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Brumlik über Rechte von Sinti und Roma„Hanau war der Anlass“

Was tun gegen Antiziganismus? Der jüdische Intellektuelle Micha Brumlik fordert, dessen Bekämpfung als Ziel in den Landesverfassungen zu verankern.

Gedenken vor dem Mahnmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Foto: Christian Ditsch/imago
Ruth Lang Fuentes
Interview von Ruth Lang Fuentes

taz: Herr Brumlik, im Januar will der Brandenburger Landtag über den Gesetzentwurf von SPD, CDU, Grünen und Linkspartei entscheiden, den bestehenden Artikel 7a um ein Staatsziel zur Bekämpfung des Antisemitismus zu ergänzen. Er soll dann lauten: „Das Land schützt das friedliche Zusammenleben der Menschen und tritt Antisemitismus sowie der Verbreitung rassistischen und fremdenfeindlichen Gedankenguts entgegen.“ Ihnen reicht das nicht aus.

Micha Brumlik: Wir, das ist eine Reihe von jüdischen Intellektuellen, Wissenschaftlern sowie der Vizepräsident des Internationalen Komitees Buchenwald-Dora, fordern neben dem Landesverband deutscher Sinti und Roma Berlin-Brandenburg eine Ergänzung bezüglich der Bekämpfung von Antiziganismus. Also: „Das Land schützt das friedliche Zusammenleben der Menschen und tritt Antisemitismus, Antiziganismus sowie der Verbreitung fremdenfeindlichen Gedankenguts entgegen.“ Und im zweiten Absatz: „Das Land fördert die Stärkung jüdischen Lebens sowie des Lebens von Sinti und Roma.“

Warum ist das nötig?

Es entspricht der besonderen historischen Verantwortung Deutschlands und auch des Landes Brandenburg, Antisemitismus und Antiziganismus in einer Landesverfassung gleich zu behandeln.

Letztes Jahr legte die Unabhängige Kommission Antiziga­nismus im Bundestag einen Bericht vor, der von Rassismus und Racial Profiling gegenüber Sin­ti:­ze und Rom:­nja berichtet. Wie steht es um die Gemeinschaft der Sin­ti:­ze und Rom:­nja in Deutschland?

Was mir lebensweltlich bekannt ist, ist die verächtliche Art und Weise, mit der Sin­ti:­ze und Rom:­nja auf der Straße angegangen, also verachtet und beschimpft werden. Auch die Polizei nimmt meines Wissens entsprechende Anzeigen von Sin­ti:­ze und Rom:­nja sehr viel weniger zur Kenntnis und Racial Profiling ist ein Phänomen, das auch diese betrifft.

Im Interview: 

Micha Brumlik,

Jahrgang 1947, ist Senior Advisor am Selma Stern Zentrum für Jüdische Studien Berlin/Brandenburg sowie Professor emeritus für Erziehungswissenschaft der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Brumlik war von 2000 bis 2005 Leiter des Fritz-Bauer-Instituts und ist regelmäßiger Autor der taz.

Hat sich Antiziganismus in den letzten Jahren verstärkt?

Meines Wissens sind Sin­ti:­ze und Rom:­nja in der allgemeinen Öffentlichkeit inzwischen geachteter. Beim rassistischen Anschlag im Februar 2020 in Hanau wurden jedoch drei Sin­ti:­ze und Rom:­nja ermordet: Mercedes Kierpacz, Kaloyan Velkov und Vili-Viorel Păun. Das war der Anlass für unser Anliegen.

Die einzige Landesverfassung, die den Schutz der Sin­ti:­ze und Rom:­nja gesondert erwähnt, ist die Schleswig-Holsteins. Ändert eine Erweiterung des Artikels das Leben der Sin­ti:­ze und Rom:­nja?

Unmittelbar natürlich nicht. Der Erfolg einer wirksamen Überwindung von Antiziganismus hängt aber unmittelbar von der Anerkennung der Eigenständigkeit des Phänomens ab. Wir hoffen, dass dadurch Polizei und Staatsschutzbehörden sich bei ihrer Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus auch intensiv mit Antiziganismusströmungen auseinandersetzen. Wie zum Beispiel im Fall von Hanau. Darüber hinaus wollen wir, dass auch in kulturpolitischer Hinsicht die Möglichkeiten für Sin­ti:­ze und Rom:­nja bestehen, Projekte, die kulturelles Selbstverständnis in Deutschland fördern, subventioniert zu bekommen. Es soll ein Impuls sein: dass, sowohl was Jahrestage angeht als auch die historische Bildung in Schulen wie auch in der außerschulischen Bildung, sehr viel stärker auf dieses Thema aufmerksam gemacht wird.

Eine Bildungsstudie aus dem vergangenen Jahr zur Lage der Sin­ti:­ze und Rom:­nja in Deutschland hat eine „extreme“ Bildungsbenachteiligung angeprangert. Laut Bundesregierung achte man ausreichend auf Chancengleichheit und Antidiskriminierung, Sin­ti:­ze und Rom:­nja bräuchten dementsprechend keine gezielten Fördermaßnahmen. Wie stichhaltig finden Sie diese Argumentation?

Kann sein, dass das die Meinung der Bundesregierung ist. Da Bildungspolitik in Deutschland aber Angelegenheit der Länder ist, hoffen wir, dass von einem solchen Zusatz in der Verfassung Anstrengungen unternommen werden, Kinder aus diesen Gruppen gezielt zu fördern.

Was bräuchte es noch, um Alltagsrassismus gegenüber Sin­ti:­ze und Rom:­nja zu bekämpfen?

Es braucht öffentliche Veranstaltungen, keineswegs nur für Jugendliche, in denen Sin­ti:­ze und Rom:­nja auch die Gelegenheit gegeben wird, ihre eigene Kultur und ihre Geschichte überzeugend darzustellen.

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11 Kommentare

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  • Ok. Ok. Angesichts einiger hier haltloser niederschmetternder Kommentare - kommt Vaddern denn doch mal aus der Deckung.

    Begrüße ausdrücklich diese Initiative der angestrebten Ergänzung der Brandenburgischen Verfassung von Micha Brumlik et al. & wünsche ihr viel Erfolg.



    Sie ist nicht nur in der Sache geboten - sondern entspricht auch dem Geist dieser Landesverfassung.

    Wie irgendwo schon mal zart angedeutet - war ich häufig “Kibitz“ bei den Brainstorming-Frühstücksrunden anläßlich der Ausarbeitung dieser Landesverfassung Brandenburg & kann mich gut an die breitangelegten Diskussionen um Staatszielbestimmungen Schutz von Minderheiten (zB Sorben) etc erinnern. Untermauert mit verschiedensten Verfassungsbestimmungen weltweit.



    Bin mir sicher - daß die hier angestrebte zusätzliche Regelung eine breite Mehrheit gefunden hätte.

    unterm——- kl. Bonmot—-



    Kein geringerer als Rainer Candidus Barzel - der Ölprinz © Onkel Herbert Wehner - griff anschließend die postWende Landesverfassungen so an:



    Da hätten alt68er ihre feuchten linken Träume verwirklicht!



    Mein Freund&Sangesbruder trat dem veröffentlichend derart entgegen:



    Dieser saubere Herr sei sicherlich für derartige Einschätzungen besonders qualifiziert! Hätte er doch noch 1953(?) in einem diesbezüglichen Elaborat verkündet: “Dem Grundgesetz werde keine lange Lebensdauer beschieden sein!“ Kanns mal sehn - wa!



    (Bekanntlich kam es anders. Ein gutes Zeichen!;)

    Ende des Vorstehenden



    (& Der 🎡 der Eitelkeiten is geschlossen)

  • Ich unterstütze den Vorstoß von Micha Brumlik und anderen, den Kampf gegen Antiziganismus neben dem gegen Antisemitismus und anderen Formen des menschenbezogenen Hasses - von Fremdenfeindlichkeit kann bei deutschen Sinti eigentlich nicht die Rede sein - als Staatsziel in die brandenburgische Verfassung aufzunehmen ... eigentlich gehört ein solcher expliziter Passus auch in andere Landesverfassungen und ins Grundgesetz geschrieben.



    Vielleicht befördert dies die Erkenntnis, dass Sinti und Roma genau so der nationalsozialistischen Vernichtungsabsicht ausgeliefert waren wie die jüdische Bevölkerung Europas ... und dass sich ihre Diskriminierung und Ausgrenzung nach dem Krieg in der bundesrepublikanischen Gesellschaft fast bruchlos fortsetzten.



    Bekämpfung des Antiziganismus als Staatsziel wäre zumindest ein Stück weit Wiedergutmachung gegenüber dieser Bevölkerungsgruppe.

    • @Abdurchdiemitte:

      Und was haben Sinti davon außer schöne Worte?

      Haben Sie den Eindruck, dass der Antisemitismus zurückgegangen ist, da ja nun dessen Bekämpfung ein Staatsziel ist?

      In den meisten Landesverfassungen steht auch was zu angemessenem Wohnraum. Wo ist der?

      Staatsziele in den Landesverfassungen sind oft das Papier nicht wert, auf dem sie geschrieben stehen.

      Wer vielleicht sinnvoller, Politische Bildung und Ethikunterricht in den Schulen mal anders zu gestalten.

      • @rero:

        Schonn. But.

        “ Unter einem Staatsziel, auch Staatszielbestimmung oder Staatszweck genannt, versteht man die Definition eines Ziels, das ein Staat zu erreichen sucht. Die Staatsziele werden in der jeweiligen Verfassung festgeschrieben, bedürfen aber einer konkreten Umsetzung durch Gesetz, Verordnung oder Satzung (siehe auch Normenhierarchie). Da Staatsziele zwar Aufgaben an den Staat stellen, aber nicht regeln, wie diese Ziele konkret erreicht werden sollen, hat der Gesetzgeber eine weite Einschätzungsprärogative bezüglich der Umsetzung.

        Von Grundrechten unterscheiden sich die Staatszielbestimmungen dadurch, dass sie kein subjektives Recht begründen und somit nicht einklagbar sind.“

        Btw - Grundrechte - “obsolet“* im Dritten Reich - waren zuvor - auch (nur) Staatszielbestimmungen.



        Einklagbar erst mit dem Grundgesetz.



        &



        “ Die Staatsziele werden in der jeweiligen Verfassung festgeschrieben, bedürfen aber einer konkreten Umsetzung durch Gesetz, Verordnung oder Satzung“ Genau das - wäre der nächste Schritt!

        unterm——- *



        “Die Grundrechte sind obsolet“ befand ein gewisser Ernst Forsthoff - Lieblingsschüler von Carl Schmitt - “Der Führer schützt das Recht!“ - in seiner Diss - unter Der Führerstaat“ - aber nur in der 1! Auflage! Gelle.



        & Däh!



        de.wikipedia.org/wiki/Ernst_Forsthoff



        & sein Ziehvater Carl Schmitt -



        delete129a.blogspo...huetztdasRecht.pdf



        Auch ein gewisser Helmuth 🥬 - pilgerte zum Ritterschlag nach Plettenberg - wie so viel zu viele konservativ Reaktionäre • 🤢🤮🤑 -



        de.wikipedia.org/wiki/Carl_Schmitt