Brutaler Sport: Wenn Football das Gehirn zerstört

Schwer depressiv nahm er sich das Leben. Dave Duerson, Ex-Football-Profi, erkrankte nach hunderten von Schlägen gegen den Kopf offenbar am "Boxersyndrom".

Fast so brutal wie beim Boxen: Dementia Pugilistica, die "Boxerkrankheit" ist auch bei Ex-Football-Profis anzutreffen. Bild: reuters

BERLIN taz | Er nahm kein Blatt Papier und keinen Stift. Er setzte sich nicht an eine Schreibmaschine und auch nicht an einen Computer. Als die Zeit gekommen war, schrieb Dave Duerson an seine geschiedene Frau. Er griff sich sein Handy und tippte eine SMS. Dann nahm er seine Pistole, setzte sie auf seine Brust und drückte ab. Das war wichtig: auf die Brust. Keine Kugel im Kopf.

Sein Gehirn, das war in seiner letzten Minute das Wichtigste gewesen, musste unbeschädigt bleiben. Als Alicia, die Exfrau von Dave Duerson, die SMS fand, las sie: "Bitte sorge dafür, dass mein Gehirn der NFL übergeben wird." Dave Duerson war tot, als er Mitte Februar in seinem Haus in Sunny Isles Beach in Florida gefunden wurde, aber er wollte nicht umsonst gestorben sein.

Duerson wurde 50 Jahre alt. Es war ein sehr erfolgreiches, ein sehr amerikanisches, ein erfülltes Leben gewesen. Er wuchs auf im ländlichen Indiana und bewies schon an der High School erstaunliche sportliche Talente. Er war ein guter Basketballer und ein besserer Baseball-Spieler. So gut, dass die Los Angeles Dodgers ihm einen Profivertrag anboten. Noch besser war er im Football: Von 1983 bis 1993 spielte er in der National Football League (NFL). Vier Mal wurde er als herausragender Verteidiger in die Pro Bowl gewählt, mit den Chicago Bears und den New York Giants gewann er die Super Bowl.

Nach dem Ende seiner aktiven Laufbahn blieb Duerson dem Football verbunden und engagierte sich in der Spielergewerkschaft. Vor allem aber mehrte er seinen Reichtum als Geschäftsmann, übernahm Filialen einer bekannten Hamburger-Kette, kaufte eine Wurstfabrik und baute seine eigene Firma Duerson Foods auf. Dann aber begann sein Absturz: Seine Frau zeigte ihn an, weil er tätlich geworden war. Er musste seine Firma versteigern, seine Frau ließ sich scheiden, das gemeinsame Haus wurde gepfändet. Im vergangenen September schließlich musste Duerson einen Offenbarungseid leisten, er war bankrott.

Dementia Pugilistica

In den letzten Monaten vor seinem Tod äußerte Duerson die Befürchtung, er könnte krank sein. Er klagte über Sprachfindungsprobleme und Erinnerungslücken. Aus seiner Zeit bei der Gewerkschaft, wo er sich vor allem um zurückgetretene Spieler mit gesundheitlichen Problemen kümmerte, kannte er Fälle wie den von Andre Waters. Der hatte sich 2006 mit einem Kopfschuss umgebracht. Die Autopsie ergab, dass der Ex-Football-Profi an Dementia Pugilistica litt. Die Krankheit, auch bekannt als "Boxer-Syndrom" oder "faustkämpferisches Parkinson-Syndrom", führt zu Depressionen und damit zu Suizidgefahr. Seit dem Tod von Waters wurde das Syndrom posthum bei 20 verstorbenen NFL-Spielern festgestellt. Auch ein erst 21-jähriger College-Spieler, der sich erst im vergangenen Herbst das Leben nahm, litt an der Krankheit.

Spätestens seit dem Tod von Waters wird in der NFL nun intensiv diskutiert, wie man die Spieler besser vor Langzeitschäden schützen kann. Regeln wurden modifiziert, Gehirnerschütterungen werden ernster genommen, aber Football bleibt trotz aller taktischen Finessen und Vorsichtsmaßnahmen nun mal ein brutaler Sport mit denkbar intensivem Körpereinsatz.

Duerson beschreibt in seiner Abschieds-SMS typische Symptome wie Sehstörungen und "Schmerzen in der linken Gehirnhälfte". Doch ob er wirklich an der Dementia Pugilistica erkrankt war, das muss erst noch geklärt werden mit einer Untersuchung seines Gehirns. Schließlich steht es nicht fest, ob sein Selbstmord tatsächlich in Zusammenhang steht mit den Hunderten von Schlägen, die sich sein Kopf während seiner Football-Karriere eingefangen hat: In seiner Familie gibt es Alzheimer-Fälle und natürlich kann auch der berufliche Niedergang zu Depressionen geführt haben.

Aber indem Duerson sein Gehirn ausdrücklich der Wissenschaft zur Verfügung gestellt hat, bringt er die Diskussion weiter in Gang. Vielleicht werden dank ihm junge Spieler einmal einen nicht mehr ganz so gefährlichen Sport spielen. Dann wäre Dave Duerson nicht umsonst gestorben.

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