der Brotschneidemaschine?', rufe ich begeistert, bin perplex und von den Socken, absolut platt und total baff. ,Ja', sagt sie wie eine Adlige, ,mit de Brotschneidemaschine.'“

Das Buch

Katja Oskamp: „Marzahn, mon amour. Geschichten einer Fußpflegerin“. Hanser Berlin, Berlin 2019, 144 S., 11,99 Euro

Mit der gleichen Sorgfalt, die Oskamp den Füßen zuteil werden lässt, kümmert sie sich um ihre schrundigen, lädierten Lebensläufe. Sie hat ein Auge für die kleinen und größeren Marotten, ein sicheres Gespür für situative Komik, vor allem aber hat sie ein großes Herz. Man ist immer wieder angerührt von der liebevollen, fast zärtlichen Anteilnahme, mit der sie ihrer zumeist alten, oft schon stark gehandicapten Stammkundschaft ein Denkmal setzt. Für einige wird der Fußpflegetermin auch deshalb zu einem Ereignis, weil sie hier noch einmal Nähe, Wärme und Berührung erfahren, die aus ihrem Alltag längst verschwunden sind.

Mit diesen Porträts, die sich als deutsche Ergänzung zu „Arbeit poor“ von Barbara Ehrenreich und „Arme Leute“ von William T. Vollmann lesen lassen, zeichnet Oskamp ein plastisches, fast schon heimeliges, aber auch nicht verklärendes Bild von Marzahn, diesem von der Platte geprägten, überalterten Stadtteil der vermeintlich kleinen Leute. Oskamp zeigt, dass sie mindestens so groß sind wie alle anderen. Eben auch in ihren Abgründen.

Hier stürzt sich eine Frau aus dem Fenster, weil sie die Einsamkeit offenbar nicht mehr erträgt. Und auch hier gibt es einen Herrn Pietsch, einen ehemaligen SED-Kader, der trotz seines verantwortungsvollen Jobs Zeit findet für ein buntes außereheliches Sexualleben, bis die Frau ihn rausschmeißt. Jetzt sitzt er da in seiner Einraumwohnung, abgehalftert, ohne Familie und nutzt die Klauenpflege, um der Servicekraft die Welt zu erklären – und sie am liebsten auch noch ins Bett zu bekommen. Dieser Zwangscharakter hat seine Liebschaften natürlich durchgezählt (51!), Oskamp soll seine 52. sein. Wie sie diesen dummdreisten Ex-Parteisoldaten literarisch verarztet, im subtil ironisch angeschrägten staubtrockenen Bürokratenjargon, und ihm trotzdem die Nächstenliebe nicht verweigert, das zeigt ihre ganze Kunst.

Selten hat ein Blurb so gepasst wie der, den die ähnlich tickende Annett Gröschner hier beigesteuert hat. „Mitte-Hipster und Latte-Macchiato-Mütter, nehmt das hier: Leben jenseits der Ringbahn.“

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