: Bronzefrauen in Larvenstadien
■ „Welches ist das Original?“, Teil 4: Im Marcks-Haus begegnen fertige Bronzeskulpturen ihren zerborstenen, gipsernen Vorstufen
Beim Schmetterling kennen die meisten die diversen Entwick-lungsstufen: Larve, Kokon, Flattermann. Und nur Letzterer verdient es, aufgepiekst zu werden. Bei Bronzeplastiken ist alles sehr viel komplizierter. Sechs, siebenmal – je nach Technik – pendeln die armen Dinger zwischen positiver und negativer, harter und glibberweicher Fassung hin und her, bis sie wetterfest stehen: Tonfigur – negativer Gipsabdruck – postiver Gipsabdruck – negativer silikonverkleideter Gipsabdruck – positiver Wachsabdruck – Gußform aus Gips und Schamotte – Bronzeguß. Uff. Die meisten Vorstufen gehen bei dieser Tortur zu Bruch oder verdampfen (Wachs). Die „Original“-Arbeiten aus den Händen des Künstlers – Ton- und erster Gipsabdruck – sowieso. So gibt es Ironiker, die Bronzeplastiken prinzipiell als Fälschung bezeichnen.
Dies erfährt man im wunderschönen Katalog. Dort zeigt eine Fotoserie, wie Gerhard Marcks einer seiner Bronzefrauen von Stufe zu Stufe Taillen- und Hautkorrekturen verpaßte: Das Medium verlockt mit seinen vielen Durchgangsstufen den Künstler zum steten Überdenken und revidieren. Am Beispiel Rodins erfährt man, daß es nicht einmal den definitiven Endguß gibt. Je nach Gießereiwerkstatt existieren die unterschiedlichsten Versionen eines Jünglings – mal mit, mal ohne Narbe. Kein Original? Oder viele gleichberechtigte? Und der zeitgenössische Rezipient gar betrachtet die schaurig-wabbeligen Silikonschalen, die antikisch zersprengten Wachstorsi mit Gipsfüllung und die Gußformen mit ihren heuschreckenbeinchenartig angedockten Füllstutzen als faszinierende, autonome Kunstwerke. Und addieren sich die Hängekästchen mit den verschiedenen Gipssubstanzen nicht zu einem echten Donald Judd oder Sol Le Witt?
Also genau die richtige Sache für die sieben Bremer Museen umspannende Ausstellungs-Reihe zum Thema Original. Vor allem aber kann man Herrn Schmalz und Herrn Borchert von „Statuarius“, der einzigen Bremer Bildgießerei, beim Gießen oder Nachbearbeiten zugucken. Noch sechsmal (Samstag und Mittwoch, 16-19 h) erhitzen diese Routiniers das Kupfer-Zinn-Gebräu oder schweißen, schleifen, polieren kleine Löcher in der Bronzehaut. bk
„Aus dem Feuer geboren“: Ausstellung plus circa 20 Sonderveranstaltungen bis 16. Juli. Katalog 19.80 DM. Sommerfest am 14. Juli
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen