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Brüten über Atomexport

Außenminister Fischer und die Grünen sind hin- und hergerissen, ob sie dem Export der Hanauer Siemens-Atomfabrik nach Russland zustimmen sollen. Fischer: „Kreative Lösungen“ gefragt

aus FrankfurtKLAUS-PETER KLINGELSCHMITT

„Friedenspolitisch höchst bedenklich und ökologisch unakzeptabel“ – so lautete das klare Urteil der SPD. Die FDP hatte vorgeschlagen, russisches Waffenplutonium in der Siemens-Atomfabrik in Hanau zu Mischoxyd-(MOX-)Brennelementen für den Einsatz in zivilen Atomreaktoren zu verarbeiten. Auch die Grünen echauffierten sich. Denn diese Variante zur angeblichen Vernichtung von russischem Waffenplutonium ziele nur darauf ab, die Laufzeiten der deutschen AKW zu verlängern. Die Wellen der Empörung schlugen hoch – das war 1995.

Heute sind solche Einwände nicht mehr zu hören. Nicht von der SPD. Und nicht von den Grünen. Im Gegenteil. Die energiepolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion der Grünen, Michaele Hustedt, rechnet damit, dass der grüne Bundesaußenminister Joschka Fischer bald eine Ausfuhrgenehmigung erteilt. Dann könnte die Plutoniumfabrik der Siemens AG nach Russland transportiert werden, um russisches Waffenplutonium zu MOX-Brennelementen zu verarbeiten.

Die Hanauer Atomfabrik soll komplett demontiert und auf dem Gelände des russischen Atomkomplexes Majak im Ural wieder aufgebaut werden. „Alles machbar“, sagte der Projektleiter „Rückbau“ der Firma Siemens, Helmut Rupar, der taz. Die Bundesregierung müsse sich allerdings noch in diesem Sommer entscheiden. Falls die Antwort Nein laute, werde Siemens die Anlage abreißen und anschließend verschrotten. Bei einer Entscheidung für den Export, so Rupar weiter, sei Siemens durchaus auch bereit, mit Experten und Technikern in Russland präsent zu sein – beim Wiederaufbau der Anlage und auch beim Betrieb.

Mit dem späten Verkauf der eigentlich schon abgeschriebenen Atomfabrik würde Siemens die Anfang der 90er-Jahre investierten und dann in den Sand gesetzten 1,1 Milliarden Mark wenigstens teilweise wieder einspielen können. Es war Joschka Fischer, der Siemens als hessischer Umweltminister mit seiner Politik der „Nadelstiche“ gegen die Atomindustrie damals den Spaß an der Inbetriebnahme der neuen Mischoxid-Anlage verdarb.

Nun ist die Lage eine andere. Als Bundesaußenminister wies Fischer im März seine Parteifreunde schon einmal darauf hin, dass sie sich demnächst mit diesem problematischen Komplex zu beschäftigen hätten. „Kreative Lösungen“ seien gefragt, so Fischer. Und einfache Antworten werde es nicht geben. Schließlich gehe es im Rahmen von internationalen Abrüstungsverträgen um die Vernichtung von 34 Tonnen Plutonium aus dem russischen Atomwaffenarsenal.

Der Vorsitzende der Reaktor-Sicherheitskommission (RSK), Lothar Hahn, sieht Deutschland nun in einem Dilemma: „Wenn wir uns verweigern, sind wir Abrüstungsgegner. Stimmen wir zu, laufen wackelige russische Atomreaktoren und vielleicht auch deutsche Reaktoren durch einen möglichen Export russischer Brennelemente noch Jahre mit plutoniumhaltigem Mischoxid.“

Fest stehe allerdings auch, dass die Russen einer auch möglichen Endlagerung des Waffenplutoniums über den Weg etwa der Verglasung wohl „niemals“ zustimmen würden. „Für die ist das ein Energiepotenzial, das sie nutzen wollen“, so Hahn. Die MOX-Brennelemente könnten etwa im letzten schnellen Brüter der Welt, dem Reaktor Belojarsk 3, zum Einsatz kommen. Und aus MOX-Brennelementen könne das Plutonium auch wieder extrahiert werden – wenn auch sehr umständlich.

Vom Auswärtigen Amt ausgerechnet bei Siemens in Auftrag gegebene Machbarkeitsstudien zum Thema sind noch nicht ausgewertet. Doch die Zeit wird knapp. Bis zum G-8-Gipfel Ende Juli 2000 in Japan soll sich die Bundesregierung entscheiden; darauf jedenfalls drängen die USA. Die Reaktor-Sicherheitskommission (RSK) der Bundesregierung will sich in der kommenden Woche mit dem Problem beschäftigen.

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