Buch-Cover: Hallo Vermittlung!
Wie wichtig ist das Aussehen eines Buches für seine Vermarktung? Ist Buchdesign Kunst - oder Ablenkung vom Inhalt? Wie die Literatur zum Publikum kommt.
Als Adorno in den Fünfzigerjahren über die Frankfurter Buchmesse schlendert und die neuen Buchumschläge in den Auslagen der Aussteller betrachtet, schrillen bei ihm alle Alarmglocken. Die Bücher, da ist Adorno sicher, würden durch die optische Anpassung an den Geschmack der Konsumenten "als Geistiges" geschädigt. "Die Komposition eines Buches ist unvereinbar mit seiner Verwandlung in momentan ausgestellte Reizwerte." So fasst er in den "Bibliographischen Grillen" seine Eindrücke der Messe zusammen.
Hört man sich heute in der Verlagsbranche um, hat sich gar nicht so viel geändert seit Adornos Kritik der Buchkulturindustrie. Immer noch wird der wachsende Einfluss der Marketing-Abteilungen beklagt. Und immer noch steht das Buchdesign an erster Stelle, wenn über Sinn und Unsinn von Verlagsmarketing diskutiert wird. Nicht zuletzt deshalb, weil sich in diesem Bereich die schnöde Ökonomie am deutlichsten in der täglichen Verlagsarbeit niederschlägt.
Dass die Gestaltung des Umschlags - in Fachkreisen: "U1" - als Lieblingskind des Marketings gehandelt wird, ist kaum verwunderlich: Durch die optische Aufmachung wird der erste und oft entscheidende Kontakt mit dem potenziellen Käufer aufgenommen. Als Faustregel gilt unter Experten: Bis zu neunzig Prozent der Kaufentscheidungen fallen erst im Laden. Faustregel zwei: Keinem Buch bleiben mehr als sieben Sekunden, um die Aufmerksamkeit des Kunden auf sich zu ziehen. Wenig Zeit also, um sich gegen die breite Angebotspalette durchzusetzen.
Walter Hellmann ist vertraut mit diesen Regeln, wenn er ihnen auch nicht ganz über den Weg traut. Zwölf Jahre war er Art Director bei Rowohlt, heute entwirft er mit einer eigenen Agentur immer noch Cover für den Verlag. Fragen über die Wirkungen von Schutzumschlägen und über die Vermittlungsfähigkeit von Büchern stehen deshalb im Mittelpunkt seiner Arbeit. Trotzdem sieht er den wachsenden Einfluss des Marketings kritisch. "Vor lauter Marktforschung wird das einzelne Buch vollkommen vergessen", sagt er. Im Grunde läuft es so: Hat ein Verlag einen erfolgreichen Titel auf den Markt geworfen, wird auf der nächsten Cover-Sitzung der konkurrierenden Verlage die Devise ausgegeben, sich möglichst genau an diesem Erfolg zu orientieren. Logische Folge: Schutzumschläge werden immer einheitlicher. Und Hellmann meint auch: Sie werden immer schlechter.
Außerdem müssen sich Grafiker nach Briefing-Bögen richten. Marketing-Abteilungen entwerfen diese Bögen, und Lektoren müssen dann für jedes Buch möglichst eng die Altersspanne der potenziellen Leser eingrenzen und die passenden Fernseh- und Illustriertenformate angeben. So soll die Zielgruppe der U1 bestimmt werden. Hellmanns Erfahrung ist, dass im Gegenzug die gestalterische Sorgsamkeit häufig auf der Strecke bleibt.
Vor zwei Jahren hat er den Umschlag für Daniel Kehlmanns Roman "Die Vermessung der Welt" entworfen. Damit hat er - wenn man den Untersuchungen zum Kaufverhalten von Lesern glaubt - einen wesentlichen Anteil an dem beispiellosen Erfolg des Romans, der monatelang die Bestsellerlisten angeführt hat. Damit habe im Vorfeld niemand bei Rowohlt gerechnet, erinnert sich Hellmann. Wohl deshalb hatte er vergleichsweise freie Hand, als er den Umschlag entworfen hat: Grundlage ist die von Humboldt gezeichnete Skizze einer Berglandschaft. Durchkreuzt wird sie von einer mathematischen Kurve, die der zweite Protagonist aus Kehlmanns Roman, Carl Friedrich Gauß, konstruiert hat. Im Himmel über den Berggipfeln tanzen in serifenloser Schrift Titel von Roman und Name des Autors.
Hellmann sieht das Beispiel Kehlmann als Bestätigung. Bei aller Notwendigkeit, sich bei der Wirkung eines Umschlags am jeweiligen Publikum zu orientieren, muss die grafische Gestaltung doch immer auch ein eigenständiger künstlerischer Prozess bleiben. Es ist keine Frage, dass Bücher aktiv den Kontakt zum Publikum suchen müssen. In Zeiten, in denen fast täglich neue Studien über das alarmierende Lese- bzw. Nichtleseverhalten in Umlauf kommen, wird niemand ernsthaft das Gegenteil behaupten. Von Hellmann aber kann man lernen, dass man diese Vermittlungsleistung als Teil eines kreativen und experimentellen Prozesses verstehen muss, den man nicht Schritt für Schritt durchplanen kann. "Halten Sie mich ruhig für antiquiert", sagt er. "Als Umschläge noch Sache einzelner Verleger waren und nicht unzählige Marketing-Menschen mit den Erkenntnissen aus ihren Briefing-Bögen das Ganze zu einem großen Brei verrührt haben, waren die Cover einfach besser."
Während um die Covergestaltung heute der denkbar größte Aufwand getrieben wird, ist die Lesung immer noch ein Stiefkind der meisten Verlage, in das kaum investiert wird. Trotz umgekehrter Voraussetzungen lässt sich allerdings Ähnliches feststellen: Auch hier gibt es keine Konzepte, wie man Publikumsfreundlichkeit mit künstlerischer Qualität verbinden kann.
Thomas Böhm, seit 1999 Leiter vom Literaturhaus Köln, ist in dieser Hinsicht leidgeprüft. Gründe für das Scheitern von Lesungen hat er in seiner Arbeit dutzendweise kennengelernt: von der ungeschickt ausgewählten Textpassage über den unvorbereiteten Moderator, vom schlecht lesenden Autor bis zum knarzenden Mikrofon und der grellen Beleuchtung, die den Schuppen auf den Schultern des Vordermanns zu mehr Aufmerksamkeit verhilft als dem lesenden Menschen, den man vor lauter Stuhlreihen sowieso nicht sehen kann. Böhm: "Man muss Lesungen vorbereiten und arrangieren, damit sie gelingen."
Das legt er vor allem Verlagen ans Herz, die sich seiner Erfahrung nach erschreckend wenig für Lesungen interessieren - auch wenn sie regelmäßig das Gegenteil behaupten. Böhm hat nachgefragt: Von fünfundzwanzig kontaktierten Verlagen bietet keiner seinen Autoren Sprech- oder Vorlesetraining an. Auch mit Lektoren, die bei Textauswahl und Gespräch über das Buch kompetente Berater wären, findet kein nennenswerter Austausch statt. Böhm kann das nicht nachvollziehen, weil doch Lesungen neben dem Umschlagdesign der Bereich sind, wo nicht nur das Buch, sondern auch der Autor selbst in unmittelbaren Kontakt mit dem Publikum tritt.
Es mag mit ihren flexibleren Organisationsstrukturen zusammenhängen, dass gerade kleinere Verlage sich unverkrampfter und ungleich kreativer mit solchen Fragen der Literaturvermittlung auseinandersetzen. Natürlich hängt ihre Offenheit auch damit zusammen, dass ihnen nicht die Geschäftsleitung mit aktuellen Verkaufszahlen im Nacken sitzt. So gehört der Vermittlungsgedanke für einen Verlag wie kookbooks von vornherein mit zum Konzept. Der von Daniela Seel geleitete Verlag ist nicht nur aus einem Lese- und Musiklabel hervorgegangen. Seel hat mit der Gestaltung ihrer Bücher auch eine eigenwillige Mischung gefunden, die sie einerseits zu Produkten der Popkultur macht, andererseits in ihrer filigranen Grafik allzu plumpe Marktgängigkeit verweigert. Ein zweites Beispiel ist der in Dresden ansässige Verlag Voland & Quist, der seinen Büchern eine CD beilegt, auf der man sich von den Fähigkeiten der Autoren überzeugen kann, ihre Texte vor Publikum zu präsentieren. Slammer Bas Böttcher performed seine neuesten Gedichte, der lesebühnenerprobte Ahne verlegt sich gleich ganz aufs Singen seiner Texte. Lacher im Hintergrund gibt es gratis dazu.
Das Rezept für solche Produkte ist im Grunde ganz einfach: Junge Verleger wie etwa Andreas Rötzer, der seit 2004 den Verlag Matthes & Seitz Berlin leitet, machen Bücher und Lesungen nach dem eigenen Geschmack. Die meisten Lesungen findet der fünfunddreißigjährige Rötzer fürchterlich. Er lächelt, fast ein bisschen entschuldigend. Langweilig und uninspiriert sei ein Großteil der Veranstaltungen. Hinzu komme eine Art Scham über das Provisorische vieler Lesungen, bei denen der Autor seinem Text und dem Publikum hilflos ausgeliefert ist.
Aber natürlich weiß Rötzer, wie man es besser macht. "franja" heißt sein Geheimtipp für eine wirklich gute Lesung. franja, das ist ein Künstlerinnenduo, das gleich doppelte Kompetenz in Sachen Vermittlung vorweisen kann. Friederike Meltendorf ist Übersetzerin, Anja Tchepets Illustratorin. "Buchshow" nennen die beiden ihre mit Musik und Bildern kombinierte Leseperformance. Wer glaubt, dass hier durch viel Brimbamborium das Eigentliche, der Text nämlich, überdeckt wird, sollte sich eine der fein gearbeiteten Shows ansehen. Hier kann man lernen, wie aus der künstlerischen Auseinandersetzung mit einem Buch ein Ereignis entsteht, von dem das Publikum glänzend unterhalten wird. Wichtiger noch: Es ist ein Ereignis, das den Text als Ganzen zu einem sinnlichen Erlebnis werden lässt. "Natürlich ist so eine Show ein Aufwand, den man nicht in jedes Buch investieren kann", gibt Friederike Meltendorf zu. Deshalb macht franja Verlagen das Angebot, kleine Buchtrailer zu inszenieren, mit denen das Publikum zumindest schon mal neugierig gemacht werden kann.
An diese kreativen Energien junger Büchermacher könnten die großen Verlage durchaus andocken. Dann könnten sie nicht nur das schäbige Image von Lesungen verbessern. Sie würden auch das Buchdesign wieder zu einer künstlerisch ernstzunehmenden Profession machen. Freuen sollte das vor allem die Marketing-Abteilungen: Man muss kein Experte sein, um vorauszusagen, dass sich ein Produkt nur durch Publikumsnähe und Qualität gleichermaßen auf dem Markt behaupten kann. Und man muss nur ein einfacher Besucher von Lesungen sein, um sich zu wünschen, dass auch die literarischen Abende vielleicht mal zu rauschenden Festen oder großen Experimenten werden.
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